Anika „Abyss”
Anika
„Abyss”
(Sacred Bones/Cargo)
In Berlin, Köln und Frankfurt werden wir sie mit vierköpfiger Band zeitnah bestaunen können: Annika Henderson aka Anika hatte mich zuletzt musikalisch total begeistert mit ihren zwischen Entgeisterung und hauntologischen Momenten hin und her mäandrierenden Sounds und Lyrics auf dem metallisch-wundervollen „Change“-Album 2021. Der Hoffnung spendende Titelsongtrack diente in seiner kühlen Wärme als persönlicher All Time Favorit der eigenen eklektopuristischen Indie Disco zwischen Aldous Harding, Gewalt und Lucrecia Dalt. Wobei ihr phantastisches Debüt featuring „I Go to Sleep“ von Ray Davies ebenfalls im virtuellen Bestenlistenregal steht.
Anikas Songs, ob nun wilde Coverversionen oder eigene Lieder, berühren immer wieder zitiefst, ohne das erklären zu können. Und genau das ist gut. Hineinfallen in evozierte Gefühle, entworfene Imaginationen, sicherlich vor 15 Jahren nicht ganz unschuldig daran, Anikas Entdecker Geoff Barrow (Invada Records, Portishead, Beak usw.). Weniger als Archäologe oder Mentor, das konnte die Promoterin und Journalistin Anika und auch ihre ureigene Band Exploded View, deren Martin Thulin hier kräftig mitwirkt, schon allerbestens selbst. Mehr als Schnittstelle und Begleitung.
Auf „Abyss“ bewegt sich Anika für mich noch weiter weg aus gloomy TripHop und doomy New Wave-Kälte hinein in androgynen Post Punk und das, was mal als Genre ‚Indie‘ genannt wurde. Es wird deutlich krachiger und extrovertierter, höre „Hearsay“ zum Auftakt oder auch den Titelsong. Die Sprachspiele von einstigen Kultbands wie den 39 Clocks, auf die Diedrich Diederichsen in seinem erkenntnisreichen Beitrag „Singing in German: Pop Music and the Question of Language“ in dem von mir mit Michael Ahlers herausgegebenen Kompendium (Ashgate/Routledge 2017) eingeht, wenn er gewissermaßen extra schlecht Englisch und bewusst nicht Deutsch singende Bands der späten 1970er und frühen 1980er beschreibt, finden hier aus einer anderen Perspektive Niederschlag. Anika ist offenbar bilingual sehr erfahren, ihr Englisch wirkt dennoch seltsam entrückt und distanziert und damit tatsächlich angelehnt an die genannten Stile, wenn auch in 2025.
Ist das nun schon wieder ein Revival? Ich glaube, Bezüge können erkannt werden, müssen sie aber gar nicht, um dieses Album absolut zu mögen. „Honey“ und noch mehr „Out of The Shadows“ sind für mich fast schon Stooges, Sonic Youth, The Jesus & Mary Chain, A Place To Bury Strangers, The Raveonettes evtl. noch ein bisschen britischer Post Punk, aber weiter weg von Velvet Underground, Nico, Suicide oder Spacemen 3, an die ich zuvor immer mal angenehm denken musste.
Wobei… Kennt eigentlich noch jemand Thalia Zedeks Live Skull und Come? „Walk Away“ erinnert dann wieder an das erwähnte „Change“, eher als an den gleichnamigen dunklen 1980er-Psychedelic Wave-Hit der Sisters of Mercy. Weniger grummeliger als vielmehr schillernder Abschied. Wer will schon unauffällig alleine sein? Die Songs wurden live und direkt in den legendären Hansa-Studios aufgenommen (Einstürzende Neubauten, Depeche Mode, David Bowie, Nick Cave, Iggy Pop), das Raue, das Unperfekte, Differente scheinen nicht ohne Zusammenhang mit diesen Gegebenheiten zu sein. Nicht nur Teenage, sondern brandaktuelle Everybody‘s Angst, das hier. Phew, auf geht’s into the Abyss. In majestätischem Untergang in die leuchtende Tiefsee – voller Liebe.