Alter Hut statt goldener Handschuh – “Jürgen”, das neue Buch von Heinz Strunk, bringt es nicht
Nichts gegen den Zauber der Wiederholung, aber mit seinem neuen Roman „Jürgen“ hat der Autor Heinz Strunk nun doch eine Schleife zu viel gedreht. Linus Volkmann jedenfalls hat ein Buch gelesen, das er bereits zu genüge kannte.
„Auch nach Jahrzehnten professionellen Hirnausquetschens quält mich die Angst, dass mir genau ab jetzt nie wieder etwas einfallen wird.“
[Aus: „Heinz Strunk in Afrika“, Rowohlt]
Auch wenn das Zitat kokett klingen mag, nimmt man Heinz Strunk diese Sorge ab – schließlich hat er den Leser über die Jahre nicht im Unklaren gelassen über sein angegriffenes Nervenkostüm und den bunten Strauß Neurosen, der ihn durch den feindlichen Alltag begleitet. Dennoch weiß man aber auch: Natürlich fällt dem Alten immer wieder was ein. In seinem neuen Roman „Jürgen“ ist dies allerdings übertrieben wenig Neues.
In der (kurzen) Zeit zwischen dem Erfolgsroman „Der goldene Handschuh“ und „Jürgen“ konnte man in einem Interview lesen, dass Heinz Strunk sich durch jenen Handschuh nun offiziell mandatiert fühle, nichts Autobiographisches mehr zu verfassen. Fiktion funktioniere für ihn und den Leser besser, er sei ja nun auch durch mit seiner Vergangenheit („Fleisch ist mein Gemüse“), die er bis in die frühste Jugend zurückerzählte (Fleckenteufel“ beziehungsweise „Junge rettet Freund aus Teich“).
Angesichts der faszinierend bedrückenden Drastik, mit der er gerade den Weg des Serienmörders Fritz Honka nachgezeichnet hat, durfte man sich auf den nächsten Coup daher wirklich freuen.
Doch die Annoncierung von „Jürgen“ machte dahingehend mehr als stutzig: Eine in die Jahre gekommene traurige Gestalt namens Jürgen Dose wohnt mit pflegebedürftiger Mutter in norddeutscher Provinz und arbeitet seine unerfüllte Triebe an der hoffnungslos unkooperativen Damenwelt ab. Das klingt nun wirklich weder neu noch fiktional, sondern vielmehr wie die Essenz aus allen bisherigen Büchern.
Wer nun denkt, so trivial wird es auf Buchlänge schon nicht sein, sieht sich enttäuscht. Es handelt sich nicht nur um ein Gulasch der aufgewärmten Motive, sondern der autoaggressive Rip-Off geht sogar noch weiter. Diverse Konstellationen, ja, ganze Szenen erkennt man von früheren Werken wieder. Exemplarisch sicherlich das Battle zwischen Mutter mit ihren hemdsärmeligen Pflegekräften, die sie zum Essen nötigen würden. Das ist letztlich kaum weniger als identisch mit Passagen aus „Fleisch ist mein Gemüse“ – und selbst für den geneigtesten Strunk-Connaisseur einfach ein zu dreistes Selbstplagiat.
Für wen das dabei aber immer noch als motivisches Arbeiten durchgehen mag, der sei darauf gestoßen, dass das Thema des lebensfremden Nerds mit Samenstau auch in Strunks Hörspielen mehrfach durchgeackert wurde – ganz zentral in „Trittschall im Kriechkeller“ von 2005. Dazu bestellte dann wiederum der WDR 2011 einen Kurzfilm gedreht von Lars Jessen.
Auch hier steht der skurril bis subtil erotisch aufgeladene Konflikt mit der Pflegekraft und dem gepeinigten Sohn im Zentrum. Bei aller Liebe, wie oft denn noch?
Im Endeffekt wiederholt sich bei Strunk hier das Muster, das schon bei jenem Debüt-Erfolg „Fleisch ist mein Gemüse“ eintrat. Damals ließ Strunk wenig Zeit verstreichen und präsentierte schnell das Nachfolgebuch. Es hieß „Die Zunge Europas“ und stellt bis heute den Tiefpunkt in seiner Bibliographie dar. Nach dem neuerlichen Highlight in Form von „Der goldene Handschuh“ wird nun also noch schneller als damals das nächste Werk nachgeschoben. Der zusammengesampelte „Jürgen“ hat dabei sehr gute Chance, „Die Zunge“ als Delle in einem eigentlich großartigen Schaffen zu beerben.
Daran ändert auch nichts der vermeintlich singuläre Mehrwert, dass sich dieses Buch nun an Sprüchen aus der Liebesratgeber-Literatur abarbeitet. Denn skurrile Sprüche als Sprachausgabe der Sprachlosigkeit sind doch ohnehin fester Bestandteil der Strunk’schen Kunst. „Komm ich heute nicht, komm ich morgen“ oder (in mehreren Bücher bis zur Kolumnen-Sammlung „Das Strunk-Prinzip“ auftauchend) „Als Mensch zu dumm, als Schwein zu kleine Ohren“. Dass die in „Jürgen“ verwurstete Ratgeberrealität dieses bereits bestehende Topos nur weiter beliefert, liegt auf der Hand.
Heinz Strunk hat dem Literaturbetrieb viel Bemerkenswertes über die Jahre beigetragen. Die aktuelle Veröffentlichung „Jürgen“ nun gehört allerdings nicht dazu.
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Zwei weitere Bücher mit Hamburg- und Szene-Background, die hinter den Erwartungen blieben:
Schorsch Kamerun „Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens“ (Ullstein)
Kamerun hat als Story für sein Buch die eigene Jugend und die eigene Band, die Goldenen Zitronen. Warum auch nicht? Doch ist ihm dieser authentische Ansatz selbst nicht geheuer – statt das Konzept daher zu verwerfen, zieht er kaum tragfähige V-Effekte ein, benennt sein Alter Ego Horsti statt Schorsch und verweigert sich der Anekdote, ohne aber dafür aber ein anderes Stilmittel der Erzählung gefunden zu haben. Das eigene Dogma erweist sich in der Form als absoluter Story-Killer.
Jochen Distelmeyer „Otis“ (Rowohlt)
Dass jeder Zweifel an Jochen Distelmeyer sofort unter Blasphemie-Verdacht fällt, verunmöglichte es beispielsweise dem Feuilleton, die notwendige Kritik an dem gescheiterten „Otis“-Projekt in Worte zu fassen. Wer das bemühte Konstrukt selbst gelesen hat, dürfte indes wissen, dass Distelmeyer über die eigenen Ansprüche gestolpert ist wie der Typ bei „Dinner for One“ über die exaltierte Auslegeware.