Talking Musikjournalismus – Lennart Brauwers

Lennart Brauwers “Texte können so schön menschlich sein können – deswegen kann ich das auch besser als ChatGPT”

Lennart Brauwers

Kannst du dich an den ersten musikjournalistischen Text erinnern, den du gelesen hast?

Lennart Brauwers: An einen konkreten Text kann ich mich leider nicht erinnern, aber mit 11 hab ich zu Weihnachten ein Buch des Rolling Stone über die 500 besten Alben aller Zeiten bekommen, was dann für längere Zeit meine Bibel war (bis es von einem ähnlichen Heft des NME abgelöst wurde; da waren statt “Sgt. Pepper” dann The Smiths auf Platz 1 und das hat meinem pubertären Ich deutlich besser gefallen). Relativ schnell konnte ich die verschiedenen Platzierungen fast auswendig und hab meine eigenen Listen gemacht. Sowas mach ich neben dem Schreiben von Texten auch heute noch gerne 🙂

Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das in dir den Wunsch geweckt hat, selbst musikjournalistisch zu arbeiten?

Nicht direkt. Aber im Laufe der Zeit sind Musik und Popkultur so ziemlich die einzigen Dingen gewesen, mit denen ich mich jeden Tag intensiv beschäftigen wollte. Deshalb war es dann naheliegend, irgendwie einen Beruf daraus machen, also hab ich am Ende meiner Schulzeit meinen eigenen Musikblog aufgemacht (hoerensagen.blog; dient mittlerweile aber eher als mein journalistisches Portfolio) und dann auch ein Pop-Studium in Paderborn angefangen. Da wurde mir dann immer mehr klar, dass ich dieses Musikjournalismus-Ding gut kann.

Was reizt dich am Format Musikjournalismus? Was zeichnet für dich guten Musikjournalismus aus?

Am Format Musikjournalismus reizt mich unglaublich viel – als Autor ebenso sehr wie als Konsument –, weshalb ich auch ein so romantisches Verhältnis zu dieser Welt hab. Ich liebe die Offenheit und Freiheiten dieses Felds; ich liebe den reflektierten Austausch von Meinungen/Gefühlen/Fakten über etwas so Emotionales und Persönliches wie Musik; ich liebe die daraus entstehenden Reibungen. Außerdem schätze ich an meiner Arbeit als Musikjournalist, dass ich dadurch die Möglichkeit habe, meinen Spaß am Schreiben mit meiner Leidenschaft für Popkultur zu verbinden und im Zuge dessen vielleicht noch jemandem auf etwas hinzuweisen, was ihm/ihr vorher noch nicht aufgefallen ist.
Womit wir zu der Frage kommen, was guten Musikjournalismus für mich auszeichnet: Er sollte versuchen, den Kern einer bestimmten Musik zum Vorschein zu bringen, sie in verschiedene Kontexte zu setzen und möglicherweise die Sicht darauf zu verändern. Er sollte natürlich fundiert sein und der Kunst dadurch gerecht werden, vor allem aber auch unterhalten. Ich finde es nämlich unglaublich anstrengend und kontraproduktiv, wenn Albumkritiken zu akademisch oder hochgestochen klingen.

Gibt es einen Lieblingsbeitrag (von anderen Musikjournalist:innen)?

Ich mag den ZEIT-Artikel von Daniel Gerhardt über das (meiner Meinung nach) beste Wilco-Album:

Dieselbe Frage auch für dich selbst: welchen Beitrag aus deinem Werkskatalog ordnest du aktuell als deinen wichtigsten ein?

Ich mag meinen SZ-Artikel zum Album “And in the Darkness, Hearts Aglow” von Weyes Blood.

Deine 3 Lieblings-Musikjournalist:innen?

Steven Hyden: Schreibt supertolle Artikel für Uproxx, clevere Bücher (im Mai kommt eins über Springsteen; bin sehr hyped) und ist Co-Host von meinem Lieblingspodcast Indiecast.

Greil Marcus: Liebe alles, was er über Bob Dylan geschrieben hat.

Cat Zhang: Ihre Pitchfork-Reviews sind großartig.

Wie empfindest du den Status Quo des Biotops Musikjournalismus im Jahr 2024 im Vergleich zu früher?

Ich bin ja noch relativ jung, erst seit wenigen Jahren als professioneller Musikjournalist aktiv und war früher nicht dabei… Ein Vergleich würde mir also schwerfallen. Was ich aber sagen kann: Natürlich sehe ich einige Faktoren, die es dem Musikjournalismus nicht unbedingt leicht machen (durch Social Media kann jeder seine Meinung rausballern und wird selbst zum Musikkritiker; durch Streaming kann man sich eh alles anhören und braucht keine Kaufempfehlungen mehr; durch den Überfluss an Internet-Content wollen immer weniger Leute für Texte bezahlen), doch vielleicht wird ein reflektierter und professioneller durch all diese Punkte nur noch notweniger. Fundierte Sichtweisen auf Musik werden die Menschen glaub ich immer toll finden – ich tu es definitiv und kenn auch viele andere –, vielleicht werden sich nur die Mittel verändern, diese Sichtweisen kundzutun. Wenn irgendwann keiner mehr Texte liest, then so be it! Dann mach ich halt noch mehr Podcastfolgen oder Videos. Doch früher oder später wird den Leuten dann bestimmt wieder auffallen, dass Texte so schön menschlich sein können. Deswegen kann ich das auch besser als ChatGPT.

(Wie) kann man Musikjournalismus in das Storytelling von TikTok und Instagram überführen?

Machen ja schon viele und einige davon auch erfolgreich, aber ich selbst bin weder großer Fan davon – ist häufig zu oberflächlich, so richtig gut bieten die genannten Plattformen sich aufgrund ihrer Schnelllebigkeit auch nicht dafür an – noch glaube ich, dass das zwingend nötig ist. Es muss sich ja nicht alles auf den selben paar Plattformen abspielen, hinter denen in den meisten Fällen ja sowieso irgendwelche Blödmänner stecken.

Ich hab eine Leseliste mit einigen Popkultur-Websites wie Pitchfork, Stereogum und Kaput, wo ich mich fast jeden Morgen mit einer Tasse Kaffee durchklicke; wie als würde ich Zeitung lesen. Viel schöner und gesünder als durch Instagram (oder so) zu scrollen. Sorry, falls das total Boomer-mäßig klingt haha. Die Links zu meinen Artikeln werd ich da trotzdem weiterhin teilen, man will sich ja auch nicht verstecken. Und Ausnahmen bestätigen die Regel, so fand ich das “365 Tage Kaput”-Projekt von Lars Fleischmann zum Beispiel total gelungen!

Stichwort Karriere. Ab wann war Musikjournalismus für dich eine Berufsoption?

Seit Anfang 2022, als ich immer mehr Aufträge für verschiedene Magazine/Zeitungen bekommen hab. Es existieren mit Sicherheit musikbezogene Jobs, die sicherer sind, aber eben dieser Hustle breitet mir ehrlich gesagt auch viel Freude.

Bereust du die Berufswahl manchmal?

Wird glaub ich nie passieren, dafür mach ich’s viel zu gerne. 🙂

Letzter musikjournalistische Beitrag, der dir so richtig gut gefallen hat.

Ich mag die Sunday-Reviews auf Pitchfork, zuletzt fand ich den Text von Elizabeth Nelson zu Bob Dylans “Desire” supertoll.

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