Record of the Week

Jerry Paper “Abracadabra”

Jerry Paper
Abracadabra
(Stones Throw Records / Pias / Rough Trade)

Jerry Paper, der eigentlich Lucas Nathan heißt, zeigt sich auf seinem neuen Album weiterhin daran interessiert, das Erbe einer diffusen Yachtrock-Ästhetik fortzusetzen. Die Songs werden von einem entspannt-bekifften Groove angetrieben und wirken in ihrer jazzig-verspielten, aber gleichzeitig extrem disziplinierten Machart ausgesprochen raffiniert und ausgeklügelt. Natürlich ist es heute nicht mehr wirklich der letzte Schrei, sich auf früher verpönte Bands wie Steely Dan und Hall & Oates zu beziehen, nicht mal der letzte Punkrocker dürfte sich davon provoziert fühlen. Aber unter musikalischen, rein immanenten Aspekten, also losgelöst von jedweder Hipness (wenn es die noch gibt), erweist sich Papers Vision als sehr tragfähiges Modell, zumal dieses Album angenehmer durchzuhören ist als die meisten LPs von Hall & Oates (bei denen man die eingestreuten Ekelrocksongs ertragen muss).

Offenbar lässt die Wiederaufführung von Ideen, die ihren Ursprung in einer abgeklärten 70er-Jahre-Westcoast Coolness haben, auffällige Unterschiede zum „Original“ sichtbar werden – dazu trägt auch die Tatsache bei, dass sich Papers Songs in ihrer Zitathaftigkeit von der Angebergeste musikalischen Könnens entfernen. Das Streben nach langweiliger Perfektion wird ersetzt durch die Offenlegung von Leerstellen, indem an die Stelle von High Fidelity eine Tendenz zu low-fi tritt, in deren Zuge echte Bläser abgelöst werden von quakenden Synthies und menschliche Schlagzeuger durch Drumcomputer (nicht durchgängig, aber manchmal – vergleiche etwa „Game Night“). In dieses Schema fügt sich auch die Vorgehensweise, die Musik mit stilisierten Defekten auszustatten (dezentes Eiern wie in „Puppeteer“ etwa). Diese Elemente sind dabei nicht in dem Maße dominant, dass sie Paper im Kontext postmoderner Quatschköpfe situierten. Seine Stücke bleiben so sehr intakt, dass ihnen stets eine suggestive Eleganz innewohnt, die zeigt, dass es Paper nicht darum geht, Musik allzu analytisch zu behandeln. „Abracadabra“ ist weniger selbstreflexiv organisiert, sondern orientiert sich durchaus noch an altmodischen Mitteln der Projektion (Abracadabra eben!). Immer wieder kommt es zu Momenten, wo die verwehte Verlorenheit / Leere einiger Passagen aus „Babylon Sisters“ (Steely Dan) aufgerufen wird – „here come those santa ana winds again“.

Mit Steely Dan verbindet Paper zudem der Umstand, dass die Texte keine Studien in Subjektivität oder Seelenoffenbarung darstellen (was sich auch besser mit Papers leicht distanzierter Stimme verträgt). Vielmehr wird auf „Abracadabra“ anti-ausschweifendes Storytelling betrieben, das Betrachtungen über Verstellung, ironisierten Größenwahn oder verzerrte (Selbst-)Wahrnehmung zu einem lyrischen Ansatz zusammenfügt, der in ansprechender Manier zwischen neutralisiertem Berichterstattungsgestus und teilnehmender Beobachtung changiert.

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