Sonar Festival 2019

Schwarzen Wolken & Sonnenbrand

Die 26. Edition des Sónar Festivals fand vom 18. bis 20. Juli in Barcelona statt. An guter Musik mangelte es auch in diesem Jahr nicht – und doch konnte man die lauten Tage in der Sonne nicht ungetrübt genießen, zu düster muten die Zukunftsaussichten einer Branche an, die am Scheideweg steht.

 

Wir sind gerade noch 50 Höhenmeter von der Landebahn entfernt, als der Pilot die Eurowings-Maschine abrupt wieder nach oben zieht. Die Landung ist zu riskant. Über dem El Prat Flughafen von Barcelona wabbert eine schwarze Wolke, so dunkel, dass sie gut das Logo des Labels Blackest Ever Black zieren könnte, oder in einem Steven King Buch das Portal in die Gegenwelt in sich birgt.
Auch die nächsten drei Versuche werden nicht zu einer erfolgreichen Landung führen, erst als der Pilot eine andere, mir nach mehr als 20 Jahren Sónar unbekannte Landebahn anfliegt, die parallel zum Meer verläuft, bringt er die Maschine sicher zu Boden. Ausnahmeweise ist der Applaus mal angebracht.

Man kann dies als eine weitere trivial-stimmungsvolle Einleitung für einen musikjournalistischen Festivalbeitrag lesen. Jedoch, das Szenario passt schon sehr gut zu einer Branche, die sich zwar alle Mühe gibt, den Schein des Positiven zu wahren, doch hinter mal mehr mal weniger vorgehaltenen Händen erklingen die Klagen immer lauter. Denn es wird angesichts von Digitalisierungsfolgen und Brand-Abhängigkeit immer deutlicher, dass die Elektronische Musik in ihrer aktuellen Inkarnation auch nur eine weitere Branche wie alle anderen ist – eine, der in die Breite gesehen langsam aber sicher der Nährboden abhanden kommt.
Auch wenn niemand gerne über Gagen redet, so gilt doch auch hier die gesamtgesellschaftliche Entwicklung: die Schere zwischen arm und reich wird immer größer. Während die einen also im Privatjet fünf und mehr Gigs an einem Wochenende runterreißen, begleitet von Instagram-, Facebook- und Twitter-Posts, in denen die gesundheitliche Zurechnungsfähigkeit dieses Unterfangens nicht selten thematisiert wird, sind andere froh, wenn sie die kritische Menge von vier Bookings nicht unterschreiten, bei der der Monatsübersichtsflyer nur noch nach Rezession/Hobby aussehen und nicht mehr nach sich tragender Jobbilanz – ersteres mit mindestens drei Nullen hinter der ersten Zahl, manchmal gar mit vier.
Marktwirtschaft könnte man sagen, und fair enough. (Zu ähnlichen Zahlen kommt übrigens Berthold Seliger in seinem neuen Buch „Vom Imperiumgeschäft. Wie Großkonzerne die kulturelle Vielfalt zerstören“ für das Konzertgeschäft, er bilanziert, dass 5 Prozent der Performer_innen 85 Prozent der weltweiten Einnahmen generieren.) Aber eine derart zynische Trockenheit passt natürlich nicht zum allerorts kultivierten Level an Aufgeklärtheit, Nachdenklichkeit und vor allem zu der sozialmedial gelebten Zusammengehörigkeit.

Innervisions im Poble Espanyol
Der Samstag des Sónar Festivals gehört, das kann man so deutlich sagen: Innervisions. Das Berliner Label lädt jedes Jahr traditionel ab dem frühen Nachmittag in den Poble Espanyol, ein Freilichtmuseum am Fuße des Berges Montijuic, das 1929 anlässlich der Weltausstellung in Barcelona erbaut wurde und das als Ausflugsziel für alle Spanier gedacht war, die sich eine echte Rundreise durch ihr Land nicht leisten konnten. Das Lineup auch 2019 eine wohlkalkulierte Mischung aus dem Innervisions-Kernteams um Dixon und Âme, Freund_innen des Hauses und aktuell Akzente setzenden Künstler_innen: Job Jobse, John Talabot, Gerd Janson, Marcel Dettmann, Courtesy, Avlaon Emerson, Or:ca…

Die Sets sind dementsprechend durchgehend auf hohen Niveau. Man hört gerne zu – wenn, ja wenn man seine Ecke dafür gefunden hat. Das aber fällt nicht leicht, zu krass die Kulisse aus früh zugerichteten Besucher_innen – nüchtern betrachtet hat man es mit einer Menge an Spring Breaklern zu tun, die den Soundtrack zu ihrem Abschuss einfordern und dafür im fair trade, wenn man so will, jenes Geld in das System einbringen, das Privatjets und signifikant vierstellige Gagen ermöglicht.
Doch wer will den ersten Stein werfen. Wo sonst in der Branche ist denn noch Geld zu machen als auf dem als Ereignisspektakel aufgewerteten Dance Floor? Die Plattenverkäufe sind seit Jahren so regressiv, dass mittlerweile selbst 300 verkaufte Einheiten ein anerkennendes Oha auslösen, die Downloadzahlen rasen seit einiger Zeit in den Keller wie sonst nur der Bitcoinkurs, und Streamingzahlen lösen in Künstler_innen nicht nur keine Gefühle aus, die Erlöse reichen auch nicht um sich perspektivisch auf dem richtigen Weg zu fühlen.
Passenderweise erscheint während des diesjährigen Sonar Festivals ein Artikel von Phillip Sherburne auf Pitchfork, der sich mit den Auswirkungen von Streaming auf die Dj-Kultur auseinandersetzt: „How Streaming is about to reshape Dj Culture“.

Ob das wirklich alles so kausal laufen muss, wie es sich darin liest, oder ob nicht doch noch irgendwann das kritische Bewusstsein ein breiteres Revival erlebt und sich die Künstler_innen gegen den Gedanken sperren, dass sie sich nur noch im Territorium eines Anbieters (sei es nun Beatport, Soundcloud oder wer auch immer) bewegen, mal außen vor gelassen, führt doch kein Weg daran vorbei zu attestieren, dass hier eine Branche mehr oder weniger wehrlos dabei zugesehen hat, wie das eine Herz der Community, die Plattenläden, peu a peu von den dunklen Mächten übernommen wurden, um es mal bewusst dramatisch-pathetisch auszudrücken.

Das andere Herz, die Clubs, stehen vor einer ähnlichen Bedrohung angesichts von immer absurder werdenden Gagenforderungen in einem hochgejazzten Markt, nicht wenige sind schon längst an Live Nation und Konsorten verkauft und repräsentieren nur noch per Fassade und Name die ehemaligen Werte, hinter den Kulissen weht schon längst ein anderer Wind und herrscht damit verbunden ein gnadenloser Druck auf die Talent Buyer, wie es im Amerikanischen so schön kapitalistisch heißt. Ausnahmen wie der Golden Pudel Club in Hamburg, der Salon des Amateurs in Düsseldorf (aktuell geschlossen wegen Renovierungsarbeiten), das Garage Noord in Amsterdam, das Robert Johnson in Offenbach, das Blitz in München und ebenso Community-gestützt positionierte und mit DIY-Attitüde aufgeladene Läden auf den anderen Kontinenten stellen Ausnahmen dar, da sie aufgrund des kulturellen Kapitals, das mit ihnen verbunden wird, und den sich daraus ergebenden kleineren Gagenforderungen (noch) überleben können im Haifischbecken Clubkultur.

Die Schizophrenie, der die Branche unterliegt, sie ist jedenfalls an jenem Samstag omnipräsent zu spüren auf der Innervisions Party, sodann die Antenna noch nicht betäubt sind. Man muss kein Weltmeister am Rechenschieber sein, um zu wissen, dass das Geld, das hier rotiert, selbst wenn es dafür gedachte wäre nicht reichen würde, um bis nach unten durchzusickern. Was nicht bedeuten soll, dass es den Protagonist_innen egal ist. Das Gegenteil ist der Fall. So hat zum Beispiel Avalon Emerson in diesem Jahr den „Buy Music Club“ ins Leben gerufen, eine Website auf der Djs ihre Sets so anlegen können, dass alle gespielten Tracks kenntlich werden und direkt bei Bandcamp erwerbbar sind (sodenn dort vorhanden). Eine Idee, die viele Kolleg_innen begeistert aufgegriffen haben. Und auch dem bereits angesprochenen Booking von Innervisions ist anzumerken, dass sie sich der Probleme bewusst sind und im Rahmen ihrer Mittel versuchen, neue Soundpfade zu öffnen, zumindest für den kleinen aufgeklärten Teil ihres Publikums. Ähnlich lobenswert sind die an diversen Schaltstellen derart in Arbeit befindlichen Bemühungen, endlich DJ-Mixe im Netz fair abzurechnen, so dass bei den Labels und Künstler_innen, die – analog zu den Clubsets – diese speisen wieder etwas mehr ankommt. Ob das letztendlich in die Breite reichen wird, um das Produzieren und Labelmachen als ernsthafte ökonomische Perspektive zu erhalten, gilt es zu bezweifeln.

 

Sónar+D / Sónar by Day
Um all diese Themen – und um sehr viel Nerdzeug für Produzent_innen – geht es auf den Gängen des an das Sónar Festival angedockten (und von Seat präsentierten) Sónar+D, dem Teil des Festivals, der sich „Creativity, Technology & Business“ verschrieben hat. Auch hier bemerkt man im Abgleich zur Wuseligkeit auf den fünf Floors des Sónar by Day die Schräglage zwischen Ideal und Realität. Es ist nur ein Bruchteil der Besucher_innen, die in die Halle findet, um sich Panels und Vorträge anzuhören wie beispielsweise die Gesprächsrunde zwischen Heiko Hoffmann (Beatport), Ronny Krieger (Music Tech Consultant), Jack Bridges (SoundCloud) und Andrea Rosen (Traktor Product Owner) zum Thema „Creative tools for future dj culture“ (siehe den bereits erwähnten Artikel von Philip Sherburne) oder das Künstlergespräch zwischen Nicolas Collins und Christian Marclay, in dem der Künstler über sein Coming of Ages in der New Yorker Musik- und Kunstszene der späten 1970er Jahre spricht; Marclay ist begleitend zum Sónar im MACBA mit seiner Museumsshow „Compositions“ zu sehen.

Während das Sónar by Night gemeinhin als unbesuchbar gilt beim Branchenpublikum (in einer Mischung aus Faulheit, da außerhalb der Stadt gelegen, Ignoranz, da die sich professionell in der Branche betätigenden eh schon alles gesehen zu haben meinen, und schlichtweg Kaputtheit nach den bereits intensiven Sónar by Day Programm) – völlig zu Unrecht, denn wenn man mal da ist und den richtigen Floor gefunden hat, dann lässt sich dort durchaus mit Freude realisieren, dass Raven abseits von dem einen Milieu durchaus noch immer eine gelebte Utopie sein kann – erlebt das Sónar by Day seit einigen Jahren wieder einen künstlerisch-programmatischen Aufwind.
Auf aktull fünf Bühnen treten jeden Tag um die 30 Acts auf. Zuviel um auf alles einzugehen, aber genug um diverse Highlightmomente zu erleben. Und da es ja immer mehrere Wahrheiten und Geschichtsschreibungen gibt, hier mal meine vom diesjährigen Sónar by Day.

Herausragende Performance des ersten Tages: Afrodeutsche

Lobende Erwähnung: Ross from Friends

Herausragende Performance des zweiten Tages: Bill Kouligas (PAN Records)

 

Lobende Erwähnung: K Á R Y Y N

Herausragende Performance des dritten Tages: Erol Alkan

Leider verpasst: Red Axes.


Lucrecia Dalt, „Dazwischen“, Mies van der Rohe Pavillon

Es war eine Wohltat nach all dem Rauschen und Gröhlen bei Innervisions am Samstag dann den Montijuic hinabzusteigen, um Lucrecia Dalt´s Performance „Dazwischen“ im Mies van der Rohe Pavillon zu sehen. Die Wahlberlinerin Dalt bekommt aktuell mit ihrem auf RVNG Intl. erschienen Album „Anticlines“ endlich die Aufmerksamkeit, die ihr schon lange zusteht. Ihre Kompositionen tragen eine ganz eigene Verletzlichkeit in sich, hier werden keine behauptenden Narrative ausgebreitet, sondern Zweifel und Ängste geteilt. Der Pavillon, in dem Dalt die Performane gleich an drei Abenden hintereinander aufführt, bietet ihr den idealen Ort dafür, da die Performance fließend angelegt ist und man Dalt und zwei Mitperformerin zunächst durch die verwinkelte Architektur folgt, bevor sie ihr eigentliches Set betritt.


Off Sónar

Das Off Sónar ist schon längst nicht mehr der kulturpolitisch aufgeladene Proteststrang gegen das offizielle Sónar, als dass es einst begonnen hat, einige der abseits des regulären Programm stattfindenden Partys und Clubnächte werden gar vom Sónar mitveranstaltet – auch hier gilt: die Nachfrage bestimmt die Festivalpolitik.
Besonders beliebt unter Djs und Besucher_innen sind die Off Sónar Nächte im Moog Club, einem gerade mal 400 Leute fassenden Laden am unteren Ende der La Rambla. Hier legen Djs wie Optimo, Daniel Avery und Andrew Weatherall (alle dort in den  Jahren zuvor gesehen) zum Spaß und quasi ohne richtige Gage auf. Der Sonntagabend gehört traditionell Hivern, dem Label von Oriol Riverola aka John Talabot (einem kritisch-reflexiven Geist, mit dem man neben dem politischen Weltgeschehen auch stundenlang über die dunklen Wolken über der Branche reden kann), der selbst unangekündigt mit einem frühen Back-to-Back mit seinem Labelkollegen Daniel Baughman vertreten ist – weitere B2B-Sets kamen von Phran und Ylia sowie Interstellar Funk und Elena Colombi. Schöner hätte man sich das Ende der intensiven Tage nicht wünschen können. Für ein paar Stunden sind all die kritischen Gedanken ausgeblendet, verlieren sich alle in der Musik und lassen die Widersprüche des Alltags hinter sich.

Der lange Weg nach Hause
Am nächsten Tag verzögert sich der Abflug der Eurowings Maschine nach Köln/Bonn immer wieder. Am Ende wird sie Barcelona an diesem Abend nicht mehr verlassen – stattdessen überlässt die Airline uns Passagiere mehr oder weniger allein unserem Schicksal in einer klassischen Survival of the Fittest Inszenierung, bei der Gruppen auseinandergerissen werden, manche ein Hotel abbekommen und andere den Flughafenboden.
Die Ursache: die Beleuchtung am Notausgang der Maschine hat den Geist aufgegeben. Da passt es irgendwie, dass mit mir diverse (noch) Mitarbeiter_innen der Red Bull Music Academy auf den Abflug warten. Für sie war es ein besonders hartes Sónar Jahr, zum letzten Mal präsentierten sie eine Bühne auf dem Festival – wobei das andere Energielevel bereits zu spüren war, die Begeisterung und das Innovationsgspür, die das Team über Jahre eingebracht haben, sie waren bereits corporate ausgeblutet, und so wunderte es auch nicht, dass man die „Music Academy“ im Branding vergeblich suchte. An der Kritik an Red Bull Unternehmer Dietrich Mateschitz und seinen rechtslastigen Aussagen gilt es nicht zu rütteln, aber was man schon sagen muss: das Ende der Red Bull Music Academy und ihres Engagement gerade für junge, noch nicht etablierte Künstler_innen, es wird noch schmerzhaft nachhallen in den kommenden Jahren.

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