Record of the Week

Public Practice “Gentle Grip”

Public Practice
“Gentle Grip”
(Wharf Cat Records)

Public Practice klingen wie all deine Lieblingsbands aus New York City, schrieb eine britische Musikzeitschrift voller Begeisterung. Dem kann man nur zustimmen, vorausgesetzt, deine Lieblingsbands sind Blondie, Tom Tom Club, Suicide und The Waitresses, wobei letztere aus Akron, Ohio stammten, aber das nur am Rande. Klar bis hierhin: Sängerin und Texterin Sam York, Gitarrist Vince McClelland, Bassistin/Keyboarderin Drew Citron und Drummer Scott Rosenthal haben sich voll und ganz dem amerikanischen Postpunk-/Wavesound der späten Siebziger und frühen Achtziger verschworen.

Vor zwei Jahren lieferten Public Practice mit der EP „Distance Is A Mirror“ ein erstes eindrucksvolles Zeichen ab, das wie eine verschollene Originalaufnahme von 1980 klang: kühle Synthies, zackiger Beat, unter temperierter Gesang, eine dunkle und trotzdem optimistische Ausstrahlung, very very newyorkish. Und das mit unglaublich guten, auf den Punkt gespielten Songs. „Distance…“ klang gar nicht wie ein Debüt, was es für die vier Musiker:innen genau genommen auch nicht war. Sam und Vince spielten schon zusammen in der Band WALL, Drew und Scott in Frankie Roses Seitenprojekt Beverly. Erfahrene Häsinnen also, die mit Public Practice ihre Vorstellung eines Downtown-Sounds verwirklichen, der seine Wurzeln im avantgardistischen Synthiesound von Suicide hat, in Blondies leuchtendem Discopop, in den percussionlastigen Tracks von Liquid Liquid und Tina Weymouths’ Tom Tom Club.

„Moon“, der erste Track von „Gentle Grip“ (Public Practice stehen auf Alliterationen, überhaupt auf ästhetisch klare Aussagen – so tritt Sam York ausschließlich in schwarz-weiß gepunkteten Kleidern auf) beginnt düster-dystopisch mit viel Hall und dräuenden Synthies, als stünden Martin Rev und Alan Vega mit im Studio, „Cities“ kombiniert urbane Coolness mit unbändiger Abenteuerlust und Bongo-Trommeln – es folgen sieben perfekte Hits, von denen das groovige „My Head“ und das glamouröse „Compromised“ besonders herausstechen: In diesen Songs feiern Public Practice ihre Blondie-Passion ab, inklusive der charakteristischen Bells aus „Rapture“ – wer könnte ihnen das verdenken? 😉

Auf „Gentle Grip“ perfektionieren Public Practice ihre Version von Postpunk mit deutlich betonter Percussion, tiefenwirksamen Bässen und vor allem Sam Yorks so distanziertierten wie leidenschaftlichen Vocals. Dass „Gentle Grip“ trotz der unverhohlenen Retromania-Verortung modern und heutig wirkt, liegt an der Tightness der Band und ihrem Talent für Spannungsaufbau – was ihnen lediglich in den letzten drei Songs der Platte abhanden kommt. Public Practice wirken plötzlich erschöpft und ziellos, stolpern statt stolzieren… könnte aber auch Konzept sein, siehe ästhetische Obsession: einmal quer durch New York City ist schließlich ganz schön kräftezehrend.

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