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Jede Woche ein Rant. Heute… Sonntage

Wer in Bezug auf Internet-Humor nicht aufpasst, bleibt irgendwann vielleicht doch bei Willy Nachdenklich, oder Tattoofrei oder – WLAN, bewahre – bei dem moralischen Postkarten-Opa Barbara hängen. Um möglichst vielen dieses Schicksal zu ersparen, haben wir bei kaput keine Mühen gescheut und das Autorinnen-Kollektiv des geilsten Facebook-Portal überzeugt, uns regelmäßig Content zu überweisen. Konkret dreht es sich hierbei um Feelgood-Hass unter dem Banner “Jeden Tag ein Rant”. Bei uns läuft die Nummer allerdings nur einmal die Woche, für mehr sind wir zu alt. Heutiges Thema: Sonntage!

An Sonntagen fühle ich mich wie das ewige Sandwichkind: Für die Pläne meiner arbeitenden Freunde mit gesundem Rhythmus („Lass mal um 9 zum Flohmarkt treffen“) bin ich zu spät, für die meiner jüngeren und vitaleren Freunde (Telegram Nachricht um 19:33 Uhr: „Bin wieder wach, Berghain?“) zu früh aufgestanden.
Also hänge ich mit mittelschwerem Kater bis nachmittags ungeduscht im Bett, denn die Chance, heute noch auf andere soziale Wesen zu treffen, ist eher gering, und Körperhygiene daher ineffizient. Aber es gibt ja auch viel im Internet zu tun, Facebook alle 5 Min. checken zum Beispiel oder sich mal richtig schön bei Twitter einlesen, außerdem gibt es da noch ein paar Wikipedia-Artikel, die ich noch nicht kenne und irgendwer hat wieder was Dummes in die SPON-Kommentarspalte geschrieben, dem muss ich noch eben erklären, wie dumm er eigentlich ist und warum.

Manchmal trifft man doch noch ein paar Leute, fühlt sich aber nach einem halben Tag in der eigenen Suppe schwimmen eigentlich nur eklig und der Kopfschmerz vom Billigvodka von gestern Abend lässt einen nur so mittelgute Jokes im kollektiven Katergespräch platzieren. (Manchmal liebe ich es daher, Sonntags arbeiten zu müssen, da kann man immerhin noch ein bisschen „Werte schaffen“, der ansozialisierte Arbeitsfetisch erfährt Befriedigung und ich träume, wie ich mir vom verdienten Geld nächsten Samstag dann den Mittelklasse-Vodka gönne.)

Doch auch im fortgeschrittenen Alter und mit etwas Glück sogar den prekären Lebensumständen entwachsen, sind Sonntage die neoliberale Vorhölle, denn am Montag fängt der Scheiß ja wieder an. Da man den Rest der Woche mit lohnarbeiten, Logistiken des Alltags wie Arztbesuchen, Steuererklärungen und evtl. auch Kindern beschäftigt ist, Samstag dann putzt und abarbeitet was „in der Woche so liegen geblieben ist“, kann man sich Sonntag so richtig schön AUF KOMMANDO entspannen. Man weiß, man hat jetzt ca. 12 Stunden Zeit genau das zu tun, wonach einem ist, ganz spontan und frei, ach nee sorry, 10 Stunden denn um viertelnachacht fängt ja der Tatort an und den zu schauen ist schon Pflicht eines jeden guten Almans.

Sowieso Tatort: Teufel. Mittlerweile werden schon Erstsemester zum gemeinsamen Tatort gucken in der örtlichen Studentenkneipe anagitiert, spätestens hier wird der Grundstein für ein smoothes Hinübergleiten ins spätere Bürgi-Glück gelegt. Ältere Studierende werben um neue Tatort-Fans mindestens genauso eifrig wie Burschenschaften und Verbindungen um neue Lappen in ihren Reihen. Schlimmer kann‘s dann eigentlich nur noch werden, wenn sich zum anderthalbstündigen ähh Nervenkitzel noch dumpfer Lokalpatriotismus mischt, und man sich darüber ereifert, in welchem Kaff jetzt der größere Lauch ermittelt („Münster!“ „Nein, Dortmund!“ „Aber dieser neue aus Freiburg isch auch echt subba“)
Nach 1-2 reingestellten Weizen muss man dann aber auch ab ins Bett, denn jede Handlung, die man am Sonntag vollzieht, verhält sich auf irgendeine Weise ja schon zum Montag, der über allem schwebt.

Letztlich ist es mit dem Sonntag also wie mit dem Montag und vielen anderen Dingen: Du hasst nicht sie, sondern den Kapitalismus. Und weil Harald Martenstein (ehrenlos) in seiner geilen ZEIT Magazin Kolumne ja weiß, dass den Kapitalismus verteufeln easy und läppisch ist, weil der nie um die Ecke kommt und dir eins drüber gibt (was auch immer das für eine Argumentation sein soll?!), verteufel ich jetzt einfach Martenstein persönlich, der kann gerne mal auf eine Boxerei vorbeikommen, solange er seine FDP Brille zu Hause lässt.

Wenn ihr also nicht wollt, dass ich nächsten Sonntag verkatert mit Harry hier im Kiez hänge, Cappuccino schlürfe und sein neoliberales Gewäsch so langsam in mich einsickert wie die Ibu zu wirken beginnt, schreibt mich doch einfach an und fahrt mit mir ins Maislabyrinth Lübbenau oder in die Sächsische Schweiz oder lasst uns ein paar Kastanienmänner basteln und gute deutsche Autos anzünden, Streichhölzer für beides hab ich auch schon da *help*

[Protipp: Falls ihr die Gesellschaft mal wieder gespiegelt sehen wollt -> einfach „Sonntag“ in der Google Bildersuche eingeben]

 

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