Records of the Week

Melenas „Ahora” / Timber Timbre „Lovage”

Melenas
„Ahora”
(Trouble in Mind/Cargo)

Timber Timbre
„Lovage”
(Hot Dreams/PIAS/Rough Trade)

Das zweite Album von Melenas, „Dias Roas“, habe ich aus dem Nichts gefunden und gemocht – neben ihren Landsfrauen Mourn waren die Spanierinnen Melenas ganz schnell im für Garagen offenen Ohr und wurden würmig. „Ahora“ setzt dem noch die königliche Krone in samtenem Gewand auf. Die Biertheke und das Mädchenganghafte sind nicht verschwunden. Aber die neuen Songs sind nun mit vielen Vintage-Synthies viel näher an Stereolab und Krautrock als eben in der gitarrenlastigeren, staubig-verruchten Autounterstellgelegenheit. Bei mir persönlich werden die Melenas dann eben noch höher gehandelt.

„1986“ erschafft glückliche Gefühle und weckt Erinnerungen an Bands wie Lush, Felt oder Opal. Was für Mini-Hits voller durchaus melancholischem Bubblegum-Indie Pop! Hört mal „Bang“ inklusive passendem Musikclip, in dem die Band fokussiert umherschweift: Da dürften Michael Rother und Laetitia Sadier sich mächtig freuen. Ähnlich ihrer Musik, einfach umwerfend und in meinem Fall absolut anschlussfähig. Wer Grauzones “Eisbär” covert, kann nur kläglich scheitern oder verzaubern wie die Melenas das auf „Osa Polar“ tun. Wenn auch leider nur als digitale ‚Single‘ und nicht auf dem neuen Album.

Sprache spielt hier eine große Rolle, denn selbst wenn ich das Spanische eher weniger verstehe, glaube ich, umgehend zu kapieren, worum es hier geht. Und das war doch auch das Geheimnis, als wir als Teenies englischsprachige Popmusik so faszinierend fremd und nah gleichzeitig fanden. Weil wir empfanden. Nun also auch ein Stückweit im Jetzt (das bedeutet „Ahora“) zurück in die Zukunft mit den mehrstimmigen Melenas und ihrem schweren Twee- oder nachdenklichen Jangle-Pop weit weg von Riot Grrrls, 1960s und C86-Dream Pop und diese doch weiterführend wieder mit ans Tageslicht bringend wie auf „Promesas“. Wo kommen denn diese ganzen tollen jungen, spanischen, weiblichen Rock’n’Roll-Bands in letzter Zeit eigentlich her?

Das Zusammenrücken und Gemeinsamgestalten, das die Melenas offenkundig proklamieren, erscheint bei den kanadischen Timber Timbre anders und doch auch vorhanden: Als ich sie nämlich mit ihrem vierten Album „Creep on Creeping on“ 2011 bemerkte, schlugen sie u.a. mit dem gloomy, crooning Super-Schleicher „Bad Ritual“ komplett ein in meinem emotionalen Haushalt. Letzterer Song wurde zum Ever-Darkgreen neben swampy Hugo Race, Simon Bonney, Nick Cave, Stuart Staples, Rowland S. Howard und Matt Berninger. Das sicher nicht nur, weil es mir schlecht ging. Sondern weil sie Wunden-Laben so wundervoll glamourös und Selbstmitleid schillernd machten. Auf einem kleinen Festival in Hannover sah ich sie live zwischen Wire, Die Goldenen Zitronen und Junip und wurde ganz wackelig auf den Beinen. Gut, wenn dann vertraute auffangende Arme da sind.

Auch bei Timber Timbre gibt es eine Seitenstraße der Coverversionen, sie nahmen sich 2013 mit Feist „Don’t Give up“ vor, was einst von Peter Gabriel und Kate Bush eingespielt wurde. Bisschen nah an berechenbarer Gefälligkeit und großer Geste. Timber Timbres siebtes Studio-Album „Lovage“ ist dagegen regelrecht bunt, jazzy und ‚flott‘, wenngleich es immer noch um freilich auch mal augenzwinkernd Morbides geht. Sänger Taylor Kirk verarbeitet seinen seltsamen Rückzug nach Ontario und die pandemischen Jahre, perfektioniert dabei sein Songwriting mit deutlich mehr Beach Boys-Anklängen und Orchestralität, es wird opulenter und heller, der abgerockte, modrig-dunkle Saloon (siehe oben „Bad Ritual“, eher David Lynch) eingetauscht gegen das denn doch hübsch designte, polierte, im angenehmen Sinn leicht kitschige Musiktheater, höre etwa „Mystery Street“, das jazzige „Confessions of Dr. Woo“ oder „Stops“ (eher die Serie „Westworld“ oder Edgar Wallace-Filme).

Kirk selbst nennt das neue Album flexibler, vielseitiger und spontaner. Das stimmt, der kalte Synthie-Wind ist aber jedenfalls noch nicht gänzlich verflogen (z.B. auf „Sugar Land“). Und jetzt im punkigen Gedenken an die Lolitas wieder das flammende Herz für die Liebste und die Melenas öffnen. Denn eindeutig frischer weht es durch die Ausläufer der Pyrenäen mit Oihana, Lauri, María und Leire aus Pamplona. Zwischen Zusammenbruch (Trauer) und Ekstase (Glück) ist es oftmals nur eine dünne Linie.

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