Record of the world

Egon Forever “Der Hit Tsunami”

Sehr viele geschmackssichere Menschen kennen Andre Lux als Zeichner der Egon Forever!-Comics. Jetzt veröffentlicht er mit “Der Hit Tsunami” eine ungefilterte Werkschau seiner musikalischen Versuche von 1994-2019. Es ist teilweise sogar hörbar.

Egon Forever
“Der Hit Tsunami”

Wer strahlte als Kind nicht über den schönen Kassettenrecorder zu Weihnachten? Jaok, so ziemlich jeder Mensch unter 30. Alle anderen kennen das magische Gefühl über ein externes oder internes Mikro die ersten wirklich “interessanten” Homerecording-Aufnahmen zu starten. Ich für meinen Teil habe diese gar nicht so guten Versuche zwischen Fantasie-Englisch und Märchen-Versuchen später mit einem Nirvana (gelogen: es war MC Hammer)-Album überspielt.

Andre Lux war und ist immer noch überzeugt, dass seine Lo-Fi-Aufnahmen doch noch für die einen größeren Publikum hörbar sein müssen. Der Begriff hörbar ist auf den 22 Songs äußerst dehnbar, aber immer tatsächlich immer wieder interessant. Wahrscheinlich weil einen “Die Furzbrüder” wieder in eine unschuldige Zeit ohne bedeken und Sinnfrage zurück holen. Da brüllen zwei Kinder, genauer der sehr junge Lux und sein damaliger Grundschul-Freund Michael Ohngemach, in einem schwäbischen Dialekt “Geiler Hund” und reimen ihn auf “Schlund”. Im Hintergrund scheppert unerbittlich ein Drum-Loop, der Rest geht im Analog-Rauschen und der wirklich gar nicht mal so dummen nach dem “Warum?” am Ende auf. Dada muss zum Glück nicht erklärt werden.

Sehr bemerkenswert sind auch die verschiedenen Pseudonyme wie “Das wahre Besteck”, “DJ Tekkno” und “The Shitworker feat. Dr. Spitz”, in denen sich gefühlt durch alle Musik-Genres ausprobiert wird. Wirklich schön ist das Don Henley-Cover von “Boyz of Summer”. Midi Sound und ein stoisches Voice Over-Programm ist tatsächlich ein  Duett, auf das vielleicht wenige warteten, aber ab jetzt bitte alle nachahmen sollten. Die Sauf-Hymne “Bier” dann lieber nicht. Diese Ode an das sehr beliebige Suff-Material wurde einfach schon zu oft von anderen Punk-Bands besungen und wird leider auch nicht der sicherlich charmanten Schrammel-Version von “Gesichtsmassaker” besser.

Der Aufforderung “Leute geht auf Scheißkonzerte” kommt ein Misanthrop wie ich sehr natürlich gerne nach. Wer kennt den Ablauf nicht: Hingehen, sich aufregen und anschließend in seiner eigenen Überlegenheit auf Facebook suhlen. Der Song ist einfach die beste Vertonung eines pointierten und schön sarkatischen Egon Forever-Comicstrips. Und es erinnert an das Coverartwork von “I heard they sucked live” von NOFX. Die schönsten Moment sind aber nicht in Krach-Punk zu finden, aber in den melancholischen Schlafzimmer-Produktionen wie “Dir g´hert eine in`s Gnick nei g`schlagt”. Kinderstimme, Synthie und ein Drum-Computer erklingen wie ein benutztes 8-Spur-Demo von Beck, also schon ziemlich geil. “Totally Bumberles“ erinnert hingegen von der Melodie an “Die Welt kann mich nicht mehr verstehen” und den immer noch großartigen “Freiburg 2.0”-Remix von Console.

Wer genügend Nerven mitbringt findet  also tatsächlich Gold in diesem Sammelsurium an Ideen, die zuweilen ziellos zwischen Gabba und Gaga verlaufen, aber auch schöne und unschuldige Momente in sich tragen. Nicht auszudenken wie eine CD von seinem Podcast-Kumpel Tobias Vogel geklungen hätte. Seine Krieg und Freitag-Zeichnungen sind praktisch die Poesie- Version der punkigen Egon-Comics. Wir sind Helden, Kettcar und wären hier wohl die unseligen Referenzen geworden. Das bleibt uns zum Glück erspart. Der Hit Tsuami ist weniger für die Masse, sondern wurde erst einmal an 100 glückliche Menschen verteilt. Ein paar behaupten sogar, dafür gezahlt zu haben. Andre Lux dürfen wir nun also nicht – neben Podcaster, Zeichner und Sozialarbeiter  – auch als Musiker kennen lernen, der sich auch dort unkonventionell und ohne Kompromisse ausdrück. “Der Hit Tsunami” gewährt 55 Minuten in seiner Gedankenwelt und da drin ist es wirklich interessant.

Text: Rinko Heidrich

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