Talking Musikjournalismus: Alexis Waltz

Alexis Waltz “Ein einzigartiges, freies Leben”

Alexis Waltz (Photo: Derin Senbaklavaci)

Kannst du dich an den ersten musikjournalistischen Text erinnern, den du gelesen hast?

Alexis Waltz: An keinen bestimmten Text, aber an die erste SPEX-Ausgabe, die ich in den Händen hielt, im Dezember 1990. Ich war 15 und verstand so gut wie gar nichts. Meine Mutter fragte mich, warum die Happy Mondays auf dem Cover auf dem Kopf abgebildet waren. Das konnte ich nicht erklären – aber gerade das reizte mich.

Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das in dir den Wunsch geweckt hat, selbst musikjournalistisch zu arbeiten?

Ich fand immer die Perspektive des Beobachters des Beobachters interessant – also nicht nur die Musik selbst unmittelbar zu erleben, sondern das Erleben der Musik durch andere nachzuvollziehen.

Ich hatte zahllose Schlüsselerlebnisse mit Texten von Musikjournalist:innen, Film- und Kunstkritiker:innen. Viele dieser Texte aus dem deutschsprachigen Raum sind in Spex, Intro, Groove, Frontpage, D2000, später in der de:bug erschienen, in England im NME und Melody Maker. Ebenso in der Kunstkritik in den ersten Jahren von Texte zur Kunst und im US-amerikanischen Magazins October mit Autor:innen wie Rosalind Krauss und Benjamin Buchloh, in der Filmkritik in Village Voice mit Autoren wie J. Hoberman, die sich zum Teil auf Manny Farber bezogen. Julie Burchill war ebenfalls eine große Inspiration. Grundlegend war die Filmkritik der Cahier du Cinema in der späten 1950er Jahren mit Texten von Jean-Luc Godard oder Francois Truffaut.

Was reizt dich am Format Musikjournalismus?

Das sich im Text eine Nähe zur Musik bewegt, aber nicht von einem unmittelbar Beteiligten stammt.

Was zeichnet für dich guten Musikjournalismus aus?

Das der Text mir etwas über die Musik sagt, das ich noch nicht wusste.

Gibt es einen Lieblingsbeitrag (von anderen Musikjournalist:innen)?

„President Bush’s Most Wanted – Unterwegs mit Ice-T“, die Ice-T-Geschichte von Diedrich Diederichsen, erschienen in Spex 5/92, in längerer Form abgedruckt in Diedrich Diederichsen, Freiheit macht arm: Das Leben nach Rock’n’Roll 1990–93.

Dieselbe Frage auch für dich selbst: welchen Beitrag aus deinem Werkskatalog ordnest du aktuell als deinen wichtigsten ein?

Mein erfolgreichster Text ist „Techno-Kapitalismus” mit knapp 160.000 Aufrufen. Für meine Karriere war die GROOVE-Coverstory vom Mai/ Juni 2008 über Ben Klock, Marcel Dettmann und das Berghain am wichtigsten, die in Tobias Rapps Buch „Lost and Sound: Berlin, Techno und der Easyjetset” wieder abgedruckt ist. Nachzulesen hier und hier.
Für mich persönlich die zahllosen Rezensionen, die ich zwischen 1998 und 2018 für die GROOVE und andere Magazine, Zeitschriften und Zeitungen verfasst habe.

Deine 3 Lieblings-Musikjournalist:innen?

Lester Bangs, Diedrich Diederichsen und Sascha Kösch.
Mein GROOVE-Kollege Max Fritz, die freien Autor:innen und die (Ex-)Praktikant:innen der GROOVE, mit denen ich zusammenarbeite, die mich täglich fordern und inspirieren.

Du bist selbst seit den 90er Jahren als Autor aktiv. Was sind die einschneidendsten Veränderungen in deinem persönlichen Berufsprofil über diesen Zeitraum?

Von den 1990ern bis 2018 war ich als freier Journalist tätig, was mit großen Freiheiten und großen Risiken verbunden war. Ab 2018 bin ich Chefredakteur der GROOVE. Damit genieße ich das Privileg einer der wenigen festangestellten Musikjournalisten im deutschsprachigen Raum zu sein.

Und über den eigenen Horizont hinaus: wie empfindest du den Status Quo des Biotops Musikjournalismus im Jahr 2024 im Vergleich zu früher?

Musikjournalismus ist in der deutschsprachigen Medienlandschaft fast vollständig verschwunden, das macht die Arbeit nicht einfacher, aber nicht weniger spannend.

(Wie) kann man Musikjournalismus in das Storytelling von TikTok und Instagram überführen?

Musikjournalismus lebt in den sozialen Medien weiter, zum Beispiel bei h4ck.mag oder in den Interviews von Bobbi Althoff, allerdings nicht mehr in Umfang, Breite und Teife wie früher. Das hat viele, auch musikjournalismusfremde Gründe.

Stichwort Karriere. Ab wann war Musikjournalismus für dich eine Berufsoption?

Ab Dezember 1990.

Bereust du die Berufswahl manchmal?

Es ist eine fordernde Berufswahl, die mich bisweilen verzweifelt hat, die mir aber ermöglicht hat, ein einzigartiges, freies Leben zu führen.

Letzter musikjournalistische Beitrag, der dir so richtig gut gefallen hat.

Unsere aktuellen Platten der Woche mit Reviews von Mirko Hecktor, Liron Klangwart, Christoph Braun, Tim Caspar Boehme und Jochen Ditschler.

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