Talking Musikjournalismus: Julian Weber

Julian Weber “Der Mainstream macht closed shop”

Julian Weber

Kannst du dich an den ersten musikjournalistischen Text erinnern, den du gelesen hast? (Wenn ja: um was drehte er sich? Was gefiel dir daran besonders?)

Ja, es war eine Ausgabe von “Pop/Rocky” mit Keith Moon, Drummer von The Who auf dem Cover. Ich mochte ihn sehr gerne. Das muss 1978/79 gewesen sein. Ich konnte damals noch nicht Schlagzeugspielen, habe aber immer mit Schaschlikstäbchen unter dem zentnerschweren Kennwood-Kopfhörer meines Vaters im Schneidersitz Drums geübt. Hat was gebracht.

Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das in dir den Wunsch geweckt hat, selbst musikjournalistisch zu arbeiten

Das waren sicher Texte im Sounds-Magazin. Und in dem “Coffee-Table” Almanach RoRoRo-“Rocksession”. Da gab es in einem Band ein Special über Punk und NdW in Deutschland mit einer tollen Fotostrecke von Sabine Schwabroh. Die habe ich mir immer und immer wieder angesehen. Die Fotos waren teils aus dem Hamburger Karoviertel. Da waren auch geniale Texte von Harald Inhülsen und vielen anderen drin. Sein Schreibstil hat mich damals fasziniert. Geheimnisvoll und leidenschaftlich.

Radio war auch super wichtig. Zündfunk/BR 2. Ich bin in München aufgewachsen. Monika Dietl, Karl Bruckmaier, Ingeborg Schober, Carl-Ludwig Reichert waren die DJs im Radio. Die haben mir als jungem Teenager die Welt erklärt und neue Horizonte eröffnet.

Ich hatte auch Glück: Mein allererstes Konzert (ohne meine Eltern, mit ihnen war ich 1977 bei einem Konzert der Krautrockband Hölderlin) war gleich ein Punkkonzert, die Münchner Band Störtrupp zusammen mit den Mülltons im Oktober 1981. Von da ab ging alles sehr schnell, die ersten Fanzines, mehr Konzerte, Platten und Gleichgesinnte treffen. Und, ich habe dann auch in der Schülerzeitung, Achtung, Titel: “Wühlmaus” über Musik geschrieben.

Alfred Hilsberg hat Platten geschickt. Im Punkfanzine “Pflasterstein” (aus Nordhessen) habe ich ab 1982/83 Texte veröffentlicht und im Mailorder Katalog vom Westberliner Versand/Plattenladen “Sasquatsch”. Es war damals zunächst schwierig an Infos zu kommen. Gegenöffentlichkeit war tatsächlich super wichtig. Geholfen haben die ersten “Flipsides” und “Maximum RocknRolls” Ausgaben, wichtige US-Westcoast Punkfanzines. Dadurch hat sich auch mein Englisch verbessert.

Was reizt dich am Format Musikjournalismus? Was zeichnet für dich guten Musikjournalismus aus?

Gute Musikjournalistische Texte/Interviews/Porträts/Rezensionen eröffnen mir ein Thema, eine/n Künstler/In und schließen es für mich ästhetisch, kulturell und gesellschaftlich auf. Und, im besten Fall informieren sie auch jenseits der Musik über aktuelle Gemengelagen. In letzter Zeit ist mir das pc-Mäßige aber zu dominierend. Letztendlich geht es immer um Symbolpolitik. Aber wenn sie zu mächtig wird, leidet die ästhetische Einordnung und wird der Musik nicht gerecht.

Gibt es einen Lieblingsbeitrag (von anderen Musikjournalist:innen)?

“England’s Dreaming” von Jon Savage ist ein geniales Buch, das Punk in GB anschaulich dokumentiert. Ich habe ihn zur deutschen Fassung 2000 in Manchester interviewt. Wir saßen auf einer Parkbank, es war sehr kalt. Hernach hat er mir und meiner Freundin eine Rundfahrt durch Manchester spendiert, mit der Heizung voll aufgedreht. Unter anderen zur Ruine der Hacienda, bevor dort ein Wohnhaus gebaut wurde, erste Eisenbahnbrücke der Welt usw. Der Text ist 2000 in der Woz erschienen. Link gibt es keinen.

Aktuell inspirierend find ich das epische Interview von Mike Rubin mit Theo Parrish in der aktuellen Ausgabe von “Blank Forms”. 240seitiges Interview, irre.

Dieselbe Frage auch für dich selbst: welchen Beitrag aus deinem Werkskatalog ordnest du aktuell als deinen wichtigsten ein? 

Ich je. bin ein schlechter Autoverkäufer meiner selbst Habe auch viel geschrieben und gemacht. Früher war mir wichtig: Zusammen mit Michi Bartle habe ich 1999 einen Beitrag über Deephouse für den BR-Zündfunk gemacht. Für dieses Feature (30 Minuten) hatte ich Chez Damier interviewt, und den Labelboss von Azuli in London. Zusammen hatten wir beide dann Theo Parrish interviewt. Da steckte viel Arbeit drin, und es war eine gute Sendung. Gute Musik. Keine Ahnung, ob es im BR ein Archiv gibt, wo man sie findet?

Aus jüngerer Zeit fällt mir der hier zur Renaissance von Dubreggae ein.

Gibt es einen unveröffentlichten Beitrag von dir, den du schon immer gerne mal publizieren wolltest, es sich aber nicht ergeben hat? Kaput biete sich im Rahmen der Serie gerne dafür an. 😊

Es gibt irgendwo einen Text, der ursprünglich für “Texte zur Kunst” gedacht war, über das Label “Leiterwagen Records” von Albert Oehlen. Den haben die klassenbewussten Kunstfuzzis damals nicht gedruckt. Da müsste ich jetzt alte Festplatten enteisen. Oder hat Clemens Krümmel ihn noch?

Deine 3 Lieblings-Musikjournalist:innen?

Das ändert sich jede Woche wie die Charts!? Dave Tompkins aus New York, wenn er über HipHop schreibt, das kann wie ein LSD-Trip auf einer Alm im Tiefschnee sein. Ellen Willis fand ich immer toll. Wie sie über Lou Reed geschrieben hat, was da zwischen den Zeilen stand. Ich lese auch gerne die Haikus auf den Homepages von Hardwax und Honest Jons. Poesie, aber mit Geschäftssinn.

Du bist selbst seit den 90er Jahren als Autor aktiv. Was sind die einscheidendsten Veränderungen in deinem persönlichen Berufsprofil über diesen Zeitraum?

Es wird immer schwieriger, für junge AutorInnen, sich einen Namen zu machen. Da es im Kulturbereich insgesamt zu wenig Geld gibt. Es war ja schon für mich als junger Autor schwierig. Aber ich habe das Gefühl, es ist heute noch viel komplizierter, weil es einerseits mehr Konformitätsdruck gibt (wer etwas auf sich hält, muss über Taylor Swift schreiben und groß einsteigen) und andererseits weniger Fachmagazine (Musikzeitschriftsterben), der Mainstream macht closed shop: Da kommen nur Leute zum Zug, die auf der Journalistenschule waren. Es gibt außerdem fatale Gerüchte. in der taz kommen PraktikantInnen zum Beispiel oft zu mir, weil sie glauben, dass sie automatisch über Pop schreiben können. Aber Schreiben über Musik ist halt auch ein Handwerk. Es fehlen teilweise die ästhetischen und technischen Grundbegriffe.

Und über den eigenen Horizont hinaus: wie empfindest du den Status Quo des Biotops Musikjournalismus im Jahr 2024 im Vergleich zu früher?

Gerade in Angloamerika ist es gerade schwierig, die englischsprachige Musikjournalistengilde war ja über Jahrzehnte in der Opionleader Position, dort hat man sich in den letzten Monaten durch die Fixierung auf Nahost/Postkolonial in einer fatale Aktivisti-Schleife verheddert. Gefährliches Halbwissen rules not okay. Von daher ist der Status Quo eher dürftig.

(Wie) kann man Musikjournalismus in das Storytelling von TikTok und Instagram überführen?

Das scheint mir bei kaput magazin zu klappen. Aber bildet Euch bloß nix drauf ein! Großes Lob für den Kollegen Lars Fleischmann, der ja den VÖ-Alltag über ein Jahr lang bei Insta großartig in Kacheln aufbereitet hat. TicTok, da frage ich lieber meine Tochter. Da habe ich bisher vor allem kulinarisch dazugelernt. Was Pop angeht, nur gelegentlich: Muss ich jetzt was zu Ski Aggu sagen? Eher nein!

Stichwort Karriere. Ab wann war Musikjournalismus für dich eine Berufsoption?

Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Als ich angefangen haben, davon zu leben, ca 1998. Die ersten zehn, zwölf Jahre war es ein harter Existenzkampf.

Bereust du die Berufswahl manchmal?

Nein, denn ich konnte dadurch immer Reisen, interessant Leutchens treffen und es war nie langweilig, so will es der Kapitalismus. Und außerdem: ich habe einige AutorInnen auf den Weg gebracht, die in der taz ihre ersten Musiktexte veröffentlicht haben.

Letzter musikjournalistische Beitrag, der dir so richtig gut gefallen hat.

Siehe oben Theo Parrish

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