Julianna Barwick „Healing Is A Miracle”
Julianna Barwick
„Healing Is A Miracle”
(Ninja Tune/Rough Trade)
Hier stimmt etwas nicht. Sowohl die Songs als auch die zugehörigen Videoclips zu „Inspirit“ und „In Light“ (eine Kollaboration mit Jónsi von Sigur Rós) vermitteln einen traumhaften, ja einen entrückten und seelenfriedlichen Eindruck – und das obwohl Drohnen im Spiel sind.
Doch dem ist nur scheinbar so, denn peu a peu schleichen sich die Seltsamkeiten ein, verwirren die Bilder, verschwimmt die Klarheit der heilen Welt. Das geht einher mit dem einsetzenden Bass und dem näher kommenden Beat. Dennoch ist die Atmosphäre niemals apokalyptisch, Trost bleibt letztlich das ganz große Gefühl von Julianna Barwick.
Vier Jahre hat sich die US-amerikanische Komponistin und Musikerin Zeit gelassen für die neuen Stücke. Diese Agieren ohne Hektik ist ihr wichtig. Was die Musik angeht, darf es hingegen gerne auch mal aufwühlend zugehen – und zwar immer dann, wenn die Harmonien zu perfekt anmuten, der Klang zu vollendet wirkt und das Lied droht zu sehr in sich zu ruhen. Barwick hat ein großes Talent, in diesen Momenten den Songs eine experimentelle Wendung zu geben, ihnen irritierende Elemente zuzufügen – sei es durch Field Recordings, Samples, selbstgespielte Sounds oder (wie zuletzt auf einer E.P.) mittels des Einsatzes Künstlicher Intelligenz.
Analog zu den Arbeiten von Mazzy Star, Sigur Rós, Radiohead, Yoko Ono oder Bersarin Quartett lässt sich Julianna Barwick immer wieder von Melancholie überwältigen, gesteht Bombast und großen Gefühlen sehr viel Raum zu, jedoch ohne wie manche von den aufgeführten Referenzkünstler_innen dabei negativ kitschig oder positiv campy zu werden. Bei ihr sind Stimme, Loops und Hall (der die Texte bewusst verwäscht und so den Klang in den Vordergrund wehen lässt) dazu zu zentral. Ein Trick, der doppelt wirkt, denn nur so kann sie darum herum ihre ambienten, oft geradezu meditativen oder gar sakralen Stücke so wirkungsvoll anlegen.
Dem Soundkonzept auf “Helling Is A Miracle” meint man anhören zu können, dass Barwick von New York nach Los Angeles gezogen ist. Nicht so kausal, als dass sie quasi den Soundtrack der Veränderung abgeliefert hätte oder die Vertonung ihrer Ankunft an der Westküste, das wäre zu offensichtlich. Es ist vielmehr so, dass man teilnimmt an der mental-künstlerischen Vermessung des Raums zwischen den beiden Polen kulturellen Schaffens in den USA und dem davon ausgelösten Prozess des Hinterfragens der Transformation der Möglichkeitsräume, die das mit sich bringt.
Auffälligste Auswirkungen auf den Sound von Barwick: Das Flächige erhält hin und wieder einen deutlichen Rhythmus, das Schweben wird zum Schwelgen, das Glänzen zum Funkeln. Prototypisch für dieses Beobachtungen ist der Song „In Light“. Da zappelt und zuckt vieles.
Und doch fällt „Healing Is A Miracle“ insgesamt und trotz all dieser Veränderungen und der eindrucksvollen Liste an Gästen (Jónsi, Nosaj Thing, Mary Lattimore) entspannt und fokussiert aus. Ein schönes Album.