HOWLING “SACRED GROUND”
HOWLING
“SACRED GROUND”
(Monkeytown Records / Counter Records)
Wann hat das denn noch mal genau angefangen, dass so viel elektronische Musik so unerträglich platt einen auf emotional macht? Und wie kann es sein, dass so viele das Jaulen, das dabei herauskommt, fälschlicherweise als Gefühlswallung lesen?
Bei allem Verständnis für die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und das Aufgehen in einer gewissen Art von Heimeligkeit, aber Fallenlassen in soziale Umarmungen geht doch auch – oder erst recht – mit Musik, die andere, tollere Räume aufzumachen vermag als diese gekünstelten Selbstdarstellungsbühnen. Zum Beispiel Deephouse der klassischen Art, doch statt dessen an Gospel geschulten Gesang soll es nun Folk richten und so säuselt jetzt zumeist ein ach so sensibler Sänger über ein belangloses Sound-Setting. Unerträglich.
“Sacred Ground” hatte es insofern nicht leicht bei mir. Denn “Howling”, das namensstiftende Stück des gemeinsamen Projekts von Frank Wiedemann (der mit Kristian Rädle als Âme produziert) und des Australiers Cmmuning Howling (die eine Hälfte von The Acid), ist für mich im Innervisions Katalog so etwas wie ein störender Fleck – und ja, mir ist bewusst, dass ich damit so ziemlich alleine dastehe und es die Hymne des Jahres 2012 für viele darstellt. Ich will Howling natürlich auch nicht in die Schublade mit dem im ersten Absatz beschriebenen Problemsound schmeißen, dazu sind die Produktionen viel zu vielschichtig (wie gut sie an sich sind, zeigt sich beispielsweise beim an Brian Eno erinnernden Instrumentalstück “Zürich”), aber sie wollen in der Kombination hier einfach nicht funktionieren, sondern ergeben nur etwas, was sich wie eine schlechte elektronische Coverversion der Kings of Convenience anfühlt.
Dass die Kombination der beiden so unterschiedlichen Songwriter auch anderes hervorzubringen vermag, davon zeugt auf “Sacred Ground” ein Stück wie Forrest” in seiner halluzinogenen Triballastigkeit. Hier wird die Stimme nicht so nervig penetrant ausgestellt, sondern darf sich mal für ein paar Minuten wirklich in ein Mantra verlieren, dem man sich in seinem Strudel anschließen mag. Doch leider schenken uns die beiden selten diese persönliche Nahaufnahme und zoomen meistens raus und setzen stattdessen auf Breitwandepos.
Thomas Venker
Die Geschichte von Howling ist in drei Worten erzählt: Ein überraschender Hit. Okay, man könnte noch eines der Wörter weglassen, aber das würde die Tatsache verhehlen, dass Sänger Ry X und sein Produzentenpartner Frank Wiedemann vor zwei Jahren wahrscheinlich wirklich nicht mit der großen Resonanz auf den Song, der sie hier nun zusammenschweißt, gerechnet hatten. Eine ruppig angeschlagene Akustikgitarre traf scheinbar goldrichtig auf Ry Xs gutklingende Stimme, die samtig-gebrochen irgendeine Form von Leidenschaft simulierte. Dabei sorgten die aufdringlich subtil eingegossenen elektronischen Elemente für den Eintritt in solche Sphären, in denen es offensichtlich eine Nachfrage nach stilvoll angehouster Entspannung gibt. Manch einen mag dieses Bedürfnis rätselhaft erscheinen, aber das soll die Qualität von dem 2012 erschienen Impuls für dieses Projekt nicht schmälern. Es zeigte Wirkung und war in aller Unschuld entstanden. Korrekt genug.
Mit „Sacred Grounds“ verhält sich das etwas anderes. Es ist das Destillat dessen, was der Song „Howling“ noch in Rohform war. So bekommt der Fan vom Song einfach noch mehr skelettös arrangierte Klagelieder präsentiert – wobei man wirklich gern wissen würde, ob die hier kultivierte Larmoyanz eine Manifestation tatsächlichen Leidens darstellt, oder ob der Sänger einfach keine andere Ausdrucksmöglichkeit beherrscht. Die Hintergrundmusik dazu entspricht handwerklich dem aktuellen Standard, spiegelt allerdings in ihrer zwanghaften Aufgeräumtheit einen fast manischen Hang zu gewerbsmäßiger Ödnis wider. Eignet sich möglicherweise zur Präsentation hochpreisiger Produkte. Das wäre dann der nächste Jackpot.
Martin Riemann