Diana Ringelsiep “Gerade als junge Musikjournalistin bin ich von männlichen Musikern oft unterschätzt worden”
Kannst du dich an den ersten musikjournalistischen Text erinnern, den du gelesen hast?
Leider nein, aber ich tippe auf ein Bravo-Interview. Mitte der Neunziger war ich zehn Jahre alt und großer Caught in the Act-Fan. Die Artikel über die Boyband habe ich alle fein säuberlich ausgeschnitten und in einer Mappe gesammelt, die bis heute existiert.
Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das in dir den Wunsch geweckt hat, selbst musikjournalistisch zu arbeiten?
Ich bin mit VIVA und MTV großgeworden und wollte daher immer VJ beim Musikfernsehen werden. Doch als ich endlich im richtigen Alter war, liefen dort nur noch Reality-Formate und Klingelton-Werbungen. Daher hatte ich mich zwischenzeitlich von meinem Traumberuf verabschiedet und fand mich aufgrund einer Verkettung ungünstiger Umstände in einem Economics-Studium wieder. Ich war vollkommen lost und hatte keine Ahnung, was ich werden wollte. Doch das änderte sich, als ich ca. 2007 ein Friska Viljor Konzert in Salzburg besuchte und nach der Show am Merch mit der Band ins Gespräch kam. Das war nicht geplant, doch ich stellte ihnen spontan ein paar Fragen und fuhr schließlich vollkommen elektrisiert nach Hause und sagte zu meinem damaligen Freund: „Scheiß auf VWL, ich werde Musikjornalistin!“ Er schaute mich mit großen Augen an, als sei ich verrückt geworden. Aber irgendwas war passiert und ich war nicht mehr davon abzubringen. Ich schloss mein Economics-Studium noch ab und ging als Quereinsteigerin an die UdK Berlin, wo ich einen Master in Kulturjournalismus machte.
Was reizt dich am Format Musikjournalismus? Was zeichnet für dich guten Musikjournalismus aus?
Gerade als junge Musikjournalistin bin ich von männlichen Musikern oft unterschätzt worden. Viele rechneten mit den üblichen Nullachtfuffzehn-Fragen und warteten darauf, ihre Standard-Antworten abspielen zu können. Dementsprechend waren viele von ihnen richtig perplex, wenn sie realisierten, dass ich gut vorbereitet war und mich für ganz andere Dinge interessierte als meine Kolleg*innen. Anfangs habe ich mich oft darüber geärgert, nicht ernst genommen zu werden, aber in Interview-Situationen kann dieses vermeintliche Machtgefälle durchaus von Vorteil sein. Weil ich das Überraschungsmoment in diesen Situationen auf meiner Seite habe und ich mein Gegenüber kurz aus dem Konzept bringen kann. Die spannendsten Antworten ergeben sich, wenn die befragte Person über die Frage nachdenken muss. In einem guten Interview erfahre ich nicht bloß, wie die Zusammenarbeit mit Produzent*in XY war, sondern erfahre etwas über die Menschen, die mir gegenübersitzen. Etwas, das zuvor noch nirgends zu lesen war.
Gibt es einen Lieblingsbeitrag (von anderen Musikjournalist:innen)?
Ein Interview, dass sich mir eingebrannt hat, ist eins, das Charlotte Roche für Fast Forward mit Mick Jagger geführt hat. Und zwar nicht, weil es inhaltlich herausragend war, sondern weil ich mich dabei bis heute sehr gut in Charlotte hineinversetzen kann. Es ist die Art Interview, vor dem man als Musikjournalist*in besonders nervös ist, weil man sich vorher nicht beschnuppern und mit Oberwasser in die Situation hineingehen kann. Man hat nur diesen einen Versuch und kann erst währenddessen austesten, wie die Stimmung ist und wie weit man gehen kann. Charlotte macht das sehr gut, sie tastet sich langsam an den Rockstar heran und man kann zusehen, wie er von Frage zu Frage lockerer wird. Etwa nach der Hälfte Gesprächs macht er ihr schließlich ein Kompliment für ihre Beobachtungsgabe und ab diesem Zeitpunkt wird das Interview für sie zum Selbstläufer. Ich kenne diesen Moment und habe ihn selbst schon oft erlebt. Dank eines solchen Kompliments weißt du, dass du gerade einen richtig guten Job machst und dass dir dein Gegenüber vertraut. Danach wird es meist freier, es wird mehr gelacht und es ist für beide Seiten okay, vom Skript abzuweichen. Ein Kompliment wie das von Mick Jagger ist ein Code, der ein Interview auf eine persönlichere Ebene hebt. Aber das muss man sich verdienen.
Dieselbe Frage auch für dich selbst: welchen Beitrag aus deinem Werkskatalog ordnest du aktuell als deinen wichtigsten ein?
Kurz nach dem Studium durfte ich die Queen of Rock’n’Roll Wanda Jackson interviewen und mit ihr über ihre jahrzehntelange Karriere sprechen. Es war ein Phoner und ich merkte im Laufe des Gesprächs, dass sie immer mehr Vertrauen zu mir fasste, bis sie schließlich begann, aus dem Nähkästchen zu plaudern und mir u. a. erzählte, dass sie ja auch mal Elvis Presley gedatet habe. Das Interview, für das ursprünglich drei Seiten eingeplant gewesen waren, wurde schließlich auf fünf Seiten erweitert und Wanda ließ mir später über ihre Agentin eine Einladung zu einem ihrer Konzerte zukommen. Nach der Show stellte ich mich ihrem Mann vor, der direkt in helle Aufregung verfiel und mich zu ihr brachte. Sie bedankte sich mit Tränen in den Augen für das wertschätzende Gespräch und brach prompt ihre eigene No-Photo-Regel für ein Erinnerungsbild mit mir. Leider ist es verschwommen, aber es bedeutet mir sehr viel. Vielleicht, weil ich damals begriffen habe, dass man mit einem richtig guten Interview nicht nur seine Leser*innen überraschen kann, sondern auch einen Weltstar, der sich nach all den Jahren mal wieder gesehen fühlt. (Link gibts leider nicht, da das Dynamite! Magazine inzwischen eingestellt wurde)
Hinsichtlich meines beruflichen Werdegangs, darf natürlich auch mein kaput-Artikel „Sexismus geh sterben“ nicht fehlen, in dem ich Ende 2020 auf die sexistischen Strukturen innerhalb der Punkszene aufmerksam gemacht und damit einiges losgetreten habe. Der Artikel ist damals auf unfassbar viel Resonanz gestoßen und war u. a. die Initialzündung für das Buch „Punk as F*ck – Die Szene aus FLINTA-Perspektive“, das ich 2022 gemeinsam mit Ronja Schwikowski im Ventil Verlag herausgebracht habe. Bis heute werde ich in Interviews auf den Artikel und meine darin geschilderten Erfahrungen angesprochen, obwohl ich mir damals eigentlich bloß kurz Luft machen wollte und nicht mit viel Feedback gerechnet habe. Ein klassischer Fall von: Unverhofft kommt oft. https://kaput-mag.com/stories-de/sexismus-geh-sterben/
Gibt es einen unveröffentlichten Beitrag von dir, den du schon immer gerne mal publizieren wolltest, es sich aber nicht ergeben hat? Kaput biete sich im Rahmen der Serie gerne dafür an. 😊
Ich habe mich letztes Jahr an etwas Neues herangewagt und eine Kurzgeschichte geschrieben. Nachdem ich sie eine Weile habe liegen lassen, habe ich sie dann drei Testleserinnen gegeben, die sie für gut befunden haben. Daher habe ich mir nun vorgenommen, sie bald einem entsprechenden Verlag anzubieten. Mal schauen, was daraus wird.
Deine 3 Lieblings-Musikjournalist:innen?
Die meisten Musikjournalist*innen sind mir ehrlich gesagt nicht besonders sympathisch, weil sie mir mit ihrem nutzlosen Gefachsimpel auf die Nerven gehen, deshalb muss ich mal kurz überlegen.
Also: Charlotte Roche, Sarah Kuttner und Markus Kavka, weil sie damals im Musikfernsehen mein Interesse für diesen Beruf entfacht haben.
Linus Volkmann, weil er einfach sein sehr spezielles Ding durchzieht und sich nicht davon limitieren lässt, welches Medium gerade ausstirbt oder besonders angesagt ist – er arbeitet unabhängig und multimedial, bleibt sich immer treu und macht auf eine glaubhafte Art und Weise das, worauf er gerade Bock hat. Ich glaube, ich ticke da ganz ähnlich.
Und last but not least Annett Scheffel. Wir haben zusammen studiert und obwohl sie in komplett anderen musikalischen Gefilden unterwegs ist, verfolge ich gespannt ihren Weg, der sie inzwischen nach LA geführt hat, und freue mich wahnsinnig für sie.
Und über den eigenen Horizont hinaus: wie empfindest du den Status Quo des Biotops Musikjournalismus im Jahr 2024 im Vergleich zu früher?
Ich fühle mich offen gesagt manchmal etwas betrogen, weil sich die Generation vor mir noch im goldenen Rausch der Neunzigerjahre, also in den großen Printmagazinen und im Musikfernsehen austoben konnte, während den aktuellen Newcomer*innen online alle Türen offen stehen und es dort inzwischen viele spannende Formate gibt, in die sie quasi hineinwachsen. Ich gehöre hingegen zu einer Generation von Musikjournalist*innen, die aus der Uni kamen, als die fetten Jahre gerade vorbei und Printmedien bereits am Aussterben waren. Es wurde kein Nachwuchs mehr eingestellt, Musikfernsehen war Schnee von gestern und Social Media wurde zu dem Zeitpunkt noch ausschließlich privat genutzt. Die ersten Jahre waren dementsprechend hart und als das Online-Game dann endlich an Fahrt aufnahm, standen bereits die nächsten in den Startlöchern. Mittlerweile habe ich meinen Weg gefunden, aber es gab Jahrgänge, die deutlich bessere Startvoraussetzungen als wir sie in den Zehnerjahren hatten.
Bereust du die Berufswahl manchmal?
Nein, weil ich als Freiberuflerin nicht auf Musikjournalismus festgelegt bin, sondern mich zwischendurch auch immer wieder anderen Themen widmen kann. Mir ist das wichtig, da Musik nur so eine Leidenschaft bleiben kann und dieser Teil meines Jobs so nicht irgendwann zu reiner Lohnarbeit verkommt, die ich bloß hinter mich bringen will.