„Bad Times at the El Royale“

“Are you watching me?”

Bildschirmfoto 2018-10-08 um 17.03.25Ein halbnackter Chris Hemsworth schreitet durch ein Meer aus Blumen und tanzt im flackernden Feuerschein. Und auch sonst macht „Bad Times at the El Royale“ vieles richtig. Sagt Maria Engler. 

Aufblende. Ein recht fade eingerichtetes Hotelzimmer liegt im Bild wie eine abgenutzte Theaterbühne. Ein Mann tritt ein, rückt alle Möbel in eine Ecke, entfernt den Dielenfußboden, lässt eine Tasche in den Raum darunter fallen, räumt alles wieder auf – und wird erschossen. In nicht einmal einer Minute etabliert „Bad Times at the El Royale“ nicht nur seine bis ins kleinste Details ausdefinierte Ästhetik, sondern auch einen narrativen Dreh- und Angelpunkt für die folgenden 140 Minuten Laufzeit.

Der Ort des Geschehens in „Bad Times at the El Royale“ ist ein abgelegenes Hotel, formal geteilt in die Staaten Kalifornien und Nevada, was die ambivalenten Zustände im Etablissement gut auf den Punkt bringt. Denn wie die wild zusammengewürfelt erscheinenden Gäste des Hotels, unter ihnen ein Geheimagent, ein Priester und eine Sängerin, bald feststellen müssen, stehen all ihre Zimmer durch Einwegspiegel zur ständigen Beobachtung bereit und so werden aus wohlgehüteten Geheimnisse schnell öffentliche Erregnisse und ein Zyklus der Gewalt beginnt.

Enthusiastisch bedient sich Regisseur Drew Goddard (der unter anderem an den Drehbüchern zu „Buffy“ und „Lost“mitwirkte) zahlreicher filmischer Eigenheiten aus der Trickkiste von Quentin Tarantino oder den Coen-Brüdern: der Koffer voller Geld, die spontane Ansammlung unglücklicher Umstände, die skurrilen Figuren in noch skurrileren Umgebungen, die unterschwellig spannungsgeladenen Dialoge, die Einteilung in Kapitel und schließlich die selbstironischen Tanzeinlagen …. doch da all diese wohlbekannten Elemente freudvoll zu einem Film-Noir-Potpourri vermischt werden, gelingt es ihm seinen eigenen Reiz zu entfalten.

Anders als in seinem zurecht hochgelobten Debüt „The Cabin in the Woods“ ist Goddard in „Bad Times at the El Royale“ nicht auf den großen, markerschütternden Twist aus. Stattdessen werden Geheimnisse und überraschende Wendungen in einem kontinuierlichen Erzählfluss langsam entblättert. Mit diesem Hang zum detaillierten Auserzählen entwickelt der Film allerdings seine Längen. Jedes Geheimnis, jede Vorgeschichte jeder einzelnen Figur wird erbarmungslos entblößt, jedes Anekdötchen hat seinen Platz in diesem zweieinhalbstündigen, sauber ausgeleuchteten Kammerspiel, das sich in seinen schwächsten Momenten leider auch so anfühlt. Die sicht- und spürbare Konstruiertheit und die daraus entstehende Steifheit der Inszenierung nehmen dem Ganzen ein Stück weit das Identifikationsmoment und die Spannung.

Auf der anderen Seite ist die detailverliebte Konstruktion des Films aber auch seine größte Stärke. Sowohl Ästhetik und Musik als auch Handlung sind klug und konsequent in ein stylisches 60er-Jahre-Setting verpackt, das auf allen Ebenen überzeug: so flimmert Nixons in Erklärungsnot über die Fernsehschirme, bewegen sich frisch traumatisierte Vietnam-Veteranen durch die Handlung, gibt es Sektenführer im Stil von Charles Manson und das Thema “Missbrauch im Showgeschäft” kommt auch nicht zu kurz. Goddard gelingt es also gut, den Zeitgeist der amerikanischen Gesellschaft Ende der 60er Jahre einzufangen und ihre Auswirkungen bis heute auszuspielen.

Wie bereits in „The Cabin in the Woods“ spielt der Themenkomplex der Überwachung inklusive einer selbstreflexiven Auseinandersetzung mit Voyeurismus eine entscheidende Rolle. Der Einwegspiegel ist nur das banalste Setting hierbei, es geht generell um Grenzen, Blickkonstruktionen und deren ständige Zerstörung oder Übertretung. Auf leisen Sohlen oder mit der großen Geste werden die Grenzen zwischen verschiedenen Regelsystemen überschritten, Wände eingerissen, Spiegelwände zerschlagen und Voyeure erschossen – dem wahren Voyeur, dem Kinozuschauer selbst, geht es aber nie an den Kragen. Hinterrücks konstruiert „Bad Times at the El Royale“ mediale Selbstreflexion auf höchstem Niveau und bleibt dabei trotzdem stets unterhaltsam.

Alles in allem ist „Bad Times at the El Royale“ ein detailverliebt komponierter und ästhetisch enorm ansprechender Film. Die vielschichtige hintergründige Themenkomplexe laden zum gedanklichen Verweilen ein, wenn sich auf der narrativen Hauptstraße gerade einmal eine längere Durststrecke anbahnt. Hinzu gesellt sich ein großartiger Cast mit einer in jeder Hinsicht überzeugenden Cynthia Erivo, einem mitreißend verletzlichen Jeff Bridges und einem herrlich selbstverliebten Chris Hemsworth.
Maria Engler

 

 

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