Konzertbesprechung, Nürnberg, Z-Bau

Osees – durchnässt von Bier, Wein und anderen Körperflüssigkeiten

OSEES, Warsaw, Brooklyn (Photo Colin Ridgway)

von Daniel Urban und Katharina Cichosch

Seit gut 45 Minuten tut sich nichts – die hauseigene Audiotechnik zickt, Band und Roadies pendeln nervös über die Bühne. Die Temperatur steigt, das Publikum wird unruhig. John Dwyer, sichtbar genervt, aber höflich, kommentiert trocken: „That is coming out of my monitor. I definitely don’t want that on my monitor!“
Früher hätten die Osees solche Situationen einfach umgangen – sie spielten kurzerhand im Zuschauerraum, mit eigenen Mikros und eigenem Sound. Doch diese Zeiten liegen hinter Dwyer: Zu oft seien dabei Zähne abgebrochen. Heute, im Nürnberger Z-Bau, stehen sie ganz klassisch auf der Bühne.

Trotz der Durchsage, die Problemlösung könne noch 45 Minuten dauern, setzt plötzlich und ohne Vorwarnung der Bass zum Intro von „Withered Hand“ ein. Die Osees sind auf den Punkt da. Alle Lässigkeit, mit der man eben noch abgewartet hatte, was der Abend nach diesem zähen Auftakt wohl bringen würde, implodiert. Keine Sekunde vergeht – und man steht, durchnässt von Bier, Wein und anderen Körperflüssigkeiten, fünf Meter weiter hinten. Von null auf Pogo in einem Wimpernschlag.
Es ist eine sagenhafte Energie, die die Band aus San Francisco – heute in L.A. beheimatet – über die gesamte Konzertdauer aufrechterhalten wird. Es kommt einem ein Begriff in den Sinn, der früher oft in Musikjournalismus-Texten auftauchte: tight. Und wenn es heute noch eine Band gibt, auf die dieser Ausdruck wirklich zutrifft, dann wohl diese. Mit Gitarre, Bass, zwei Schlagzeugen und Synthesizer spielen sich die Osees wie ein präzises Uhrwerk quer durch ihre Diskografie. John Dwyer führt dabei ein ziemlich strenges Regiment: Gespielt wird nur, was live funktioniert. Dazu gehören interessanterweise nicht nur die schnellen Stücke – auch auf ganz unterschiedlichen musikalischen Wegen findet die Band stets zu einer ähnlichen, zwingenden Dynamik.

Eine „Best Of“-Tour ist das hier trotzdem nicht. Alben am Stück spielen die Osees sowieso nicht. Vom aktuellen „Sorcs 80“ (2024) etwa werden an diesem Abend gerade mal zwei Songs aufgeführt. Aber Dwyer hat eben auch ein immenses Repertoire zur Verfügung: 29 Alben hat er seit den frühen 2000ern veröffentlicht – mit wechselnden Besetzungen und unter wechselnden Namen (Thee Oh Sees, OSC, Orange County Sound, Oh Sees, Orinoka Crash Suite). Dazu kommen unzählige Singles, Compilations und Live-Alben

Der Sound ist – vermutlich wegen der nie ganz gelösten Anfangsprobleme – matschig, fast schon eine Wall of Sound. Dwyers Gitarre und Stimme scheinen von allen Seiten zu kommen, verknoten sich ineinander. Die fantastischen Synthesizer von Keyboarder Tomas Dolan gehen dabei leider fast komplett unter. Was dem vom ersten Augenblick an so energiegeladenen Auftritt keinen Abbruch tut. Und dennoch fragt man sich im Verlauf des Konzerts immer wieder: Warum funktioniert das alles eigentlich so verdammt gut?

Osees (Photo: Titouan Masse)

Denn oberflächlich betrachtet spricht einiges für einen potenziell hohen Nervfaktor: ausufernde Gitarrensoli, zwei Schlagzeuge, deren rhythmische Möglichkeiten oft nicht ausgereizt werden, Dwyers ständiger Wechsel zwischen tiefem, fast metalhaftem Grölen und hoher Hexenstimme.
Aber: Die Band hat ein feines Gespür für eingängige, fast poppige Hooks. Sie weiß genau, wann es Zeit für einen Bruch, einen Tempowechsel, eine Explosion ist. Und: Dwyer und seine Mitmusiker sind Musiknerds im besten Sinne – ständig auf der Suche nach dem Skurrilen, dem Eigenen, dem noch Ungehörten.
Die Songs oszillieren zwischen Garagepunk, Hardcore, Psychedelic und Krautrock. Seit einigen Jahren bestehen die Refrains meist nur noch aus einem stakkatoartigen „Whoo“ – bevor die Musik eruptiv auseinanderbricht. Von der gnadenlosen Härte eines „Animated Violence“ geht es in den treibenden, aber melodischeren Garagepunk von „The Dream“, der nahtlos in das krautrockige Instrumental „The Daily Heavy“ überführt. Dwyer entlockt dabei Gitarre, Synthesizer und schließlich sogar dem Gitarrenkabel zunächst fragile Melodien, dann rhythmische Störgeräusche. Mit Songs wie „Rogue Planet“, „Funeral Solution“ oder „Scramble Suit III“ steigern die Osees das Tempo noch weiter. Dwyers Gitarre klingt inzwischen, als wolle sie direkt im eigenen Schädel detonieren.
Osees “Funeral Solution”

Bevor die beiden Drummer Dan Rincon und Paul Quattrone – und auch das Publikum – vor Erschöpfung zusammenbrechen, gönnt die Band allen mit „Sticky Hulks“ eine Verschnaufpause: psychedelische Orgel, hypnotischer Gesang, hallgetränkte Gitarren.
Dann geht es weiter, immer weiter. Wohin mit all dieser entfesselten, geradezu positiv gewaltigen Energie? „Man muss manchmal einfach nur schreien“, sagt eine Freundin, und so wird es gemacht.

Nach mehr als anderthalb Stunden ist Schluss. Dwyer macht unmissverständlich klar: Heute gibt’s keine Zugabe. Die Band muss ins Bett – morgen früh geht’s weiter in die nächste Stadt. Schon ab dem viertletzten Song wird rückwärts gezählt. Und als dann viel zu schnell die Lichter angehen und die Ohren noch klirren, ertappt man sich dabei, schon auf die nächsten Tourdaten in der Umgebung zu schielen. So viele gibt es ja nicht. Und die Osees gehören fraglos zu den besten Livebands dieser Zeit.

Osees live:
1. August – Berlin, Festsaal Kreuzberg
2. August – Breelen, Krach am Bach-Festival
5. August – München, Technikum

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