Record(s) of the Week Spezial

Vaovao “Vaovao” & Suuns “The Witness”

Vaovao
„Vaovao”
(Staatsakt/Bertus/Zebralution)

Vaovaomusik ist anders – ‘different’, nachdem Differenzierung überkommerzialisiert und gleichzeitig nicht zum gesellschaftlichen Grundkonsens wurde. Noch nicht, denn wenn wir uns nicht darauf einigen, alle unterschiedlich kulturalisiert worden und doch gleichwertig zu sein, wird das eine ganz schwere Angelegenheit. Das wäre eine Utopie, ja, ganz positiv-hippiesk eine ganz ‘unluschige’ Inklusion jenseits bescheuerter, regressiver Extremismen.

“Weiße Steppe” ist solch ein inklusiver souveräner Flug über unser aller weiße Steppen und Welt(en). “Der Brief” ist ein berührendes Gewimmel mitten im Hier und Jetzt und doch mit Interpretationsmöglichkeiten zu Disco, Electronica, HipHop, Synthie Pop und Paul Hardcastle.

Hanitra Wagner war zuvor musikalisch bei den Oracles und Die Heiterkeit sowie kulturpolitisch in diversen Projekten aktiv. Vaovao wirkt wie eine luzide ganzheitliche Selbsterkenntnis. Das hier ist keine Party, da steckt für mich neben Herz und Bauch auch ganz viel Nachdenklichkeit drin. Aneignungen ‘galore’ im Empowerment-Sinne der Cultural Studies und diverser progressiver Pädagogiken. Eine Stimme geben – und was für eine. Im wahrsten Sinn des Wortes ‘merk-würdig’ schillernd, trist, einlullend und distanzierend gleichzeitig. Grandezza und Verletzlichkeit, Wärme und Kühle geben sich laufend die Hand zu kräftigen Beats, verwobenen Synthies und bearbeiteten Geigen. Mit dem Produzenten, Musiker und Partner Oliver Bersin (Urban Homes) hat Wagner hier sowohl eingängige als auch komplexe Popmusik erschaffen. Ein bisschen schimmern da für mich Barbara Morgenstern, frühe Quarks, einzelne Songtracks von Antye Greies’ Laub oder schlaue Clubmusik der letzten Dekaden durch. Und doch klingt Vaovao ganz anders: Bassiger, pointierter.

In seltsamen Pandemiezeiten aufgenommen, kann ich mir kaum vorstellen, dass Wagner ‘einfach nur’ Vaovao gemacht hat. “Bleiben” bleibt und fließt. Vaovao ist Trans-Pop. Oder Paradebeispiel, dass Pop immer trans ist. Durch alles durch – Ideen, Sprachen, Sounds, Bilder, Grenzen, Kulturen – und behutsam nach vorne. Nur so kommen wir weiter. Nicht eskapistisch, sondern erkundend, eine auch textliche Suche, Reise, ein Traum irgendwie auch, ja, ein un-easy Trip to Utopialand.
“The mobile self”, schrieb der britische Popmusiksoziologie Simon Frith mal vor langer Zeit, hier können wir das auf allen Ebenen von Popmusikkulturen bestaunen, knapp 30 Minuten und sieben Stücke kurz, superseriös und doch kunterbunt (siehe Cover-Design), ‘different’ und gegen jedwede Pauschalisierung eben, inklusive instrumentalem Tanz-Hit “Finale” zum vorläufigen Ausklang.

Suuns
„The Witness”
(Joyful Noise/Cargo)

Auch die mittlerweile zum Trio reduzierte kanadische Band Suuns benötigt keine Überlänge, um vieles klarzumachen – wenn auch auf ganz andere Art als Vaovao. Bei Ben Shemie, Joe Yarmush und Liam O’Neill aus Montreal sind es circa zehn Minuten mehr als bei Vaovao. Genauso kurzweilig und dynamisch und ebenso in Coronazeiten aufgenommen, behandeln auch die Suuns das komische Zwischenjahr 2020/21. Max Henry ist nicht mehr fulltime dabei, hat trotzdem mitgebastelt an diesen wieder psychedelischen und im wahrsten Sinn des Wortes ver-rückten Songs zwischen Film-Soundtrack und Indie Disco. Ihre Songs sind oftmals episch und schließen für mich durchaus an einer nachdenklichen Fluffigkeit oder luftigen Konzentration an, wie sie mit ganz anderen Mitteln und Ideen auch Vaovao uns schenkt.

Nach dem Album “Felt” aus 2018 und der E.P. “Fiction” aus dem letzten Jahr ist Suuns “The Witness” tatsächlich trippiger Zeuge eines Vocoder und Effekte getränkten, versponnenen und doch groovenden In-sich-Gehens in eher extrovertierten Zeiten, in denen andere ihren Groll und Hass rücksichtlos herausschleudern. Suuns erinnern mich aktuell auch an Sun Ras legendäres “Space is the Place”-Album aus 1972. Versponnen. Farbig. Entrückt. Und doch im Körper. TripHop gibt den Puls, höre etwa “The Stream”. Vielleicht ist hier ‘place the space’?
Auch wenn alles angenehm schwimmt, scheint es den Suuns auf acht Songs sehr stark um eine Art von Festmachen und Durchblicken zu gehen, wie schon die Titel “The Fix”, “C-Thru” oder “Clarity” andeuten. “Timebender” ist ein seltsamer Spaziergang durch den imaginierten Dschungel, Erkundungsbilder aus Neuseeland kommen hoch: Zu “Go To My Head” schlurfe ich wieder beim Water Landing durch das klare Wasser vorm Able Tasman Nationalpark. Und dann latschen wir weiter mit Kolibris an der Seite und Kiwis im Kopf. Reduktion kann spektakulär sein, die ganz große Freakigkeit wurde erstmal ein Stückweit ad acta gelegt, Tempo rausgenommen. Was nicht heißt, dass es hier nicht munter schlauft, klackert und blubbert.

Zusammen sind diese beiden tollen, sehr unterschiedlichen Alben immer noch kürzer als manch ein vor Überlänge auseinander fliegendes Album eines einzigen Acts – und um so schimmernder.

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