Stadtgarten – NICA – Interview Esther Weickel & Ella O'Brien-Coker

„Individuelle Förderung fängt immer damit an, die hierarchischen Strukturen aufzubrechen“

NICA LIVE SPECIAL 2023: Luise Volkmann mit Été Large (Photo: Niclas Weber)


Seit dem Herbst 2019 existiert am Europäischen Zentrum für Jazz und aktuelle Musik Stadtgarten Köln ein Förderprogramm mit neuartigem Zuschnitt. NICA artist development ist ein vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen getragenes Förderprogramm für herausragende Musiker:innen aus NRW. Statt auf statische Strukturen wird auf stete Kommunikation und individuell zugeschnittene Förderung gesetzt, um so bestmögliche Ergebnisse im Interesse der Künstler:innen zu erzielen. Seit einem Jahr arbeiten Esther Weickel (Projektleitung) und Ella O’Brien-Coker (Projektkoordinatorin) am Stadtgarten Köln und mit den NICA artists. Ein guter Moment, um eine Zwischenbilanz zu ziehen.

 

Ella, Esther, zum Einstieg würde mich interessieren, wie Euer Leben vor dem Stadtgarten aussah?

Ella O’Brien-Coker (Photo: Niclas Weber) 

Ella O’Brien-Coker: Ich habe Jazzgesang, Gesangspädagogik und Musikwissenschaft studiert – und erfolgreich absolviert; an der Uni habe ich meinem Professor auch als SHK unterstützt und unter anderem Seminare mitkonzipiert.
Ich habe lange frei gearbeitet, organisierte zum Beispiel in einem qt*BI*PoC-Kollektiv, dem ersten in Köln; ich habe mich viel mit Awareness und Veranstaltungsvorbereitung/Produktion auseinandergesetzt, beispielsweise Kulturveranstaltungen mit politischen Themen verbunden. Das bisher größte war das DEMASK-Fest 2019, dass ich mit geplant und durchgeführt habe. Außerdem habe ich als Musikerin auf Bühnen gestanden und unterrichtet.

Esther Weickel:Ich bin für den Job von Leipzig nach Köln gezogen. In Leipzig hatte ich vier Jahre lang für den Jazzclub Leipzig gearbeitet. Der Verein ist u. a. der Veranstalter der Leipziger Jazztage.
Aufgewachsen bin ich auf einem Pferdehof im ländlichen Raum. Die Pferde konnte ich am Wiehern unterscheiden und ansonsten kannte ich nur die Musik, die auf den Lokalsendern lief und die CDs meiner Eltern, – 70er, 80er-Rock & Neue Deutsche Welle. Musikalische Früherziehung oder das Lernen eines Instruments habe ich nicht erlebt. Neben dem Philosophiestudium habe ich viel gearbeitet – das Praktische lag mir eher und im Kulturbereich, wie beispielsweise am Theater, ließ sich damit gut anknüpfen. Es war rasch klar, dass ich in diesem Bereich perspektivisch beruflich unterkommen möchte. Ein erster persönlicher Bezug zu Jazz war durch die kostenfrei zugängliche Session in der Cavete in Marburg entstanden. Die hat meine Neugierde geweckt und seitdem bin ich sozusagen auf der Musik hängengeblieben.

Was hat Euch an der Arbeit für den Stadtgarten gereizt?

Ella O’Brien-Coker: Mich interessiert es sehr, wie man die Erfahrungen aus Grassroots-Aktivismus in bestehende, feste Strukturen einbringen kann. Wie etabliert man machtkritisches, sensibles Handeln in ein Konzerthaus? Was bedeutet machtkritisches Kuratieren? Wie äußert sich dies in der Öffentlichkeitsarbeit? Das hat mich gereizt – und tut es noch immer.

Esther Weickel (Photo: Niclas Weber) 

Esther Weickel: In Leipzig hatte ich eine super Zeit und beim Jazzclub habe ich viel gelernt! Doch habe ich auch gemerkt, dass ich für weitere Perspektiven und Erfahrungen – einen neuen Raum zum Lernen benötige, um langfristig in dieser Szene arbeiten zu können. Gerade in diesem Zusammenhang las sich die Ausschreibung für die NICA-Projektleitung spannend. Kurz vor knapp, gerade noch vor Mitternacht, hatte ich mich beworben und war dann erst einmal traurig, als ich tatsächlich genommen wurde, da sich das Loslassen von Leipzig so schwer angefühlt hat. Jetzt bin ich sehr froh, die persönliche wie berufliche Herausforderung angenommen zu haben!

Ella O’Brien-Coker: Ich habe einen Doppelhut am Stadtgarten auf: Ich leite den Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und mache die Projektkoordination bei NICA artist development. Zunächst kam ich Anfang letzten Jahres zu NICA. Ich habe mich im Rahmen meiner politischen Arbeit immer viel mit Förderprogrammen auseinandergesetzt, dabei vor allem mit der Frage, wie man sich als marginalisierte Künstlerin fördern lassen kann. Als dann plötzlich die NICA-Stelle im Raum stand, ergab es für mich Sinn mich dort auch einzubringen. Erst seit Oktober 2022 habe ich auch die Rolle der Leitung für Presse und Öffentlichkeitsarbeit inne, was sich aus unterschiedlichen Gründen ergab und auch gut ergänzt.

Und so seid ihr zum Tandem-Team geworden mit Esther als Leitung und dir als Projektkoordinatorin, Ella.
Der Stadtgarten ist eine weit über Köln hinaus etablierte Institution. Der Wunsch zum Wandel ist seit einiger Zeit spürbar. Mit der neuen künstlerischen Leiterin Kornelia Vossebein und Euch als neuem Projektmanagement bei NICA, wird die Umsetzung dahin greifbarer. Nun kultivieren aber gerade die Jazz-Szene oft eine gewisse snobistische Attitüde, die einem das Gefühl vermittelt, ihnen mit Demut begegnen zu müssen. Wie geht es Euch denn damit als neue Protagonistinnen im Stadtgarten Team?

Esther Weickel: Bevor ich nach Köln und an den Stadtgarten gekommen bin, war mir zugegeben nicht bewusst, dass bedeutende personelle Veränderungen anstehen. Kornelia hat die künstlerische Leitung im Juli 2022 übernommen nachdem Reiner Michalke die Stelle 36 Jahre lang innehatte. Eine lange und sicher prägende Zeit für das Haus. Interessanterweise hatte das Team in Leipzig zwei Jahre früher ebenfalls eine deutliche Verjüngung erfahren. Eine Herausforderung! Nicht nur für uns, als damals Ausführende, sondern auch für einen Verein der dieses Jahr 50 Jahre alt wird. Aushandlungsprozesse gehören da mit zum Alltag. Unsere Arbeit in Leipzig mit dem Festivaljahrgang 2020 wurde mit dem damals erstmals verliehenen Deutschen Jazzpreis in der Kategorie “Festival des Jahres” ausgezeichnet. Das war klasse und irgendwie auch eine Bestätigung dafür, dass es förderlich ist – insbesondere auch für traditionsreiche Vereine und Venues in diesem Bereich, Leute mit neuen, vielleicht auch erst einmal vermeintlich aneckenden Ideen nachrücken zu lassen. Den Strukturen, den Menschen, die in ihnen arbeiten, den Musiker:innen und letztlich der Publikumsentwicklung wird das gut tun, denke ich. Im Team ergänzen wir uns gut, finde ich. Ella bringt durch ihren Studienhintergrund noch einmal eine andere Expertise mit als ich, – die eher aus der Praxis kommt in Bezug auf unsere aktuelle Arbeit. Ich bin jedenfalls ganz die Falsche, um gefragt zu werden, was Jazz ist. Aber ich bin gut darin, genau das transparent zu machen, das Unwissen stört mich nicht, sondern reizt mich, es ist eine Chance, mit offenem Ohr und Geist an die Arbeit zu gehen – das ist ganz wichtig für unseren Job.

Ella O’Brien-Coker: Das gehört für mich auch zur Definition von Jazz dazu. Ich selbst komme ja aus dem Jazz, bin mit Jazz aufgewachsen, mit der Plattensammlung meiner Eltern, die aber genauso viel HipHop gediggt und niemals für mich diese Grenze zwischen den Genres aufgemacht haben, das kam erst im akademischen Umfeld.

Durch Setzungsmachtbedürfnisse!

Ella O’Brien-Coker: Durch Definitionsmacht! Das beginnt mit einem Wynton Marsalis, der Jazz akademisiert und sagt, dass HipHop nicht dazu gehört und schleicht sich damit weiter, das HipHop-affiner Jazz „eher kein“ Jazz sei. Ich sehe mich immer wieder konfrontiert mit einer Auffassung von Jazz, die es schwer macht, offen zu bleiben. Damit setze ich mich viel auseinander, auch in meiner musikwissenschaftlichen Arbeit, beispielsweise beim Hinterfragen, wie kulturelle Aneignung funktioniert und damit umgegangen werden kann. 
Mir fällt dabei gerade auf, dass ich dadurch, dass ich mich mehr mit dem deutschen Jazz beschäftige, meinen HipHop Hintergrund zwar nicht verkenne, aber deutlich weniger oft nenne als früher. Das ist aber der für mich befremdliche Gedanke dahinter: das Gefühl haben zu müssen, diesen Hintergrund besser nicht zu benennen. Mit der Position hier im Stadtgarten, an den Schnittstellen Musiker:innenförderung und Öffentlichkeitsarbeit, glaube ich diesen Diskurs (der nur als Beispiel für viele Diskurse dieser Art steht) weiter aufzubrechen.

Jazz ist ja ein emphatisches Genre, das auf Neugierde und experimentieren aufbaut. Es wird aber sehr oft instrumentalisiert und aus Machtgründen in ein enges Konstrukt gepresst. Insofern kommt ihr ja absolut im richtigen Moment, wo ein Bedürfnis nach Wandel nicht nur musikalisch und beim Publikum besteht, sondern auch in den Institutionen. 



Ella O’Brien-Coker: Auf jeden Fall habe ich darin eine Chance gesehen, zu einem Zeitpunkt an den Stadtgarten zu kommen, wo dieser sich im Umbruch befindet, wo mehr Raum für neue Ideen existiert und dieser bewusst gemacht wird. Ich dachte mir, dass das genau die Tür ist, durch die ich durchgehen muss, um die Erfahrungen, die ich in den Räumen, in denen ich mich vorher bewegt habe, in größeren Institutionen einbringen zu können. Sei es über das Awareness-Konzept im Klub Jaki, oder über Artist Talks, die sich mit Themen befassen, die den Lebenswelten der Künstler:innen entstammen.

NICA live: Laura Totenhagen & Farida Amadou (Photo: Niclas Weber)

Was von Anfang an beim NICA-Programm auffällt: die Repräsentationsverhältnisse hängen nicht mehr schief.

Esther Weickel: Das ist eine Grundprämisse, die von Beginn an stand. Letztes Jahr sind mehr weiblich als männlich gelesene Personen ins Programm aufgenommen worden: 4 von 5! Da wurde ganz eindeutig gesagt: Es war klar bzw. hat sich im Aushandlungsprozess der Jury ergeben, dass nicht auf einer paritätischen Lösung bestanden wird, wenn sich die Entscheidung hin zugunsten von mehr weiblich gelesenen Personen in einem neunen Jahrgang von NICA artists entwickelt.

Aber andersherum wär es nicht denkbar, oder?

Ella O’Brien-Coker: Nein, das wär es nicht!
Es ist aber nicht so, dass sich NICA in Sachen Diversität nicht auch noch an die eigene Nase packen kann. Das ist ein Prozess.

Esther Weickel: Das ist uns bewusst, da sprechen wir viel drüber. Das wird definitiv in den kommenden Jahren eine Rolle spielen müssen.

Wobei das natürlich auch an den Vorschlägen liegt….

Esther Weickel: Aber trotzdem hat man Stellschrauben: Fragen, wie wer sitzt in der Jury und wer sind die Personen, die Künstler:innen für eine Teilnahme an NICA vorschlagen, beschäftigen uns in diesem Zusammenhang. Das wir uns damit auseinandersetzen ist sehr wichtig, da die Besetzung dieser Positionen letztlich über die Auswahl der NICA artists entscheidet. Man kann sich nicht initiativ bewerben, sondern wird vorgeschlagen. Wir sprechen danach die Musiker:innen an und laden dazu ein, sich für eine Förderung durch NICA zu bewerben

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Gibt es die Möglichkeit des Zuzugs dafür nach NRW auf Basis des Wissens um einen potentiellen Vorschlag?

Ella O’Brien-Coker: Das klingt erstmal komisch.

Naja, du, Esther, bist ja für die NICA Stelle auch extra aus Leipzig hergezogen. Warum sollte also nicht eine ganz tolle Saxophonist:in aus Leipzig für das Programm nach Köln ziehen?

Esther Weickel: Der Lebensmittelpunkt der NICA artists und derer, die für das Programm vorgeschlagenen werden, muss in Nordrhein-Westfalen liegen. Die Leute sollten in der hiesigen Szene tätig sein und mit ihrem künstlerischen Schaffen zu ihrer Prägung beitragen. Wenn NICA als Programm und natürlich die hiesige Szene als so attraktiv wahrgenommen wird, dass man einen Umzug nach NRW in Betracht zieht, ist das natürlich super!

NICA LivE: Laura-Totenhagen (Photo: Niclas Weber)

Wie nehmt ihr den Standort Köln denn generell wahr? Gerade im Abgleich mit der ewigen Zuwanderstadt Berlin, aber auch dem aktuell sehr attraktiv (gerade vor dem Hintergrund der finalen Durchgentrifizierung und Verteuerung von Berlin) wirkenden Leipzig?

Esther Weickel: Die Szene für Jazz und improvisierte Musik kann nur davon profitieren, wenn es an mehreren Orten gleichwertig starke Szenen mit Entwicklungspotential für Nachwuchskünstler:innen gibt. Wir müssen mit NICA nicht ganz vorne liegen, aber es ist toll, wenn wir als attraktiv wahrgenommen werden – da wir eben Künstler:innen sehr individuell unterstützen, mit dem Stadtgarten als einem Raum, der das ermöglicht.

Ella O’Brien-Coker: Wir brauchen niemanden den Rang ablaufen – ist auch gar nicht notwendig.

Nein, das nicht. Aber ich sehe das ja beispielsweise bei den Studierenden am Institut für Pop-Musik der Folkwang, wo ich lehre, da wird das Programm wahrgenommen (Sonae und Kira Hummen haben es sogar in das NICA Programm geschafft) und ist dann auch mal ein Impuls eben nicht nach Berlin zu ziehen. Es ist ja gerade im Sinne von tourenden Musiker:innen, dass es in Deutschland mehr als ein oder zwei funktionierende Tourstädte gibt.

Ella O’Brien-Coker: Ich weiß von Berliner Musiker:innen, dass sie vom Programm begeistert sind. Die sagen, dass es krass sei, dass es sowas nur in NRW gibt, in Berlin gäbe es auch so viel Bedarf dafür. Köln hat für mich persönlich schon den Reiz des Standortes mit seinen guten Anbindungen: in den Pott, nach Brüssel, Paris, selbst London. Köln wird als Szene mit Standing wahrgenommen, die ein eigenes politisches Sprachrohr hat, sich auch als Freie Szene äußern und einbringen kann, die vernetzt ist – auch nach Berlin.

Esther Weickel: Es gibt einen guten Austausch mit den anderen Städten und Szenen – die Vernetzung ist auch ein expliziter Anspruch von NICA. Das Programm ist dafür gemacht, dass alle über ihren NRW-Tellerrand schauen, dass man die Türen ziemlich weit aufmacht, nicht nur deutschlandweit, sondern auch international.

Ella O’Brien-Coker moderiert NICA Live an  (Photo: Niclas Weber) 

Würdet ihr mir zustimmen, dass das Programm als Dialog auf Augenhöhe von Euch praktiziert wird – und eben nicht, wie man das von früher kennt, oder auch aktuell noch von anderen Zusammenhängen innerhalb der bundesdeutschen Förderszene, hierarchisch.

Esther Weickel: Ich kenne nur unseren Umgang mit den Musiker:innen Ich nehme es als sehr angenehm wahr, dass man sich auf Augenhöhe begegnet. Die stehen alle mit beiden Beinen im künstlerischen Leben, haben eine Idee davon, wo sie hinwollen – und wir wollen sie dabei unterstützen. Klar muss man immer mal wieder anregend oder auch korrigierend eingreifen, aber nicht mit erhobenem Zeigefinger.

Das ist in nicht wenigen Förderungs- und Residency-Strukturen leider noch anders, da müssen Musiker:innen oft als Bittsteller:innen auftreten.

Ella O’Brien-Coker: Absolut. Mit Nachweisen und all dem. Aber das würde der NICA-Grundidee widersprechen. 
Individuelle Förderung fängt meiner Meinung nach immer damit an, eine hierarchische Struktur aufzubrechen, was bedeutet den Leuten auf Augenhöhe zu begegnen. Wie soll jemand seine individuellen Bedürfnisse formulieren, wenn einem suggeriert wird, dass man nicht die Entscheidungsmacht darüber hat, wo es hingehen soll? Es geht darum die Musiker:innen zu fragen, was sie brauchen und dabei zuzuhören. Dann entwickeln wir gemeinsam Ideen für Instrumente, mit denen sie ihr Ziel erreichen können. Sich so klar zu artikulieren, muss man lernen, aber allen im Programm tut das gut und es bringt viel für ihre individuelle Karriere und letztendlich für die Zeit nach NICA. Unsere Arbeit ist ein wenig wie Hilfe geben zur Selbsthilfe: Wir können unterschiedliche Möglichkeiten aufzeigen, auf das Netzwerk von NICA verweisen, mit den Artists brainstormen usw. aber den Weg gehen, müssen sie letztendlich allein.

Esther Weickel: NICA ist neben anderen Dingen ein Gesprächsraum zur künstlerischen Entwicklung. Die Stimmung fühlt sich für mich gut an. Es ist ein angenehmer Austausch. Wir werden offen angesprochen, wenn es Probleme gibt. Wir sind erreichbar. Wir achten aufeinander. Da es um ein längeres Begleiten geht, ist es wichtig, eine gemeinsame Basis zu entwickeln.

Die Künstler:innen können ja alles anfragen. Wer bewertet die Anfragen denn? Und wer stellt sicher, dass alle am Ende irgendwie gleich viel Unterstützung erfahren und eben nicht nur die lauteren Musiker:innen zum Zug kommen?

Ella O’Brien-Coker: Wir sagen niemanden, was für sie oder ihn sinnvoll ist. Wenn überhaupt sagen wir, ob es sinnvoll ist, etwas von NICA-Seite aus zu finanzieren. Natürlich ist es unsere Aufgabe als Management dies so individuell wie möglich, nach den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen und so fair wie möglich zu tun.

Esther Weickel: Wir müssen ja immer den gesamten Prozess im Blick haben. Wir können nicht alles, was gerade so anfällt unterstützen. Es geht darum Ziele zu entwickeln und diejenigen Schritte zu begleiten, die zur Erreichung derer notwendig sind.
Ein Beispiel wäre die Recherchereise von Luise Volkmann nach Brasilien, die wurde nicht komplett von NICA getragen – wir unterstützen maximal acht Tage einer solchen Reise, und das auch nur, wenn da ein Plan vorgelegt wird: Warum will man da hinreisen? Was soll die Reise der Künstler:in bringen? In ihrem Fall gab es da schon frühere Kontakte in die brasilianische Szene und somit Anknüpfungspunkte vor Ort. Im Vorfeld wurden dann weitere Kontakte geknüpft, so dass am Ende ein konkreter Plan für die Reisezeit und die darauffolgende Perspektive vorlag. Auf dieser Basis können wir das gut genehmigen und Luise jetzt für die weitere Zeit bei NICA und darüber hinaus von den Eindrücken und neuen internationalen Kontakten profitieren.


Das heißt ihr seid die Instanzen, die das „go“ geben, es gibt da keinen Kontrollbeamten?

Ella O’Brien-Coker: Ne, das machen wir.
Aber wie du bereits angesprochen hast, müssen wir auch auf andere Sachen achten, Stichwort Gleichbehandlung. Natürlich gibt es Leute, die bescheidener sind und etwas länger brauchen, ihre Ansprüche zu formulieren, oder eben uns erst ansprechen, wenn sie in ihrer Planung weiter sind.

Esther Weickel: Dafür sind wir aber da, diese Unterschiede auszugleichen und bei den Ruhigeren nachzufragen.

Sicherlich nicht der einzige sensible Prozess, den ihr moderieren müsst. Ich kann mir gut vorstellen, dass es, nicht zuletzt durch die Pandemie auch zu einem sehr intensiven emotionalen Austausch kommt mit den Künstler:innen im Programm.

Esther Weickel: Schon vor unserer Zeit wurden bestehenden NICA-Förderzeiträume wegen der Pandemie erstmals verlängert, da die NICA artists aufgrund äußerer Umstände gefasste Pläne nicht hatten umsetzen können. Beispielsweise eben Recherchereisen oder oder auch Kooperationen/Workshops mit internationalen Kolleg:innen. Wir stehen in einem engen Austausch mit den NICA artists.

Ella O’Brien-Coker: Absolut, das gehört dazu. Ich habe eine Ausbildung als Gesangspädagogin, da gehört das klassisch zu jedem Unterricht dazu – man kann das meiner Meinung nach nicht voneinander lösen. Neben der Pandemie sind ja noch andere krasse Sachen passiert, die unsere Artists betroffen haben. Das Weltgeschehen beeinflusst die Leben der Artists und macht auch künstlerisch etwas mit ihnen. Haben die Leute noch einen Kopf für ihre Pläne? Wir müssen emphatisch dafür sein, wo sie stehen, wie sie sich fühlen.

Wie würdet ihr die Ziele von NICA artist development definieren?

Ella O’Brien-Coker: Es gibt kein Ziel im klassischen Sinne, also einen Stopppunkt. Aber es gibt Zwischenziele, auf die man hinarbeitet: Die NICA artists sollen sich befähigt und vernetzt fühlen, dass sie erstens immer wieder auf das System und uns zurückkommen, und zweitens neue Wege beschreiten können, die sie vorher so nicht gesehen oder sich nicht zugetraut hätten.

Esther Weickel: Diese Entwicklung zu begleiten, zu sehen, dass NICA Raum geben kann zur Reflexion, und so die Künstler:innen befähigen kann, neue Ziel für sich zu definieren, das fühlt sich gut an. Wir streben definitiv für das Programm und somit für die Künstler:innen internationale Vernetzung an, um so die Sichtbarkeit der Szene zu stärken. Es geht nicht nur um die NICA Künstler:innen selbst, sondern auch um die Szene drum herum. Ist schließlich alles mit- und ineinander verwoben.

Wie können die Leser*innen mehr über NICA und die NICA artists erfahren? Stehen dieses Jahr besondere Projekte an?

Ella O’Brien-Coker: Immer am letzten Montag im Monat findet unsere Konzertreihe ‘NICA live’ statt. Im Juli und August sogar jeden Montag. Die NICA artists spielen hier selbst. Teilweise mit eigens für diese Abende neu initiierten Projekten oder kuratieren, d.h. sie bringen ihre eigenen Vorbilder oder aktuellen Lieblingskünstler:innen auf die Bühne. Unsere Aktivitäten und die der NICA artists lassen sich gut über unsere Social-Media-Kanäle und die Website verfolgen.

Esther Weickel: Außerdem veranstalten wir in unregelmäßigen Abständen mit unseren verschiedenen internationalen Kooperationspartner:innen die Reihe ‘NICA exchange’ mit einem klar internationalen Anspruch und mit der Idee Räume des Austausches zu schaffen. Diese Reihe haben wir letztes Jahr in Kooperation mit der Cologne Jazzweek initiiert und setzen diese auch 2023 mit insgesamt drei Projekten des Festivals fort. Durch die Kooperation mit der Jazzweek konnten wir u. a. Fabian Dudek mit einer Komposition beauftragen und er hat dafür eine international besetzte Band zusammengestellt. Außerdem kuratieren wir ein Konzert in Zusammenarbeit mit dem finnischen Label und Festival We Jazz. Aus solchen Gelegenheiten ergeben sich hoffentlich langfristige und nachhaltige Zusammenarbeiten – mit NICA auch dergleichen unterstützen und in die Wege leiten zu können, fühlt sich gut an.

Esther, Ella, vielen Dank für Eure Zeit.

NICA LIVE SPECIAL 2023: Luise Volkmann (Photo: Niclas Weber)

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