Eigentlich überall

„Lange Zeit roch Jazz etwas komisch“ – McCraven live

„Eigentlich überall“ ist weiterhin die sehr beliebte Live-Kolumne von der mobilen Popjourno-Brigade – give a warm hand to Benjamin Moldenhauer und Saskia Timm. Heute schreibt Benjamin über ein Konzert von McCraven im Theater zu Bremen. Ein Abend am Trog von Improjazz – und weit darüber hinaus. 

Foto: Moldenhauer/Timm

Jazz ist schon immer wieder das Schönste. Für lange Zeit roch er etwas komisch: Free-Jazz-Spießer auf der einen Seite, Till Brönner auf der anderen hatten das Genre für lange Jahre zumindest oberflächlich gesehen fest im Zangengriff. In der Wahrnehmung von – ich sag mal – Pop- und Rockfans, jenseits der Jazz-Kennerkreise (die natürlich auch etwas Fürchterliches haben). An den Alben, die das Label International Anthem seit 2012 veröffentlicht, kann man exemplarisch hören, wie eine Renaissance aussehen kann. Verbunden mit den tatsächlich sehr freien Spielweisen, die in Chicago entwickelt worden sind, der Stadt, die das Art Ensemble of Chicago und damit verbunden die Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM) hervorgebracht hat, haut International Anthem Monat für Monat eine traumhaft schöne Platte nach der anderen raus.

Im Besonderen anhand der Musik des sehr umtriebigen Schlagzeugers Makaya McCraven kann man nachvollziehen, wie eine Herangehensweise an Jazz im weitesten Sinne und die entsprechenden Sounds heute gebaut sein und klingen können. Eigentlich aber ist das, wie jeder Jazz, Live-Musik. Konzerte von International-Anthem-Acts sind hierzulande allerdings leider rar (Tortoise, die inzwischen ebenfalls ihre Alben auf International Anthem veröffentlichen, touren im Januar 2026 durch Deutschland; da schließt sich dann auch ein Kreis: Das Label ist eng verbunden mit der Musik, die man in den Neunziger- und Nullerjahren Postrock nannte).

Im November spielte McCraven immerhin drei, eins auf dem Berliner Jazzfest, einem beim EnjoyJazz, und eins im Schauspielhaus des Bremer Theaters. Wenn man die Wahl zwischen einem Sitz- und einem Stehkonzert hat, geht man – wenn man das trotz hohem Alter noch packt – zum Stehkonzert. McCraven trat in Bremen zusammen mit Marquis Hill (Trompete, allerlei Gedengel), Matt Gold (Gitarre) und dem Bassisten Junius Paul auf. Seine Alben sind aus Live-Aufnahmen kompiliert, in dieser frei ums Schlagzeug herum organisierten Musik verbinden sich Improvisation und Zugänglichkeit in den denkbar schönsten Weisen. Die Musik von Makaya McCraven ist tanzbar, hat die Strukturen und die Geschichte von IDM und HipHop internalisiert, ohne zum doofen Crossover zu werden. Alles, was sich ergibt, fließt in die Stücke ein und wird dann im Nachgang mit einer ungeheuren Leichtigkeit zu organischen und – zumindest live – nie gefälligen Klangkörpern zusammengemischt.

Improvisation sei nichts Besonderes, erklärte McCraven in der Mitte des Sets, wir würden alle immer improvisieren, um das Leben in dieser wunderschönen, schrecklichen Welt auf die Reihe kriegen zu können. Und das stimmt ja auch; wenn die Improvisation aufhört, setzt Verhärtung ein, in der Musik wie im Leben. Mehr als auf den Moment reagieren, würden er und seine Leute in ihrer Musik jedenfalls auch nicht tun. Sprach’s, setzte sich wieder ans Schlagzeug, und legte mitsamt Band noch eins drauf.

Die spielte Saxofon- und Bass-Melodien und auch nicht-nervige Gitarren-Soli, alles zusammengehalten von einem verdichteten, aber immer entspannt aufgebauten Schlagzeug-Gerüst, als wäre es so leicht wie Atmen. Das Publikum war vielgestaltig, vom Mittfünfziger-Jazzkenner mit extravagantem Mützchen über Club-Gänger*innen, Theaterabonnent*innen und Indie-Nerds. Dauergrinsen überall. Das Schöne an der Musik von Makaya McCraven ist, wie sich Improvisation hier nicht in Distinktion und unnötigen Kompliziertheiten (nix gegen Kompliziertheiten) verhärtet, sondern die Basis für eine offene und zugängliche Klangwelt bildet.

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