Asmus Tietchens & Miki Yui „Neues Boot“ (TAL)
Asmus Tietchens & Miki Yui
„Neues Boot“
(TAL)
Kennengelernt haben sich Miki Yui und Asmus Tietchens, wie Miki neulich im Rahmen unseres “Deep Talk NRW”-Drehs (siehe unten) erzählte, bei einem Konzert von Yui in der Düsseldorfer Filmwerkstatt. Im Nachgang kultivierten die beiden Klangkünstler:innen eine Gesprächsfreundschaft, bei der es auch viel um Schiffe und Schiffgewerke ging – so erklären sich auch der Albumtitel „Neues Boot“ sowie der Album-Opener „Oboro“, ein Verweis auf einen Zerstörer der Fubuki-Klasse, die nach dem ersten Weltkrieg für die kaiserliche japanische Marine gebaut wurden.
Der Impuls zur Kollaboration kam von TAL-Labelbetreiber Stefan Schneider, der, selbst Musiker (Mapstation, Kreidler, To Rococo Rot), ein gutes Gespür für das hier schlummernde Potential hatte. Denn Yui und Tietchens sind sich durchaus ähnlich in ihrer Negation von Improvisation, der Neigung zur Sorgfalt und den sparsamen Umgang mit Klangmaterial. Analog zu ihren sonstigen Produktionen speist sich das „Neue Boot“ aus der Summe von ihnen aufgenommen Field Recordings und Sounds, im Dialog positioniert und relativ kenntlich behalten und wenig nachbearbeitet. Insofern passt auch das Covermotiv „Gletscher“ von Detlef Orlopp sehr gut, das ebenso sensibel ein natürliches Ambiente zum Gegenstand der Kunst werden lässt ohne es der eigenen Aura zu berauben.
Interessanterweise war Kōdō, die traditionelle japanische Kunst zur Wertschätzung der Düfte und des Räucherwerks in Verbindung mit speziellen Verhaltensregeln, der Ausgangspunkt für das Album. Das mag zunächst überraschen, da Miki Yui eigentlich jegliches Klischee von Japan aus ihrer Musik herauszuhalten versucht. Aber Tietchens hatte ein Buch über die Kōdō-Zeremonie gelesen und die Idee einer gemeinsamen Klangreise über die Grenzen kausal definierter Sinneswahrnehmung, bei der man Klang wie Duft behandelt, inspirierte auch Yui sofort. Die Ergebnisse dieser Reise in das Innere der Sounds sind so divergent wie es die Titel ausdrücken: mal landeten die beiden auf der „Amanogawa“ (Milchstraße), ein anderes Mal bei der japanische Visual-Kei-Rockband „Kagerou“. Nur eins ist „Neues Boot“ nicht: schwach – dass das letzte Stück des Albums „Usurai“ heißt, ist definitiv ein Akt performativer Über-Bescheidenheit von zwei Ausnahmekünstler:innen.
Thomas Venker
Die Besprechung ist originär für die Juni-Printausgabe der Stadtrevue entstanden und erscheint hier mit freundlicher Genehmigung der Redaktion in leicht modifizierter Form.