Xul Zolar veröffentlichen ihr neues Album „Heidelbach“

Xul Zolar: Stranger Things im Süden Kölns

Xul Zolar (Photo: Robert Winter)

 

Die Achtziger sind auch bei Musiker:innen beliebt, die in diesem Jahrzehnt erst mit dem Krabbeln angefangen haben oder noch gar nicht auf der Welt waren. Aber nur wenige junge Bands schaffen es, so grazilen und melodischen Synthie-Pop zu spielen wie Xul Zolar.

2018 veröffentlichte das Quartett aus Köln sein Debütalbum „Fear Talk“ (Besprechung). SOHN und Future Islands verpflichteten die Band sogar als Support. Für den Nachfolger haben sich Xul Zolar aber Zeit gelassen: Erst jetzt erscheint das zweite Album „Heidelbach“ (Besprechung). Aufgenommen wurden die elf Stücke in den Wintermonaten 2021 und 2022. Ronald Röttel (Gesang & Gitarre) und Marin Geier (Gitarre & Synthesizer) sprechen hier über ihre Leidenschaft für Musik der Achtziger, englische Sprache als Ventil für intime Themen und die Zusammenarbeit mit COMA.


Euer Debütalbum wurde damals unter anderem mit Talk Talk und Roxy Music verglichen. Ich habe den Eindruck, dass Ihr auf dem neuen Album noch unverblümter mit Sounds aus den Achtziger Jahren spielt. Wie empfindet ihr das selbst?

Marin Geier: Ich würde sagen, der Eindruck ist korrekt. Zumindest bei mir war es so, dass ich viele der Referenzen, mit denen unser erstes Album in Verbindung gebracht wurde, gar nicht richtig kannte. Beim Debüt fühlte ich mich mehr von zeitgenössischen Bands inspiriert als von Bands aus den Achtzigern. Die Besprechungen haben dazu geführt, dass ich mich intensiver mit dieser Musik auseinandergesetzt habe. Die Vergleiche fand ich okay, denn die Musik hat mir gefallen. Dass eine Chorus-Gitarre an die Achtziger erinnert, war uns natürlich bewusst. Beim ersten Album haben wir uns noch ein wenig davon distanziert. Der Anspruch war explizit, kein Retro-Album zu machen. Beim zweiten Album war ich diesbezüglich entspannter: Ich habe keine Notwendigkeit mehr gesehen, mich von irgendetwas abzugrenzen. Die Maxime war, das zu machen, was man gut findet. Und wenn das volle Kanne nach Achtzigern klingt, dann ist das eben so!

Das Electro-Pop-Duo COMA hat Euer neues Album produziert. Was zeichnet die beiden Musiker als Produzenten aus?

Ronald Röttel: Erst einmal zeichnet die beiden als Produzenten-Duo aus, dass sie selbst eine Band haben und sich dort als Persönlichkeiten sehr gut ergänzen. Es hat uns gut getan, dass wir zwei Bezugspersonen hatten und nicht nur eine. Sie haben sich sehr viel stärker in den Prozess eingebracht als vergangene Produzenten im Falle unserer EPs oder des Debüts. Der größte Unterschied für mich ist, dass wir uns zum ersten Mal kollektiv mit Gesang beschäftigt haben. In vergangenen Produktionen war es so, dass wir uns gemeinsam um die Musik gekümmert haben – aber was den Gesang und die Lyrics anbelangte, war ich damals auf mich alleine gestellt. Für mich war das der größte Unterschied: Wir haben gemeinsam an den Lyrics gearbeitet. Es war nicht mehr so individuell aufgeladen, kein solitärer Akt mehr.

In den Texten geht es um Angst, Beziehungsprobleme und schlaflose Nächte. Fällt es Dir leichter, sehr Persönliches durch englische Sprache zu kaschieren?

Röttel: Ich bin von der englischen Sprache besonders beeindruckt. Sie arbeitet als Pop-Sprache schon so stark in Klischees und in sich immer schon wiederholenden Phrasen, Sätzen und Versatzstücken, dass man ganz intime Sachen ausdrücken kann – wie zum Beispiel Mental Health, Verletzlichkeit oder Liebesprobleme. Das findet aber alles in einer sehr vorfabrizierten Sprache statt. Die Sprache produziert insofern eine gewisse Neutralität, die ich im Deutschen nicht hätte.

Du singst in „Protocol“ aber explizit über die working class und im Opener „MSCI“ über den gleichnamigen, internationalen Aktienindex.

Röttel: Innerhalb dieser ganzen Liebeslieder und zirkulären Selbstbeobachtung der eigenen Psyche gibt es dann anscheinend auch Sätze, die sich doch auf die Welt beziehen. Beim ersten Album war es witzigerweise auch so. Es gab einen kritischen Satz über die Erderwärmung. Ich habe mich eine Zeitlang mit diesem komischen ETF-Wahn beschäftigt, weil der in allen Algorithmen durchbrach und man unweigerlich damit in Kontakt kam. Die komplette Nation der Arbeiterschaft befindet sich gerade in der großen Fiktion, dass sie wie die reiche Oberschicht durch Kapitalanlagen und nicht mehr durch Lohnarbeit Geld verdienen kann. Das ist die größte Lüge von allen. Denn dadurch verlieren sie auch Geld und werden ausgebeutet. Das schien mir ein interessanter Punkt zu sein, auch wenn der Song das nicht in dem Sinne reflektiert. Was die anderen Themen betrifft, ist das sicher kein Alleinstellungsmerkmal von mir: Seit einigen Jahren beschäftigen sich die Leute immer mehr mit ihrer Identität und ihrem familiären Hintergrund. Das ist auch etwas, das mich umgetrieben hat.

Der Albumtitel „Heidelbach“ spielt auf eine Holzbaumfirma in Köln an, auf deren Gelände sich euer Proberaum befindet. Der Vater des Geschäftsführers heißt Karl Heidelbach und war Künstler – wie der Namensgeber eurer Band, der argentinische Maler Xul Solar. Der Titel macht für mich aber auch noch in anderer Hinsicht Sinn: Auch ihr habt mit Material gearbeitet, nur eben mit Demo-Material, das ihr dann gemeinsam weiter bearbeitet habt. Alleine klappt es nicht mit dem finalen Produkt und zudem geht es bei Euch auch um ein Handwerk. Wie kam es zu dem Titel?

Geier: Wenn ich mich richtig erinnere, war das anfangs eher ein spaßiger Vorschlag: „Lasst uns doch das Album Heidelbach nennen!“

Röttel: Von mir kam das nicht. Irgendwer von Euch hat das in die Runde geworfen. Und mir war sofort klar: Das muss der Albumtitel sein!

Geier: Genau, aber es war ursprünglich nicht ernst gemeint. Dann gab es eine kurze Denkpause. Roland war der erste, der Feuer und Flamme war. Ich musste, ehrlich gesagt, noch überzeugt werden.

Röttel: Diese Bedeutungsebene, die Du jetzt noch an den Titel herangetragen hast, leuchtet mir sehr ein. Aber das war mir noch gar nicht klar. Das finde ich auch so schön an diesem Titel, dass der so polyvalent funktioniert. Er hat einerseits etwas, das jeder Titel haben muss: Er ist oberflächlich ansprechend und hat etwas mit uns zu tun, das war auch das Bedürfnis. Zudem hat der Titel noch viele andere Bedeutungen. Allein die Semantik von „Heidelbach“. Und dann hat mich auch der Marken-Aspekt daran interessiert: Es gibt nicht nur diese Künstlerbiographie von Martins Vater, sondern ein Bruder von ihm schreibt auch noch Kinderbücher, ein anderer hat ein Weingut. Ich empfinde es als sehr spannend, sich daran mit einem Pop-Album anzuheften.

Stichwort Köln: In drei Liedern singt die Kölner Musikerin Hanitra Wagner (ihr neues Projekt heißt Vaovao) mit. Außerdem bekommt auch Marius Lauber alias Roosevelt eine Danksagung, der ebenfalls aus Köln kommt. Was hat es damit auf sich?

Geier: Wir kennen Hanitra schon ziemlich lange aus dem Kölner Musiker:innen-Kosmos. Sie hat schon in diversen Bandprojekten mitgewirkt und ich fand wirklich alle gut. Wir haben schon beim ersten Album zwei Tracks mit female backing vocals gehabt. Wir finden das auch als Stilmittel super und es harmoniert mit Rolands Stimme. Das wollten wir noch einmal machen. Wir schätzen Hanitra künstlerisch und persönlich sehr. Sie fiel uns als erstes ein. Dankenswerterweise war sie direkt mit von der Partie. Und zu Marius: Auf dem Album gibt es zum ersten Mal Akustikgitarre, ein Instrument, zu dem ich grundsätzlich eher ein schwieriges Verhältnis habe. Uns fehlte dieses Instrument damals noch. Da COMA sehr gut mit Marius Lauber befreundet sind und sich früher auch ein Studio mit ihm geteilt haben, haben sie Marius gefragt, ob er uns eine leihen würde.

An Roosevelt muss ich ja bei Eurem Song „Nights“ denken. Aber auch an Bands wie New Order, Synthie-Pop der Achtziger eben. Die Synthesizer in „Protocol“ erinnern mich zudem teilweise an das Musik-Intro von „Stranger Things“. War das Intention?

Geier: Ich habe die Serie gar nicht gesehen. Viele Leute in meinem persönlichen Umfeld sagten mir, dass sie sehr gut sein soll. Ich habe nur die Sorge, dass es mir zu gruselig sein könnte. Also: Es gibt keine direkte Inspiration. Aber dass Ästhetiken und Sounds aus den Achtzigern wieder angesagt sind, ist ja nichts Neues. Ich bin fast schon erstaunt, dass es sich so lange hält. Aber das spricht wohl auch für die Qualität der Pop-Produkte dieser Zeit. Sie funktionieren immer noch. Dass Kate Bush – ausgelöst durch Musik in Serien – wieder die Charts toppen kann, liegt auch einfach daran, dass Kate Bush einfach tolle Musik gemacht hat. Mit der können eben auch heutige Teenager was anfangen. Ich weiß nicht, ob das bei Blümchen auch funktionieren würde.

Röttel: Das funktioniert doch gerade fantastisch in der jüngeren Generation unter uns.

Geier: Wegen Sped-Up-Songs vielleicht. Ich will jetzt keine popkulturellen Diagnosen wagen. Aber zu New Order: Mir fällt tatsächlich gerade auf, dass sich die Gitarre in unserem neuen Song „Talk It Out“ vorsätzlich am Style von Joy Divison und New Order orientiert hat.

Röttel: Für mich sind diese beiden Bands schon immer extrem inspirierend gewesen.

Geier: Gerade New Order sind auch produktionstechnisch interessant. Bezogen auf die gesamte Musikgeschichte ist Technologie extrem wichtig. Jimi Hendrix würde es ohne E-Gitarren nicht geben und die existierten 1920 halt noch nicht. Das Gleiche gilt für Synthesizer. Ein Faktor, weshalb sich die in aktueller Musik weiterhin so geltend machen, scheint mir der Umstand sein, dass die großen Synthesizer-Hersteller in den letzten Jahren vor allem die alten Klassiker-Modelle in neuen Versionen wieder auf den Markt brachten. Die sind jetzt etwas kleiner und kosten deutlich weniger. Für 500 Euro habe ich mir etwa die Boutique-Version vom Roland Jupiter gekauft. Ich vermute, dass der in den Achtzigern mehrere Tausend Dollar gekostet hat. Heute kann jeder im Schlafzimmer tolle Achtziger-Jahre-Sounds aufnehmen, früher war man noch auf riesige Studios angewiesen. Heute geht das auch alles auf Computern. Diese Sounds sind viel zugänglicher geworden.

„Heidelbach“ ist jetzt via Asmara Records / Rough Trade erschienen.

Von Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop präsentierte Tournee:
12.4. Berlin
13.4. Hamburg
22.4. Köln

 

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