Car Seat Headrest „Making A Door Less Open“
Will Toledo will es wissen: Auf „Making A Door Less Open“ klingt sein Lo-Fi-Indie deutlich aufpolierter und wandert in verschiedenste Richtungen. Manchem Gewohnheitsfan verschließt er damit schon so halb die titelgebende Tür. Und das ist gut so.
Car Seat Headrest
„Making A Door Less Open“
(Matador / VÖ 01.05.2020)
Es ist schon ein kurioser Zufall, dass sich Will Toledo von Car Seat Headrest ausgerechnet für die Promo zu seinem am Freitag erscheinenden Album überlegt hat, mit einer Maske aufzutreten. Hierzulande ist es seit Anfang der Woche Pflicht, einen Mund- und Nasenschutz zu tragen, während es für den CSH-Frontmann ein künstlerisches Statement und Ausdruck einer neuen Freiheit darstellt – vor allem auf der Bühne, wo Toledo nach eigener Aussage immer noch eine enorme Nervosität aufgrund der vielen Blicke aus dem Publikum entwickelt. Wann er wiederum wieder auf der Bühne auftreten darf, das steht auf einem anderen Blatt.
Wie seine komplette Bühnenmontur mit Maske, Warnweste und Schutzhandschuhen aussieht kann man nicht nur auf den Pressefotos zu seinem neuen Album, sondern auch im Musikvideo zu „Martin“ sehen:
Besagter Will Toledo, Mastermind von Car Seat Headrest, war einer der herausragenden Indie-Musiker der 10er Jahre. Wie viele Zeitgenossen machte der junge Mann, der ursprünglich aus Leesburg, Virginia stammt, aber inzwischen in Seattle lebt, seinen Anfang auf der Musikplattform Bandcamp, wo er von 2010 an seine ersten Songs veröffentlichte – ohne Label, ohne Druck. Toledo versuchte nicht zu klingen wie irgendwer vor ihm, noch schrieb ihm wer vor, ein dämliches „The“ vor den eigenen Bandnamen zu hängen. Toledo betreibt ureigenene Indie-Musik, die dem Begriffsursprung gerecht wird und keiner Vermarktung unterstellt wurde. Dieser Hang zum Unkonventionellen, zum wenig Konformistischen soll sich auch später noch durch sein Werk ziehen.
Auf Bandcamp veröffentlichte Toledo insgesamt acht aus Lo-Fi-igen Homerecordings bestehende Alben, hinzu kommen mehrere EPs und Compilations. Erst 2015 verließ er die Spielwiese Bandcamp und veröffentlichte seither drei Alben beim Label Matador Records. Zwei von ihnen bestanden komplett oder zum Großteil aus alten Songs aus Bandcamp-Zeiten, die er neu und mit verbesserten Möglichkeiten im Studio aufnahm (nämlich die Alben „Teens of Style“ (2015) und „Twin Fantasy“ (2018)). Das Album dazwischen, es hieß „Teens of Denial“ (2016), setzte sich wiederum komplett aus Neukompositionen zusammen.
Komplett neues Material gibt es auch auf „Making A Door Less Open“ zu hören, dem insgesamt zwölften Car Seat Headrest-Album. Seine Gedanken zur Platte schrieb Toledo in einem mit den Worten „Newness and Strangeness“ überschriebenen Begleittext nieder, den man hier nachlesen kann. Darin erfährt man beispielsweise, dass sich seine musikalischen Hörgewohnheiten verändert haben, er immer mehr Songs und weniger Alben gehört hat. Auch wollte er mit der neuen Platten etwas anderes als bei seinen vorherigen Alben machen, weswegen er seinen Songwriting-Prozess kritisch überdacht hat.
Den Text verfasste Toledo unter seinem Künstlernamen Trait, den er als Mitglied seines elektronischen Nebenprojekts 1 TRAIT DANGER trägt, welches er gemeinsam mit dem Car Seat Headrest-Drummer Andrew Katz betreibt. Nun hatte das eigentliche Nebenprojekt einen großen Einfluss auf die Arbeit an „Making A Door Less Open“. Die Platte ist merklich elektronischer geworden, was man besonders gut in Songs wie „Life Worth Missing“ oder „Famous“ hören kann.
Das bereits erwähnte Nachdenken über das eigene künstlerische Schaffen und der kritische Umgang mit dem eigenen Songwriting hat es auch direkt aufs Album selbst geschafft, nämlich in Form eines Power-Pop-Songs mit dem vielsagenden Titel „Deadlines“, in dessen Refrain Toledo die tiefgreifende Zeile „This time I’m trying to get it right“ singt. Ein anderer spannender Satz lautet: „I have no idea how it will play on vinyl“. Das bezieht sich nicht nur auf das überarbeitete Songwriting, sondern auf den merklich volleren Klang und die klarere Produktion des neuen Albums, schließlich holte man sich für das Mastering von keinen Geringeren als Bernie Grundman ins Boot, der in der Vergangenheit Alben von Megastars wie Prince, Dr. Dre oder Outkast masterte.
Das Album, das, je nach Format, mit drei (!) verschiedenen Tracklists erscheinen wird, bringt in wenigen Momenten jedoch auch ein wenig Car Seat Headrest-Vertrautheit mit sich: Paradebeispiel ist das schwelgerische „Martin“, ein lupenreiner Indie-Überhit.
Der zentrale Song des Albums ist hingegen das mehr als sieben Minuten lange „There Must Be More Than Blood“, das zunächst offenkundig wie eine low-key 80er-Synthie-Ballade dahinzuplätschern scheint, sich dann aber nach mehrmaligem Hören als sprichwörtlicher Slowburner enttarnt. Vergleiche zu Bands wie The War on Drugs sind an dieser Stelle nicht abwegig.
Auch auf „Making A Door Less Open“ gibt es noch die Momente, in denen Toledo, inmitten der ganzen unwiderstehlichen Harmonien und dem oft slackerhaften Gesang, auch Räume für ein wenig Zorn, Kontrollverlust und fehlende Perfektion lässt: Wie in „Can’t Cool Me Down“, der ersten Single zum Album, in dessen Refrain er nicht ganz die hohen Töne trifft, was aber genauso so passt und er doch in Zukunft bitte nicht – sagen wir mal – besser machen soll.
Eine kleine Enttäuschung gibt es dann aber doch: Mit dem Song „Hollywood“, der musikalisch an Beck erinnert, hat Toledo einen knallharten Abgesang auf die amerikanische Filmbranche mitgebracht. „Hollywood makes me wanna puke“ brüllt er im Refrain, doch es bleibt nicht nur dabei: Der bitterböse, bedrohlich klingende Song wartet mit Strophen auf, in denen Toledo, gemeinsam mit einem rappenden Andrew Katz, Themen wie Machtmissbrauch, aber auch die Schnelllebigkeit des Filmgeschäfts anschneidet. Beispielsweise nehmen Car Seat Headrest an einer Stelle die herrschsüchtige Produzentenperspektive ein und singen: „I can make you famous / I can make you something“ oder fordern den Hörer auf, doch unbedingt einen ihrer Filme zu konsumieren, in dem sie ihn mit den Worten „Go see that movie!“ anschreien.
Der Song ist überaus direkt, doch die Gesellschafts- und Sozialkritik – es dürfte der #MeToo-Skandal gewesen sein, der sicherlich die Hauptinspiration für den Song war – bleibt oberflächlich, ja geradezu plump. Hier hätte man sich lyrisch mehr erwartet vom Eigenbrötler Toledo, der 2016 einen genialen Song namens „Drunk Drivers/Killer Whales“ schrieb und aus dem ebenfalls heftigen Thema Alkohol am Steuer eine melancholische Indie-Rock-Ballade über menschliches Empfinden nach einer durchzechten Nacht machte. Diese Art der Brechung, ja der Finesse fehlt „Hollywood“ leider. Hier wurde zum Rüberbringen der Botschaft leider der Dampfhammer rausgeholt.
„Making A Door Less Open“ ist trotzdem ein Album mit vielen Highlights und nur wenigen Lowlights geworden: Ein Werk über die Verarbeitung des selbstaufgesetzten künstlerischen Leistungsdrucks, wie auch ein spannendes Dokument über die größtenteils gelungene Symbiose zwischen einem musikalischem Haupt- und einem Nebenprojekt. Es war ein mutiger Schritt von Toledo – und wem ein Gang durch die titelgebende, leicht verschlossene Tür zu nervenaufreibend ist, der soll draußen bleiben. Für die anderen gibt es den bisher spannendsten Indie-Rock des Jahres.
Text: Florian Kölsch