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Jede Woche ein Rant. Heute… WG-Suche

Wer in Bezug auf Internet-Humor nicht aufpasst, bleibt irgendwann vielleicht doch bei Willy Nachdenklich, oder Tattoofrei oder – WLAN, bewahre – bei dem moralischen Postkarten-Opa Barbara hängen. Um möglichst vielen dieses Schicksal zu ersparen, haben wir bei kaput keine Mühen gescheut und das Autorinnen-Kollektiv des geilsten Facebook-Portal überzeugt, uns regelmäßig Content zu überweisen. Konkret dreht es sich hierbei um Feelgood-Hass unter dem Banner “Jeden Tag ein Rant”. Bei uns läuft die Nummer allerdings nur einmal die Woche, für mehr sind wir zu alt. Heutiges Thema: WG-Suche.

downrant
Aus aktuellem Anlass nehme ich mich einem eigentlich genuinen Jodel-Thema an, aber besondere Zeiten erfordern triviale Rants und WG Suche/Castings/Life ist nunmal auch rantbar af.
Wenn man sich (in Berlin) mal wieder auf den Wohnungs m a r k t schmeißen muss, fühlt es sich an, als würde mein zwölfjähriges Ich versuchen mit Hilfe von Schminke aus der Wendy und zwei Sockenpaaren im BH den hotten Typen aus der Oberstufe zu beeindrucken: Komplett aussichtslos, da ain‘t gonna happen und völlig überflüssig, da der Typ eh nicht so cool sein kann, wären das seine Auswahlkriterien.

Aber ein Dach über dem Kopf braucht man schon (im Gegensatz zu dem Typ) und dafür ist man je nach Verzweiflungsgrad auch bereit, einiges in Kauf zu nehmen. Auf der Abfuck-Skala ist zwischen „Mitbewohner frisst deine Sachen aus dem Kühlschrank“ und „Hey, bei uns ist ein Zimmer frei, denn meine Freundin ist letzten Monat ausgezogen (schnief), wir sind ne lockere Truppe und von Kleidung halten wir nicht so viel, von Privatsphäre und Selbstbestimmungsrecht auch nicht, also wunder dich mal nicht, wenn ich nachts zu dir ins Bett krieche“ ist viel Platz für creep und cringe aller Art.
Derlei krude Anzeigen wie die von Nackt-WGs, fundamentalen/spirituellen, ach, egal: überhaupt Christen, völlig hängengebliebenen Burschenschaftlern und alten Mönnern, die explizit eine junge MitbewohnerIn suchen, um sich EIN ZIMMER zu teilen, bieten zumindest noch einen gewissen Fun- (und Ekel-)Faktor.
Die Mehrzahl der Anzeigen liest sich jedoch wie die Instastories deiner Freunde und jeder Artikel von Harald Martenstein: immer dieselbe langweilige Scheiße.
In diesen basic Bitch-Annoncen „geht immer alles, aber nichts muss“, die Funktionsweise von Zimmertüren wird erklärt (die kann man nämlich auch mal schließen) und es wird sich in irgendeiner Art auf den Tatort bezogen (man guckt ihn zusammen/ man guckt ihn explizit nicht/ man kann ihn mal zusammen gucken, muss aber auch nicht). Ein Grundmaß an Sauberkeit ist allen wichtig, das ist überraschend, denn in den meisten WGs scheint ein Grundmaß an Dreck den Wohlfühlkonsens darzustellen.
Die auf diesen schon unnormal quälenden Epilog folgenden WG-Castings verhalten sich dann oft analog zu (Tinder-) Dates und sind einer ähnlich neoliberalen Logik unterworfen: Nach einer zwangsläufig oberflächlichen Vorauswahl checkt man sich in einem minimalen Zeitraum gegenseitig auf ein gemeinsames Ziel und den maximalen Outcome (unbefriedigender da depersonalisierter Geschlechtsverkehr vs. Zusammenleben beim kleinsten gemeinsamen Stressnenner) ab. Die Fragen können in beiden Situationen die gleichen sein: „Und, was studierst du so?“ „Wollen wir mal was kochen?“ „Bist du sauber?“
Ähnlich ist auch, dass man sich angestrengt entspannt gibt, hey, das ist hier zwar grad ein Casting/Date aber irgendwie ja auch nicht, letztlich sind wir ja nur zwei Menschen, die sich treffen und gucken, ob‘s passt. Ist mir auch alles gar nicht so wichtig hier, deswegen tinder ich mal nebenbei ein bisschen (beim WG Casting) oder check ganz casual meine Arbeitsmails (beim Tinderdate), kinda sad.
Hat es dann tatsächlich irgendwann geklappt (mit was auch immer), bemüht man sich die ersten drei Wochen, die beste Mitbewohnerin (Sexpartnerin) ÜBERHAUPT zu sein, man wäscht ab (man wäscht sich), trägt den Müll runter (lässt den Müll bei sich wohnen) und hat aus Rücksicht ganz leise Sex (man hat Sex).
Irgendwann bröckelt die Fassade dann aber eh und man wünscht sich bezahlbare 1-Zimmer-Wohnungen, eine Burschivilla am Rande der Stadt mit seinen Freund*innen drin zu besetzen und eine Tinderapp für die Mitbewohnersuche.
Oder zumindest, dass jemand mal Klopapier nachlegt, wenn die Rolle leer ist und Maxi auch mal Spülmittel kauft. Thx.

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