Marie Rotkopf in Gespräch mit Carolin van Mark

Zur Dringlichkeit antiromantisch zu sein

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Marie Rotkopf (Photo: Dirk Fellenberg)

“Jede Perspektive kann heterogen sein, es gibt nur eine einzige Realität und sie ist aus zwei Elementen zusammengesetzt: Gewalt und Krieg und deren Machtverhältnis.
Romantisierung schließt die Pyramide. (…) Die Romantisierung hält uns davon ab, die Heuchelei zu erblicken.”
(Marie Rotkopf, “Antiromantisches Manifest”)

Das Antiromantische Manifest ist eine kampflustige sowie poetische Flucht nach vorn, denn die in Paris geborene Schriftstellerin und Kulturkritikerin Marie Rotkopf erkennt die nach wie vor romantische Ideologie in Europa. Knapp ein Jahr nach Veröffentlichung ihres Buches beim Nautilus Verlag wurde das Innenministerium durch das Heimatministerium erweitert, damit auch das Polizeiaufgabengesetz (PAG), das neoromantische Buch “Sieben Nächte” von Simon Strauß, skizziert mit rechtspopulistischer Rhetorik die Generation Y und sehnt sich die deutschen Fahne, stolz wehend auf einer Burg und den großen Kampf zurück. Eine Geburt der Langeweile. So eine Art Langeweile, die nur im Berliner Salon Leben entstehen kann – denke ich – trotzdem gefährlich – sagt Marie Rotkopf, die vor mir sitzt. Über ihre poetische Lösung werden wir sprechen:

Dein Antiromantisches Manifest plädiert für das Fremdsein als einzige Möglichkeit, um Freiheit zu erlangen. Mit Humor, aber auch berauschender Aggression richtest du dich gegen ihre Feinde…
Das Fremdsein – und die Freiheit – bedeutet die Verweigerung des Labels „Wir“, das Merkel und ihre Kommunikationsberater institutionalisiert haben; Deutschland als Marke. Leider sehe ich, dass das keine Überwindung des Nationalismus ist, sondern dass es erst dazu führt. Wir wissen, dass Nationalismus tödlich ist. Ich bin für das Leben. Auch Europa schützt nicht gegen Nationalismus oder Sozialdarwinismus. Ich finde es extrem interessant, dass weder le Front national, die FPÖ, noch die AfD heutzutage die EU grundsätzlich in Frage stellen.
Die deutsche Romantik ist die Suche nach einer Nation, einer Macht, einer Rasse, nach ihrem Imperium. Und romantisch sein bedeutet, die Rollen (blau für die Jungs, rosa für die Mädchen, neutral für die Hermaphroditen) sowie eine Klassengesellschaft zu akzeptieren. Deshalb – im Gegensatz zu den Romantikern, die sich eine Nation suchten, um ihre angebliche „Fremdheitsgefühle“ zu kontern – schlage ich vor, sich individuell durch das Fremdsein zu emanzipieren. Für die Freiheit der Nicht-Zugehörigkeit. Es ist auch ein reflexives Wortspiel mit dem Fremden, dem Ausländer und den Fantasmen darüber.

Inwieweit lässt sich deine antiromantische Position umsetzen, wenn man in einer Gesellschaft lebt, die sich auf demokratischem Weg ihre Fesseln immer enger anlegt?
Ich bin d’accord, und denke nicht, dass wir auf demokratischen Wegen flanieren, sondern eher eine Zwangs -Gesellschaft bauen. Ein antiromantischer Blick weist auf die Ursachen. Warum Luther als Held gefeiert wird: Seine Rechtfertigung der gottgewollten Obrigkeit ist hier weiter reibungslos effizient. Wie Luther romantisch für Sensibilisierungskampagnen oder Propagandafeldzüge benutzt wurde, ist erschreckend. Wir müssen von der Ausbeutung durch die spezialisierte Kommunikation abrücken. Das erlauben mir nur die Literatur, die Poesie und sie sind mein Lebensraum. Ich denke, dass die Freiheit die der Entromantisierung, des Bildersturms, des Geistes des Ungehorsams und der Neugier ist. Ich bin froh, dies im Herzen der Popkultur sagen zu dürfen, die sowieso alles neutralisiert. Sie ist dafür da.

Ein aktuelles Beispiel (für die spezialisierte Kommunikation / für den Aufbau der Zwangs-Gesellschaft) ist das Heimatministerium, das durch ein neues Polizeiaufgabengesetz der Polizei in Bayern jegliche und willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre erlaubt und präventiv Menschen auf unbestimmte Zeit in Haft nehmen darf.
Das ist ein Pendant zum Department of Homeland Security, welches 2002 in den USA eingeführt wurde. In der Schweiz ist es praktischer, die Bevölkerung ist unter sich noch präventiver. In Frankreich bekommt es bald einen schicken Namen. Obwohl, an sich ist Heimatministerium der schönste romantische Name. Er ist auch unübersetzbar.

Im literarischen Diskurs werden zurzeit die Neoromantik eines Simon Strauss und die Ultraromantik von Leonhard Hieronymi verhandelt. Hast du davon etwas mitbekommen?
Neoromantik, Ultraromantik, Romantik: die Dandys der deutschen Tischgesellschaft, 1811-1834.  Interessiert sich jemand für die historischen und soziologischen Aspekte der Romantik? Leider hat die deutsche Romantik wenig mit Gefühlen zu tun. Und deutsche Romantik ist zum Beispiel weniger sozialkritisch als die englische Romantik. Also ja, gelesen habe ich es. Ich kenne die Väter. Einer von diesen Vätern hat mehr sozialen Einfluss als der Andere. Es ist ein Privileg, welches der andere Sohn nicht hat, und das ist bemerkenswert. Ich kenne die Macht der Väter und ich kenne die Macht der Väter über ihre Söhne, in den Entwicklungsromanen wie im Leben. Außerdem haben wir offensichtlich nicht denselben Vater. Auch nicht denselben Großvater. Mein Privileg wiederum ist mein Blickwinkel, der einer Fremden, was mir eine Relativität schenkt, um festzustellen, wie gemein dies alles ist. Wenn das stimmt, dass Simon Strauss auch einen romantischen Salon gegründet hatte, und Götz Kubitschek eingeladen hat, u. a. Schwärmer von Alain de Benoist, dann würde ich lieber einen Kir Royal mit Leonhard Hieronymi chez Ahmed rue d’Aubervilliers trinken gehen. Aus französischer Sicht ist die Kommunikation um den privilegierten Sohn herum lachhaft. Persönlich gesehen, wenn er über Nation sprechen würde, lache ich nicht. Sondern dann entsichere ich meinen Browning, wie Hanns Johst geschrieben hat.Ich muss an Emmanuel Carrère denken, als er Werner Herzog als einen Faschisten
deklariert hat. Ich muss an Antonin Bernanos denken, das Enkelkind von Georges Bernanos, c’est autrement plus bandant. Deutschland hat im Moment Simon Strauss, Frankreich Antonin Bernanos, der Polizeiautos anzündet und kämpft dafür, unregierbar zu sein. Mit dem Soziologen Frank Adloff haben wir neulich darüber geschrieben: Das ist symptomatisch und, was die kulturellen Mentalitäten betrifft, wissenswert. Der Sohn von Botho Strauss ist dreißig (was in Frankreich nicht mehr so jung ist, wie gesagt alles ist relativ), pflegt sein elitäres ennui und sehnt sich nach der Überordnung und der Epos-Gemeinschaft. Er liegt damit genau richtig in Deutschland. Er ist glücklich. Er kennt keine Angst. Nirgendwo anders in Europa gibt es mehr Hausfrauen und Soldaten als in Deutschland. Schlimmer, weil intelligent, ist für mich diese Kommunikationsstrategie und Scheinheiligkeit, welche der Sohn und sein Vater errichten, um die „Absegnung der Juden“ zu bekommen. Er darf nationalkonservativ sein, er hat den Obermayer German Jewish History Award bekommen. Auf der Wikipedia Deutschland Seite des Preises fehlt Brunhilde Stürmer – welche auch den Award 2018 erhalten hat – und sie wurde durch „Berliner Schüler“ ersetzt, während Simon Strauss sich von den Berliner Schülern abhebt.
Wir müssen unsere jüdische dritte Ebene des Humors auf die Seite legen, denn dies ist Zynismus.

Dein antiromantischer Blick richtet sich nicht auf das Gute oder Böse. Dich interessiert im Laufe der Seiten die Frage nach Gerechtigkeit. Steht diese Frage im Widerspruch zur Popkultur?
Die Popkultur ist die Instrumentalisierung der Masse, bis sie nicht mehr den Unterschied zwischen dem Guten und der Gerechtigkeit ausmacht, wie bei der Religion. Eine antiromantische Position zu haben ist die ständige Kritik.

Sind Coolness und Konsensästhetik das Übel, warum die Gesellschaftskritik innerhalb der Popkultur immer wieder scheitert und der Grund, warum die Frage nach Gerechtigkeit nicht en vogue ist?
Die Gerechtigkeitsperspektive ist für mich die wichtigste Weltanschauung. Das gilt aber nicht für alle. Nehmen wir die USA, dort zählt, dass America first bleibt auf Kosten der anderen. Diese Frage der Ungerechtigkeit und ihre Beziehung zur Popkultur ist in Deutschland eine besondere und eng verbunden mit Begriffen wie Reeducation, Amipopkultur und documenta. Freiheit bedeutet Popkultur und Marketing. Freiheit im Sinne des Friedensnobelpreisträgers Obama, der 2014 einen Vertrag über 30 Jahre für die Erneuerung und Erweiterung des Atomwaffenarsenals unterschrieben hat. Deshalb sollte uns primär die Frage nach dem Gegensatz aus Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit interessieren und nicht jene nach Gut und Böse. Dafür steht das Buch “Gegen den Hass” von Carolin Emcke, ein Pamphlet für eine „open society“, welches uns sagt, was korrekt oder unkorrekt ist und nicht einmal die Politik der ersten Waffenschmiede der Welt analysiert. Neben Emcke gibt es noch die CDUAktivistin Diana Kinnert, die mit ihrem Plädoyer für den modernen Konservatismus ein Sammelsurium von
Minderheitenattributen bildet. Ich halte dies für grotesk. Es ist eine gefährliche Gruppenidentitätsstrategie. Sie sägt am eigenen Ast. Mir kommen die Tränen, wenn ich lese, dass sie Mauern gut findet, ohne die Ursache der Völkerwanderung, die Realität der Binnenmigration oder Zahlen zu reflektieren. Weißt du, in Frankreich wäre sie ein Sprachrohr für Le Front National. Die Abschottung in Parallelgesellschaften führt zu einer Welt des Algorithmus gegen die Geschichte, die Empathie und die Sensibilität. Es führt zur Diktatur und umgekehrten Stigmatisierung. Aber stimmt schon, wenn die USA das gesellschaftliche Modell für Europa bleiben sollen… Ist es gut oder böse, wie Susan Sarandon die Politik von Obama als sneakily zu erklären und Hillary Clinton als so schlimm wie Trump zu bezeichnen? Wir wissen, dass die Digitalisierung in der Arbeitswelt sozial und menschlich dem Mittelalter die Tore öffnet und dass der Kommunitarismus uns ausschließt. Die deutsche Romantik wollte zurück zur Ständegesellschaft des Mittelalters. Diese Ideologie ist wie im 19. Jahrhundert eine romantische: Identitäts- Politik, Moralisierung, “Ich bin für die Freiheit für alle, aber ich solidarisiere mich mit niemand”. Die Reichen waren schlau genug, um die Wut der Armen auf die noch Ärmeren zu lenken, wie die Soziologin Monique Pinçon-Charlot es gezeigt hat.
Der Neoliberalismus und seine Partikularinteressen, Ethnopluralismus (jeder bleibt da, wo er herkommt; sich austauschen, aber nicht sich vermischen) sind für mich keine humanistischen Werte und die Herren mit ihrer Ständegesellschaft werden mich als Hexe sehen, weil ich auch alles bin: lesbisch, hetero, queer, schwarz, rotblond und gelb. Und ein homosexueller Mann. Denn ja, die Coolness ist schuld, die westliche Popkultur ist schuld, die im Kern antidissident, weil partikular ist. Obwohl Madonna wie Angela Davis mir sehr viel gebracht haben, mehr als Jacques Derrida auf jeden Fall, den wir endlich dekonstruieren müssen. Die Instrumentalisierung durch die Kommunikation der Macht ist schuld, wie die Dichotomie West/Ost und diese EinheitsdenkenPropaganda. Antiromantisch denken und das Vermischtsein ist für mich eine positive Lösung, nicht nur literarisch.

Erkennst du in der #Meetoo-Debatte, welche in Hollywood entstanden ist, eine Chance, die von einem popkulturellen Diskurs in einen der Gerechtigkeit übergehen kann?
Eingriffe gegen das paternalistische System sind notwendig, nach wie vor. Interessant ist, dass die Debatte wieder aus dem Kulturmilieu kommt, wie die Politische Korrektheit. Wenn
das Time Magazine die Frauen von #Metoo zur „Person of the Year“ ausruft, ist das leider ein schlechtes Zeichen. Hollywood ist an sich schon die verfaulte Macht. Noch wichtiger: es geht nicht um Ökonomie, dadurch wird sich nicht viel ändern. Ich war traurig, als ich das kitschige musikalische Werbevideo gesehen habe, da es eher das Problem des Klassenrassismus darstellt. Mit einer Ausnahme: diese Frauen repräsentieren die Ober- und  Mittelschicht. Für mich ist die Straffreiheit das Problem. Aus einem popkulturellen Diskurs in einen der Gerechtigkeit überzugehen, heißt parallel über Menschen berichten, die sich nur wenig verteidigen können; über die Vergewaltigungen, begangen durch die Blauhelme in der Zentralafrikanischen Republik, sie auch bestrafen, und die UNO, welche dies leugnet. Das ist wirklich nicht cool.
Es kann eine Chance sein, wenn man die Strukturen und die Menschen benennt, nicht wie Carolin Würfel in der Zeit, die gegen den Sexismus ihrer Kollegen im Kulturbetrieb schreibt, ohne sie zu benennen! Sie reproduziert die weibliche Haltung, ist weiter romantisch. Sie schützt die kleinen Jungen. Man entschuldigt immer noch mehr einen Jungen als eine Mädchen. Siehst du, wie streng ich mit dieser Journalistin bin! Sowie die Frauen, die sich untereinander streiten, was das Glück der Männer ist. Und es ist klar, dass weder Obama die Rechte der Schwarzen verbessert hat, noch Merkel die der Frauen in Deutschland. Deswegen halte ich es für niedlich, also im Kern gefährlich, wenn öffentliche Personen sagen, alle sollten seit Trumps Sieg politisch sein. Politisch sein bedeutet, sich mit die Ursache zu beschäftigen und erstmals das Kommunikations- System zu entschlüsseln. Vor Trump war Amerika schon sehr sehr fragwürdig. Wir wissen alle, dass Erziehung der Schlüssel ist. Aber die Zukunft dauert lange. Wir wissen es und wir akzeptieren, dass das Bildungssystem peu à peu abgebaut und privatisiert wird. Effizienz ist, den Kindern zu sagen: wie ungerecht und grausam die Märchen sind und wie Disney die Verblödung ist. Diese alten Rollenmodelle sollst du für uns alle bekämpfen: das Mädchen wird vom Jungen gerettet, der Junge darf keinen Rock tragen und die böse Mutter ist weiterhin die schlimmste auf der Welt, nicht der König, der sich nie um seine Kinder gekümmert hat. Die Kinder sollen früh lernen, die befreienden von den unterdrückenden Situationen zu unterscheiden. Belles paroles.

Eine Annahme, dass durch Frauen die Machtpositionen innerhalb der Politik besetzen, sich grundsätzliche Strukturen ändern lassen, gehören scheinbar zu den Bequemlichkeiten vieler Frauen. Was sind die Tücken der heutigen Feminist_innen in ihren Bestrebungen und Forderungen?
Ich bin nicht Essentialistin. Es gibt keinen Unterschied zwischen den Männern und den Frauen, außer dem, dass die Männer nicht gebären können. Das ist das Problem: Françoise Héritier, die Nachfolgerin von Claude Lévi-Strauss, hat uns gelehrt, und damit ist sie sozusagen das wissenschaftliche Pendant von Simone de Beauvoir, wie unsere Konstruktion von Hierarchien der Geschlechtsunterschiede und die binäre Klassifizierung überall auf der Welt und seit der prähistorischen Epoche von den Männern herkommt und nur die Männer bedient. Wie sie betonte, man solle die Hierarchie auflösen. Sie hat auch etwas wesentliches gemacht: sie hat ihren Vater dekonstruiert (Lévi-Strauss). Die Frauen denken sich selber als Minderheit, was unfassbar ist. Wahrscheinlich auch weil sie genau dies ebenfalls integriert haben, wenn sie ein wenig Power haben möchten: eine Frau, welche die politische Struktur grundsätzlich verändern will, wird nicht toleriert, im Gegensatz zu einer Frau, die die Herren weiter bedient. Sie sind heute herzlich willkommen: diese Frauen schweigen, wie die Männer auch schweigen. Brauche ich die besten Beispiele zu nennen: Angela Merkel, Ursula von der Leyen, Christine Lagarde…? Ist es nicht fun, dass gerade für das erste Mal sieben Frauen auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos dieses mitpräsidiert haben? Die Frauen passen sich an. Sie widerspiegeln unsere Instrumentalisierung.
Neulich hat der Philosoph Paul B. Preciado eine intelligente Entgegnung in Libération (übersetzt in Zeit Online vom 19.01) veröffentlicht, nachdem Catherine Deneuve und 99 weitere Frauen einen offenen Brief über die negativen Konsequenzen von #MeToo in Le Monde veröffentlicht hatten. Nachdem diese 100 Frauen #MeToo als Exzess, Prüderie und Hass gegenüber den Männern bezeichnet haben, fordert er als Replik, dieses „Ancien Régime der Sexualität“ zu verlassen. Was so viele wunderbare Feministen aus der 70er Jahren schon als krankhafte Rollenbilder denunziert haben. Es stellt sich doch die Frage, warum Paul B. Preciado, als Philosoph, das Genre Mann ausgewählt hat. Warum will er heute ein Mann sein, nachdem er eine Frau war, dass alle Leute ihn als Mann anerkennen und benennen, auch wenn er sich als Trans-Mann definiert?
Um endlich aus der US Army ausscheiden zu können, ist auch Chelsea Manning eine Frau geworden, nicht umgekehrt. Ich habe den Eindruck, es dreht sich alles im Kreis oder
es ist noch viel schlimmer und auf jeden Fall soll diese Bewegung, wie auch immer sie heißen mag, weitergehen. Bis auf ein Detail: ich möchte auch das Recht haben, Männer zu behelligen.

Wer bildet deinen Lebensraum? Welche Autoren, Künstler, Einflüsse?
Mich hat das Mysterium in den Schriften von Stéphane Mallarmé und Marguerite Duras absolut fasziniert. Sie hinterfragen die Ungerechtigkeit in der Liebe oder generell den Schmerz durch die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben der anderen, ohne romantisch zu wirken. Das erlaubte mir zuerst einmal die Erkenntnis der Gefühle. Meine Eltern hatten in der Bibliothek ein dünnes Buch, “Gegen Guernica” von Antonio Saura. Das Buch war eine Art Aufklärung für mich, von dieser Zeit an habe ich verstanden, dass ich auch gleichzeitig wachsen könnte und sagen, dass der Vater oder eine Ikone (also im Buch Picasso, könnte auch Europa und die EU sein…) intellektuell falsch und heuchlerisch sind. Freiheit und Kritik. Später während meines Studiums habe ich mit Freud(e) fast alle Feministen lesen müssen, insbesondere im Bereich der Zeitgenössischen Kunst, die in der Kunstgeschichte the male gaze (John Berger) analysiert haben. Dadurch habe ich festgestellt (nicht nur ich allein!) dass Pierre Bourdieu in seinem späten Buch “Die männliche Herrschaft” die Thesen von anderen Forscherinnen zusammenfasst, ohne sie zu zitieren, aber auch, dass er seiner eigenen Position als Alphamännchen nicht mal in Frage stellt. Das ist notwendig zu wissen. Bekannte Frauen wie Emma Goldman, Emmeline Pankhurst oder Louise Michel, die frei und in ihrem Leben Widerstandskämpferinnen waren, bewundere ich. Es muss eine Synchronisation, eine Gleichschaltung dieser humanistischen Werte geben: Feminismus, Gleichberechtigung, die Kritik des Neoliberalismus, anti-Rassismus und anti-Kolonialismus, wie sonst können wir weiter denken und leben? Das ist überhaupt nichts Neues und leider müssen wir es immer noch betonen. In und aus diesem Ganzen sollen wir versuchen, eine Welt zu bilden. Philosophen wie Vladimir Jankélévitch oder Denker wie Emmanuel Todd sind mir sehr wichtig, weil sie sich in der Tiefe ausdrücken und dadurch keine Angst haben. Ein deutscher Freund hat mir einmal gesagt, als wir über Luther diskutierten, betreffend die Nicht-Rechte der Frauen, und es war ganz ehrlich von ihm: „aber es war früher mainstream, alle diese Männer dachten so, mit den Juden war es auch so, alle waren Antisemiten, dadurch war es damals anders.“ Der Vorwand – oder die Verharmlosung durch einen Mainstream-Geist bildet so eine krasse Ignoranz, ich sage nicht dass die europäische Gesellschaft auch nicht verantwortlich ist, aber das ist so simpel und gefährlich. Natürlich gab es auch damals feministische Männer, Condorcet zum Beispiel und Antifaschist_innen gab es auch, auch wenn sie in Deutschland seltener waren.

Marie Rotkopf, “Antiromantisches Manifest, eine poetische Lösung”, Edition Nautilus

Lesungen:
22. Februar, 21h, King Georg, Köln
24. Februar, 19h, Goldhorn, Leipzig
8. März, 19h30, Karl der Grosse, Zürich

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