Alex Garland: "Civil War" / Besprechung von Jens Balkenborg

USA: Eskalationsspiralen im Ausnahmezustand

 

»Civil War« (Photo, courtesy A24 Films)


Amerika brennt in »Civil War«, nicht nur metaphorisch, sondern buchstäblich. Die »Western Forces«, eine Kriegskoalition zwischen Kalifornien und Texas, kämpfen gegen Regierungstruppen und einen in Washington verbarrikadierten autoritären Präsidenten, der sich selbst eine verfassungswidrige dritte Amtszeit gegönnt und das FBI aufgelöst hat.

Klar, dass Alex Garland mit dem bürgerkriegszerrütteten Amerika in »Civil War« eine ganze Palette an Themen triggert, Stichwort Sturm auf das amerikanische Kapitol oder Kulturkampf. Zumal der Film 2024, im Jahr der US-Wahlen, in den Kinos startet. Wer die Inhaltszusammenfassung gelesen oder den Trailer gesehen hat, der kommt nicht umhin, den Film als Kommentar auf das Amerika der Gegenwart zu lesen, als zugespitzte Dystopie infolge eines Trump’schen Widergängers.

 

Auch wenn das alles am Rande mitwehen mag: »Civil War« ist kein Film über die aktuelle US-Politik oder über Trump, sondern geht weit darüber hinaus. Garland hält die Hintergründe seines dystopischen Szenarios und die politischen Bezüge bewusst im Vagen und erzeugt genau dadurch einen so produktiven wie eindrücklichen Diskursraum.

Alex Garland  am Set (Photo, courtesy A24 Films)

Einmal mehr zeigt sich der britische Regisseur als Grenzgänger, der seine Figuren an genreinduzierte kinematografische Ränder zeitgenössischer Diskurse treibt. In seinem Debüt »Ex Machina« um zwei Männer und ein Robotermädchen verhandelte er die Frage, was den Menschen menschlich macht; in der Netflixproduktion »Auslöschung« schickte er einen Trupp aus fünf Frauen in eine geheimnisvolle Zone, in der sich Mensch, Tier und Natur in ständiger Mutation befinden. Mit »Men« inszenierte er einen stilbewussten Folk-Horror, der sich als exzentrische Allegorie auf Trauma und toxische Männlichkeit entpuppte.

Auch »Civil War« ist ein zutiefst subversiver Film: über Eskalationsspiralen im Ausnahmezustand, vor allem aber über die Inszenierung und Dokumentation des Krieges als Reaktion auf die gegenwärtige Bildgeilheit. Doch welche Geschichten stecken hinter dem visuellen »Content«, hinter den abertausenden Bildern, die uns um die Ohren gehauen werden?

Man darf eine der vielen herausragenden Szene denn auch als motivische Setzung lesen. Gerade noch hat die renommierte Kriegsfotografin Lee (Kirsten Dunst) Nachwuchsfotografin Jessie (Cailee Spaeny) aus einer brenzlichen Situation geholfen, da rennt ein Selbstmordattentäter in die Menge und tötet dutzende Menschen. Während der Film selbst taumelt, der Ton und die Welt für einen Moment stillzustehen scheinen, beobachtet Jessie, wie ihr großes Vorbild mit der Kamera auf die Leichenberge draufhält und macht ihrerseits ein Foto von der Fotografierenden. »Civil War« erzählt von der Macht Bilder und davon, deren Mechanismen zu hinterfragen – und zwar auf allen Ebenen.

»Civil War« (Photo, courtesy A24 Films)

Die Story: Reuters-Reporter Joel (Wagner Moura), Lee, die übermotivierte Jessie und der alte New York Times-Hase Sammy (Stephen McKinley Henderson) machen sich auf den – ebenfalls nicht metaphorischen – Weg ins Herz der Finsternis, um das erste Interview seit langem mit dem 500 Meilen entfernten Präsidenten in Washington D.C. zu bekommen. Auf den Stationen des Weges zeigt sich ein Land am Abgrund.

Was sich wie ein Roadtrip annimmt und teils locker-flockig mit Genreversatzstücken jongliert, ist eine Abrechnung mit plumpen Inszenierungsstrategien. Immer wieder bricht der stimmungsvolle Soundtrack während der Fahrt Richtung Hauptstadt ab, werden drastische Bilder reinmontiert. Garland pflanzt Bilder, die aus den Kriegen der Gegenwart übermittelt wurden, aus der Ukraine oder aus Syrien, in sein Amerika: Leichen in Massengräbern, ein Mensch, der bei lebendigem Leib verbrannt wird. Dazwischen dann eine vor schrecklicher Schönheit platzende Zeitlupeneinstellung, in der das Quartett durch einen brennenden Wald fährt. In diesen Gegensätzen zwischen Drastik und Stilisierung reflektiert Garland sein Medium.

Die Perspektive, die er wählt, ist so konsequent wie verstörend, denn Kriegsfotografinnen kämpfen an vorderster Front für die Bilder, die um die Welt gehen – heute in unfassbarer Geschwindigkeit über Sozialen Medien, die in »Civil War« zwar keine Rolle spielen und doch allgegenwärtig scheinen. Die Fotografinnen handeln im Sinne des journalistischen Ethos der dokumentarischen Aufklärung und werden zugleich von einem Horror-Lifestyle getrieben. Jessie sagt einmal, sie habe sich noch nie so gefürchtet und zugleich so lebendig gefühlt. Die Assoziation von der Kamera als Waffe drängt sich bei dem Berufsstand auf.

Alex Garland und Schauspieler am Set (Photo, courtesy A24 Films)

Kriegsfotografen bringen mit ihren Bildern Licht ins historische Dunkel der Kriege. Es sind, davon erzählten zuvor auch andere Kriegsfotografenfilme, Bilder, die es geben muss, die allerdings einen hohen Preis haben, auf ganz verschiedenen Ebenen, vor allem auch auf der persönlichen. An dieser Ambivalenz arbeitete sich Christian Frei in »War Photographer«, seinem Porträt des Kriegsfotografen James Nachtwey, ab. Oder auch Matthew Heineman, der in seinem Biopic »A Private War« von der amerikanischen Journalistin Marie Colvin erzählte, die unter anderem für die Sunday Times aus Krisen- und Kriegsgebieten berichtet hat und 2012 bei einem Artillerieangriff im syrischen Homs ums Leben kam.

Garland urteilt nicht über sein Quartett, sondern erzählt über seine menschlichen Figuren, vor allem über Lee und Jessie, vom Ende einer visuellen Unschuld. Während erstere alles fotografiert und sich der reinen Dokumentation verschrieben hat (»Wir nehmen es auf, damit andere Leute Fragen stellen«), leckt der Nachwuchs nach ersten Schwierigkeiten Blut und läuft später Schulter an Schulter mit den Einsatztruppen durch zerbombte Straßen.

Der britische Regisseur holt das Subgenre in eine dystopische Zuspitzung unserer Gegenwart. Denn wo zuvor Kriegsfotografen in Filmen eine moralische Metapher waren als Aufrechte im Krieg gegen die menschliche Verwirrung, agieren sie in »Civil War« in einer Welt, der jegliche Rationalität abhanden gekommen ist, einer Welt am Rande des Abgrunds, in der sie die Dienstleister sind für eine Lust nach Gewaltbildern bar jeglicher Moral.

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