2024 zwischen Liebesliedern und Pathos – Ein Rückblick von Philipp Kressmann
2024 wird leider als das Jahr in die Kaput-Geschichte eingehen, in der die Verhältnisse im Bundesdeutschen Kultur(Haushalts)betrieb dazu geführt haben, dass wir wirklich niemanden mehr den 2014 seismographisch feinfüllig und von DIY-Kultur geschult gewählten Magazinuntertitel “Insolvenz & Pop” erklären mussten. Standen damals zunächst primär Lebenserwartung und Altersvorsorge auf der Agenda (siehe unsere Interviews mit Gudrun Gut & Hans-Joachim Irmler) sowie Frank Spilker), also die “Längsfolgen” von einem Leben mit (Pop)musik, geht es nun explizit um das Überleben im Kulturalltag.
Umso mehr danken wir auch 2024 unseren Autorinnen und Fotograph:innen für die Mitarbeit am Kaput-Experiment. Und freuen uns, dass sie wie jedes Jahr Ihre Highlights mit uns und Euch teilen. ❤️
Im September hat Noga Erez ihr Album „The Vandalist“ veröffentlicht. Die israelische Musikerin flext in HipHop-Tracks, wird gesellschaftskritisch, singt aber auch berührende Liebeslieder. Auf der Gästeliste stehen unter anderem Robbie Williams und der Rapper Ravid Plotnik. Ich berichtete für Kaput.
„Joker: Folie à Deux“ kam bei der Filmkritik nicht so gut weg, aber mich als Batman-Fan hat der düstere Film überzeugt. Vor allem die schauspielerische und musikalische Leistung von Lady Gaga ist fantastisch.
Dieses Jahr habe ich Nick Cave & The Bad Seeds zum ersten Mal live gesehen. Cave traut sich Pathos und scheißt auf Ironie. Er schreibt weiterhin großartige Songs und spricht sich zudem dezidiert gegen Boykott-Aufrufe in der Kulturwelt aus.
Die britische Band King Hannah gibt es schon länger, aber sie war meine Neuentdeckung auf dem Haldern Pop im Sommer. Das Album „Big Swimmer“ ist ein Spektakel und auch live baut sich die Gitarrenmusik von Hannah Merrick und Craig Whittle wunderbar auf.
In dem Dorf Jamel haben sich Neonazis breit gemacht, schon lange hat die rechtsextreme Szene dort leider die Deutungshoheit. Doch ein Ehepaar setzt diesem Hass etwas entgegen: Schon seit 2007 veranstalten Birgit und Horst Lohmeyer „Jamel rockt den Förster“. Vor kurzem erschien eine ARD-Doku über das Musik-Festival, wo 2024 unter anderem Ebow und Olli Schulz aufgetreten sind.
Der Anfang April erschienene Song „Oktober in Europa“ von der Antilopen Gang beschreibt eindrucksvoll den drastischen Anstieg von Antisemitismus in Deutschland und anderswo in Europa seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel. Über diese Thematik hat Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, im März ein Buch veröffentlicht. In „Deutsche Lebenslügen: Der Antisemitismus, wieder und immer noch“ geht es um den bedrohten Alltag jüdischer Menschen, Reaktionen auf den Terror, politische Enttäuschungen sowie Engels deutsch-iranische Familiengeschichte.
Kettcar und der Starpianist Chilly Gonzales haben Anfang April jeweils unabgesprochen einen cleveren Song veröffentlicht, in dem es um Cancel Culture, Kanye West und den antisemitischen Komponisten Richard Wagner geht. Gonzales hat zudem eine Petition initiiert, um die Richard-Wagner-Straße in seiner Wahlheimat Köln umzubenennen. Ich berichtete für Kaput.
Anlässlich des 10. Geburtstags ihres Debütalbums hat die Band Trümmer Konzerte in kleinen Clubs gespielt. Sänger und Gitarrist Paul Pötsch hat auch Songs aus dem dritten Album wie etwa „Draußen vor der Tür“ auf eine tolle Setlist gepackt.
ZINN ist eine Band aus Wien. Dieses Jahr haben die drei Musikerinnen ihr zweites Album „Chtuluzän“ rausgebracht, der Protest-Song „Stirb Patriarchat Stirb!“ zählt für mich zu den Highlights.
Ende Oktober habe ich ein Konzert von Bob Dylan in Düsseldorf gesehen. Im Vorfeld mussten alle Handys in Taschen verstaut werden, die man erst nach dem Gig wieder von Fachpersonal öffnen lassen konnte. Eine schöne Erfahrung und his bobness war auch toll.