Record of the week

Bilderbuch “SCHICK SCHOCK”

Ein einziges Album und ein ganzes Panorama an Einschätzungen. Gehuldigt sei dem zänkischen Irren mit Namen: Meinungspluralismus.
Kaput geht mit ihm zusammen hinter die Büsche – und lässt jede Woche eine Platte von mehreren Autoren besprechen. Diesmal Thomas Venker, Martin Riemann, Jens Friebe und Linus Volkmann über: “SCHICK SCHOCK” von Bilderbuch.

bilderbuch

Bilderbuch „SCHICK SCHOCK“ (Maschin Records / Universal)
Es gibt eine Minute auf der Platte, die ich liebe
, und zwar die erste vom Stück „Rosen Zum Plafond“. Ein Plafond ist, so entnehme ich es dem Lexikon, eine prunkvoll gestaltete Zimmerdecke, und die Vorstellung, zu ihm hinauf Rosen zu werfen, die dann wieder bunt herunterregnen, ist schön. Ein ebenfalls schöner weil zeitlos schlichter Computerbeat beginnt, dazu kommt nichts weiter als ein reizvoll rhythmisierter Gesang und eine mit ihm aufs Schickste verzahnte Blockflöte. Das zusammen funktioniert wahnsinnig gut, man hört, Bilderbuch sind Könner. Sie können aus fast nichts viel machen, und das können nur wenige, wie zum Beispiel Lil Wayne oder Prince. Bilderbuch sind aber leider keine Woller. Sie wollen nicht in die Ahnenreihe minimalistischer Meister. Sie wollen das Festival Rocken, also kommen nach Minute eins verzerrter Bass, Funkrock-Gitarre und Prügelschlagzeug rein, was heißt, ich bin raus.  Und so geht’s mir über weite Strecken bei Schick Schock. Es gibt genug gute Ideen, aber auch zu viel schlechtes Rumgemucke. Fuck for Geschmackspolizei, der Song ist der Song!, kann man vielleicht bei Leonard Cohen sagen, bei Bilderbuch gibt’s den Song oft erst als Summe seiner Poduktionseinzelteile. Diese sind aber gegeneinander empfindlich und anders als geschmäcklerisch gar nicht zu beurteilen. Dass die assoziative Partylöwenlyrik (Wortfeld Bling Bling, Lamborghini Copacabana) nicht das ist, was die Band ausmacht, wird sogar der ein oder andere Fan einräumen. Ich bin, wie man vielleicht hört, keiner. Aber ich habe Verständnis.
Jens Friebe

Vorneweg erstmal ein paar Bemerkungen. Ich habe noch nichts, also noch absolut gar nichts von Bilderbuch wissentlich wahrgenommen bislang. Das liegt daran, dass mir einige von den falschen Einflüsterern immer mit Wichtigkeit signalisierenden Gesten zu Verstehen gegeben haben, diese Band müsse man unbedingt wahrnehmen. Tja, wer da nicht bockt, ist selbst schuld. Allerdings sprachen auch gute Bekannte mit ebenso guten Musikgeschmack der Band das Wort zu. Insofern wird es wohl Zeit.
Also: „Willkommen im Dschungel“, wie das erste Stück des Albums ja passenderweise heißt. Tief in eben jenem wird nach Tracks gesucht und sich verbrecherisch gefühlt. Irgendwie sympathisch. Aber irgendwie auch nervig. Im einen Moment denkt man an weltoffenen amerikanischen HipHop mit Funkreferenzen, sagen wir, warum nicht: Jungle Brothers, weil so naheliegend, oder auch Gang Starr und A Tribe Called Quest. Oder auch Beastie Boys, da Bilderbuch ihren bouncenden Sound gerne mal verzerren und seltsam unterbrechen. Aber leider hat die Musik von Bilderbuch in dieser übertrieben ausgestellten Funkyness und Coolness auch was von Jan Delay (den ich übrigens als Person und was seine Frühphase inklusive des ersten Soloabums „Searchin for the Jan Soul Rebels“ angeht als Musiker schätze). So, jetzt ist es gesagt.
Diese Widersprüchlichkeit der Gefühle zeichnet das gesamte Album aus. Erinnert die trockene Step-and-Go-Rhythmik gerade noch an Jamie Lidell und Jimi Tenor (ab „Utopian Dream“ – sowie den Sachen auf dem von Tenor kuratierten Sähkö Sublabel Puu), so schwingen leider auch all die mit Jazz-, Soul- und Funkfetzen angereicherten elektronischen Produktionen unser Tage mit. Und dann ist da noch, als dritte Konstante im Sound, die Bilderbuchsche Idee von Humor: Heavy-Riffs und Soundzitat-Collagen sowie die kunterbunten Texte (auch diese von zwittriger Art, also mal von angenehm reflektierten Topic, mal aber einfach nur blödes Jungsgelabbere). Und nun? „SCHICK SCHOCK“ ist sympathisch wild produziert und setzt sich was Einfälle und Umsetzung angeht meilenweit vom durchschnittlichen deutschen HipHop-Müll ab – das erscheint einem aber auch gar nicht so sehr das Zielmilieu, sondern eher ein studentischeres Deichkind Klientel. Aber letztlich halten mich die Funkmania und die andere Seite der Texte merklich auf Distanz.
Thomas Venker

Bilderbuch? Klar, an die kann ich mich noch erinnern! Natürlich wegen „Maschin“. Der Song war 2014 ein Lichtblick. Er featurete verblüffend trickreich eingesetzte 90’s Funk-Reminiszenzen in Verbindung mit deutschsprachigem Gesang, wie man das so noch nie gehört hatte. Ein Geniestreich. Wäre die ganze Platte auch nur ein Echo von diesem Hit: Man könnte begeistert sein! Was nun also vorliegt, ist die hochantizipierte Funkbombe Bilderbuch. Will man diese unbedingt entschärfen, ist es allerdings egal, ob man das rote oder das blaue Kabel zuerst durchschneidet, das Ding geht auch so nicht hoch. Puff. Bilderbuchs Problem ist, dass diese semmelgesichtigen Jungs zwar ein geschmacksicheres Händchen für ihre facettenreiche Funkretrospektive ausspielen, aber leider in dem Punkt völlig versagen, dem dieses ganze notgeile Zeug als Ornament dient: der Sexyness. Das wiederum wäre an sich gar nicht so schlimm, würden die vier Wiener nicht dauernd verzweifelt versuchen, eben jene heraufzubeschwören, ob ironisch gebrochen oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Und hier sind wir bei der fatalen Schwelle, wo die ganze Geschichte nach hinten losgeht und man sich fühlt wie letztens bei dem  Typ, der einem seine ehrfurchtsgebietende Plattensammlung vorstellte, aber, hoppla, ein totaler Langweiler war. Vor und nach, man erinnert sich, „Maschin“ (Lied Nr. 7!) gibt es einfach keinen Höhepunkt, sondern nur Kunsthandwerk zu verzeichnen, G-Funk hin, orientalische Hooklines oder her. Von Ekstase ganz zu schweigen. Leider wird aber das Versprechen nach eben jener andauernd getriggert und so hinterlässt das Album einen, wie kurz vorm Scoren aus dem Club gespült – frustriert. Ich empfehle den Erwerb trotzdem dringend, wegen Lied Nr. 7.
Martin Riemann

Meine erste Begegnung mit dieser Band liegt schon zurück: Kunststück, denn so fresh, wie sie gerade gehandelt wird, ist sie gar nicht. So stellt „SCHICK SCHOCK“ eben auch nicht ein Debüt dar sondern Album Nummer drei. Los ging es mit zwei eher scheußlichen Platten. Ich weiß noch, wie ich bei „Die Pest in Piemont“ dachte, alles klar, davon verkauft ihr original 20 Stück jenseits der Alpen. Den stressigen Indie der Band vergaß ich schnell wieder, bloß den saublöden Namen hatte ich behalten. So wusste ich auch gleich, als mir 20xx ein Promoter das Video zum Song „Maschin“ anpries, was ich davon zu halten habe. Genau: Gar nix. Es begab sich also, dass ich vor lauter Vorurteilshuberei fast die größte Österreich-Sensation seit Cordoba verpasst hätte. Fast! Denn selbst mir fiel auf, dass sich bei den Ladenhütern aus Wien einiges getan hatte. Die Über-Stilisierung der Bilder ließ dabei auch einen anderen Blick auf ihre Musik werfen. Produktfetisch – das letzte große Tabu im Indie. Auch wenn jeder Mobilfunkkonzern sich mit den unabhängigen Sounds schmücken will, geht es bei solchen Liaisons ja stets darum, dass das Unternehmen im Licht des Konsumverweigerers dasteht und nicht umgekehrt. Doch genau diesen verboten obszönen Switch haben Bilderbuch vollzogen. Und ein weiterer Tabubruch im Biz folgte auf dem Fuß, statt hektisch den Fame der Single „Maschin“ mit dem nachgefickten Album einzusammeln, gaben sie sich einen Break und brauchten noch über ein Jahr fürs Album zum eigenen Hype. Mit dieser Verknappung stieg die Begehrlichkeit und garantierte ihnen nun dieses Hit-Album. Es klingt konstruiert, größenwahnsinnig und nicht immer trifft es den Ton der eigenen Überinszenierung – dennoch besitzt es auch so etwas Lässiges, ja Überhebliches, dass man es lieben muss. Es ist die große Anti-Indie-Platte. Eine, die in Deutschland immer keiner schreiben will, weil der erschreckend ungrößenwahnsinnige Dienstleistungs-Rock à la Revolverheld alles verkleistert hat. Bilderbuch haben da allerdings absolut keine Hemmungen, „SCHICK SCHOCK“ scheint zu sagen: „Arrogant? Das sieht nur von unten so aus!“
Linus Volkmann

 

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!