Raving NRW: Der weite Weg nach Dortmund in den Tresor.West

Raving NRW: Tresor West

Puh, das hat gedauert. Ganze vier Jahre ist es her, dass erste Gerüchte von einem Tresor Club Ableger in Dortmund die Runde machten, es folgten Monate gespannter Neugierde auf das erste Line-Up …  tja, und dann kam erst mal eine Pandemie dazwischen.

Doch ein Tresor tut, was ein Tresor tun muss: er wartete geduldig, um im passenden Moment seine dicken Türen zu öffnen. Nach Seit Mai 2022 ist der Tresor.West nun bereits ohne Einschränkungen geöffnet.
Doch es vergingen nochmal eineinhalb Jahre bis ich mich 
Ende September 2023 endlich selbst auf den Weg nach Dortmund machte.
Was war so schwer daran? 
 Was hatte mich abgehalten? Und was hat mich hingelockt? 

Ein Posting: “09.07.22 Tresor.West pres. FLINTA* belongs to the night”, ein all-FLINTA*-Line-Up unter entsprechendem Etikett. Vom Tresor.West hätte ich ehrlich gesagt eine andere Haltung im Umgang mit dem Thema Diversität erwartet, ist der Tresor doch eine Institution mit langer, bis zu den Ursprüngen von Techno verwurzelten Geschichte – und Queerness, Diversität, ja jegliche Facette von anders sein brauchen in einem subkulturellen Verständnis von Clubkultur keine explizite Benennung sondern sind ihr normatives Narrativ. Dieses Selbstverständnis bedarf dringend einer Renaissance und es ist wichtig, dass sich Clubs wieder bewusster in ihrem subkulturellen Ursprung verorten. Nur bedeutet das eben auch einen selbstverständlichen Umgang damit, ein selbstverständlich diverses Booking, und eben nicht das Outsourcing marginalisierter, vom Patriachat unterdrückter Gruppen.

Es folgen Einladungen an Veranstaltungsreihen, die sowieso aus meinem Wohnort kommen, und die Zusammenarbeit mit einem regionalem Festival, das noch nie etwas mit Techno zu tun hatte. In mir wächst die Befürchtung, dass sich in Dortmund anders um die Programmgestaltung gekümmert wird als in Berlin, und es fühlt sich an wie immer, ob ich mich nun in Köln oder in Dortmund darüber ärgere, dass NRW kein Club kann.

Damit soll aber nicht von meiner eigenen  Trägheit abgelenkt werden. Denn wieso fällt mir der Weg in die Region gleich hinter den Stadtgrenzen so schwer, während ich mit Leichtigkeit durchs halbe Land nach Berlin tingele? Vor allem dann, wenn Berlin nach Dortmund expandiert?
Es macht keinen Sinn. Darum gebe ich mir einen Ruck, verstärkt dadurch, dass ich Akua im Line-Up entdecke.

Der Tresor.West versteckt sich in einem Fabrikgebäude hinter einer unauffälligen Tür, kein großer Vorhof, kein leuchtendes Namensschild wie in Berlin. Ich gehe beinah vorbei, wären da nicht ein paar Menschen, die anstehen, und ein als solcher erkennbarer Türsteher. Eine junge Frau an der Tür stellt sich freundlich vor, sie sei fürs Awareness zuständig und wenn irgendetwas sei, solle ich gerne jederzeit auf sie zukommen. Der Eingangsbereich erinnert dann direkt an den großen Tresor: Kasse und Garderobe in einem breiten Flur, gegenüber Holzbänke. Um die Ecke geht es hinein über den nächsten Flur, Baubeton, cleane Industrieästhetik, lediglich punktuelle Beleuchtung, ansonsten ist es schummrig.

Ich streuner durch weitere Flure, vom einen geht es zu den Toiletten (es gibt auch eine FLINTA*Toilette), von einem nächsten geht es zu einer schlichten Bar, dahinter liegt ein geschlossener Floor. Also zurück zum Hauptflur, von dem es zwei Zugänge zu dem offenen Floor gibt, am Ende kreuzt ein ein weiterer Flur, es geht hinaus in einen großen Open-Air Bereich, über dem ein eisernes Industrieelement unter dem klaren Sternenhimmel verläuft, Holzbänke, ein unbespielter Dancefloor schimmert in der Dunkelheit. Ein Jägermeister und eine Coca-Cola aus der Glasflasche, so schmeckt sie am besten. Menschen unterhalten sich, eine Zigarette, ein älterer Raver im Steampunk-Outfit mit Gasmaske. Eine Gruppe junger Ravegirls mit Zöpfen, die mich an meine erste Zeit in Clubs erinnern.

Zurück in den Flur, hinter einer nächsten Ecke gibt es einen weiteren Durchgang zum Dancefloor, Dunkelheit, Nebel, Strobo, ich taste mich an der Wand entlang. Der Floor ist im Verhältnis zur Weitläufigkeit des Clubs erstaunlich klein, durchwirkt von Eisenträgern, und vermittelt auf Anhieb ein kuscheliges, intimes Clubfeeling.

Und dieser Sound!
Wunderbar laut, Quatschen hat keine Chance, der Bass ist präsent und spürbar, auch die unterschiedlichen Bassbereiche heben sich voneinander ab, bezaubernd. Der Sound ist so gut, er katapultiert mich nach Berlin, sodass ich beschließe, alleine schon deswegen wieder zu kommen.

Nach weiteren Runden Jägermeister, Garten, Toilette und Dancefloor wird klar, dass anteilig wenig Technomenschen im Publikum sind, noch nicht mal Techno-Touristen, schon gar keine Atonalisten. In Gesprächen, die sich im Garten beim Feuerzeug suchen oder nach Papers fragen ergeben, erzählen mir zwei Partygänger, dass es in Berlin wohl auch einen Tresor geben soll, der etwas mit diesem Tresor zu tun haben soll. Genaueres wisse man nicht, keiner von ihnen war schonmal dort. Das Atonal Festival kennt in dieser Nacht niemand, auch den Namen Dimitri Hegemann nicht. Statt der Gespräche über Musik, künstlerische Arbeit, gesellschaftliche Themen im Abgleich zum entgegengesetzt konstruierten Clubleben, statt dem Austausch über Erfahrungen von Befreiung und sich Zuhause fühlen lausche ich Gesprächen über heterosexuellen Datingfrust. Nach keinen zwei Stunden weicht mein nostalgisches Verständnis für Jugend und Leben in der Provinz, ich hab genug von Buddy-Talk. Genervt fliehe ich mehrmals von meinem Raucherplatz und dränge mich einer jungen Ravegang auf, die verstehen, mich in ihren Kreis aufnehmen, mir eine Zigarette drehen und von ihrem Freundeskreis erzählen, aus dem ein eigenes Label hervorgegangen ist, von ihrer ersten Releaseparty; sie kennen die Clubs und Veranstaltungsreihen in Köln genauso gut wie die in Berlin, wissen mich aber mit einem Haufen mir noch unbekannter DJs und Labels zu versorgen.

Inzwischen ist es spät, nur die Lustigen und Interessierten sind noch da. Die Playtime von Akua hat begonnen. Sie ist ein wunderbarer DJ. Ihre Selection ist Detroit influenced, doch sie verlässt sich nicht allein auf das treibende Bassfundament sondern arbeitet mit einem fliessenden EQing der verspielten Soundebenen darüber. Die ersten zwei Stunden tanze ich durch, und ihr Timing sitzt über die gesamte Zeit hinweg perfekt, ob es der Verlauf im Mixing ist, die Übergänge oder der Einsatz von Kicks und Bässen, alles ist in time. Akuas Set ist eine Einladung zum tänzerischen Tanzen, bis in die kleinen, filigranen Akzente hinein kann sich mein Körper auf ihr Mixing verlassen.

Nach zwei Wochen hab ich wieder Lust auf den Tresor.West. Wegen seinem guten Sound. Techno muss nicht immer 800 km weit entfernt sein, und es tut gut, das zu wissen.

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