Hard times in the city … This is not America … The Angst and the Money

Der Autor im Patrick Cowley Crewneck Fleece, SF 2025; erworben bei Dark Entries ❤️
„Blossom fails to bloom this season
Promise not to stare
Too long (this is not America)
For this is not the miracle
There was a time
A storm that blew so pure
For this could be the biggest sky
And I could have the faintest idea
For this is not America
(Sha, la, la, la, la)
(Sha, la, la, la, la)
(Sha, la, la, la, la)
This is not America (no)
This is not (sha, la, la, la, la)“
(David Bowie und Pat Metheny Group: „This is not America“)
„But suddenly out of the blue
To my mind came what I once knew…
Nothing’s about me or you honey
It’s all about the angst and the money
Ach verdammt, alles hin
Alles Geld, alles Angst, alles hin, hin, hin
Ohne Geld, keine Angst, alles hin, hin, hin
Ohne Angst, kein Geld, alles hin, hin, hin
Kein Geld ohne Angst“
(Ja, Panik: „Alles hin, hin, hin“ – aus dem Album „The Angst and the Money“)

New York, 1990
Transatlantische Gefühle: 1990-2025
Da will man eigentlich nur seine Beobachtungen und Gedanken zu den Erlebnissen einer fünfwöchigen USA-Reise zu Papier bringen. Doch was ist schon noch „eigentlich“ in einem Heute, in dem persönliches Befinden und weltpolitische Entwicklungen derart eng und unrhythmisch verwoben sind – und ein Ende des den wirren Takt diktierenden Lieds kaum vorstellbar scheint? (Denn auch wenn Tyrannen und Diktaturen eine Halbwertszeit haben, gilt das für Klimawandel und rechte Machtfantasien leider nicht.)
Nennen wir es nicht Prokrastination, wenn ich mich dem Jetzt in Zeitschleifen annähere und ein paar alte USA-Reisen mit einflechte – sondern emotionale und, hoffentlich, auch sinnstiftende Kontextualisierung. Derer USA-Reisen gibt es viele. 50 vielleicht? Das U.S. Immigration Office weiß es sicherlich genauer. Eine Folge meiner musikalischen Sozialisation mit East-Coast-Hardcore und West-Coast-Punkrock, New-Hollywood-Cinema und Cinema of Transgression, sowie der Kunst von Leuten wie Mike Kelley und Raymond Pettibon.
Mein erster Trip in die USA fand jedenfalls 1990 statt. Das Abitur hinter mir und genug gejobbt, um über eine zum besessenen Schallplattenkaufen angemessen gefüllte Reisekasse zu verfügen (ich sollte mit 105 für immer in meinem Gedächtnis visualisierten Platten zurückkommen – plus Bücher, Videos, Magazine…), besuchte ich zehn plus x US-Städte. Dank des 400-Dollar teuren All-you-can-fly-Stand-by-Tickets von Northwest Airlines.
„Sir Drone“ (Raymond Pettibon, in Kooperation mit Mike Kelley, 1989)
New York im heißen Sommer 1990
Letzter Stopp dieser ersten USA-Reise war New York. Was am Anfang des Trips wie ein goldenes Versprechen geklungen hatte – eine Woche New York City, Sehnsuchtsort, aus dem so viele Platten, Bücher, Filme… kamen, die mein Kinderzimmer mit Träumen gefüllt hatten – stand plötzlich unter nicht mehr ganz so guten Sternen. Das Reisebudget war durch außer Kontrolle geratenen Plattenkonsum auf unter 100 Dollar pro Record-Junkie geschrumpft. Wir machten uns wenig Hoffnung, dafür noch ein Bett zu finden.
Damals gab es an den Flughäfen Tafeln, auf denen die Hotels der Stadt für sich warben. Internet? Noch nicht wirklich existent. Neben einem Foto und ein paar Basisinformationen hing ein Telefonhörer, der einen direkt mit dem Hotelempfang verband. Und siehe da: Nach etlichen viel zu teuren Angeboten wurden wir fündig.
Vielleicht hätte es eine Warnung sein sollen, dass unser Doppelzimmer für 140 Dollar pro Woche direkt neben dem 10th Precinct New York City Police Department (230 W 20th St) lag – aber was hätten wir auch machen sollen? Das oder die Straße.
Viel besser war es allerdings nicht: Das Zimmer hatte ein Loch im Boden, das wir in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit Brettern von der Straße notdürftig schließen mussten, da die Viecher aus dem Loch uns die 40-Grad-Nächte zur Hölle machten.
Aber immerhin: Ein Restbudget fürs Essen blieb. Damals gab es in New York noch Breakfast-Deals (unlimited Coffee, Bagel mit Cream Cheese und Ei) für 2,99 Dollar. Und der legendäre 1-Dollar-Pizza-Slice war eben nicht nur eine Legende – sondern real.
Ich erzähle das nicht aufgewühlt von den letzten Inflationsrunden (wobei… irgendwie schon), sondern weil ich mich auf der aktuellen Reise an all die Schilder erinnert habe, die uns damals mit groß geschriebenen Zahlen und niedrigen Beträgen hineinlockten – klare Signale, dass selbst wir pleite konsumierenden Indie-Touristen noch am amerikanischsten aller amerikanischen Träume teilhaben konnten: dem Kapitalismus.
Richard Kern „Goodbye 42nd Street“

Dead End: California; SF, 2025
Das Gespenst der Rezession: San Francisco im März 2025
Die Straßen von San Francisco sind leer. Selbst die Obdachlosen sind (fast) verschwunden. Nur ein, zwei Straßenecken im berüchtigten Tenderloin-Bezirk erinnern noch an das neue Zombie-SF – jene Stadt, die im Schatten der Silicon-Valley-Geldschwemme und der damit einhergehenden Hyper-Gentrification unbewohnbar teuer für Normalsterbliche geworden ist – und somit, natürlich, dem kulturellen Leben heftigst zusetzte.
Ein temporär angenehmer Nebeneffekt: Die Hotels in Downtown sind wieder bezahlbar, ja, teils sogar extrem günstig. Drumherum – vor allem abseits der Business Hours – aber eine Atmosphäre, die Rezession nicht mehr nur als Möglichkeit in den Raum stellt. Hier ist sie längst real. Mindestens jedes dritte Geschäft steht leer. Spricht man Amerikaner:innen auf diesen Leerstand an, und betont, dass man nicht versteht, warum die Preise nicht endlich fallen, sodass all jene, deren Lebenskonzepte und Vorhaben nicht primär auf große Renditeerwartungen setzen, sich die Räume wieder leisten könnten – für Konzerte, Clubnächte, Screenings, Lesungen, Symposien und all das Schöne, das in diesen leeren Räumen Platz hätte –, dann bekommt man zur Antwort: „Der Leerstand rechnet sich! Er lohnt sich über Abschreibungen mehr, als es niedrigere Mieten je tun würden – denn die müssten versteuert werden.“

Los Angeles, 2025: Nur noch der Teer sprudelt…
Das Ergebnis: ein Kapitalismus, der so reizlos aussieht wie ein Supermarktregal in einer verlassenen Kleinstadt am Ende der Welt.
Keine verführerischen Auslagen mehr, keine groß blinkenden Sonderangebote, die uns magnetisch anziehen. Die Preise sind in den USA im Frühjahr 2025 komplett verschwunden als Anreizmoment. Eine Entwicklung, die mir auf den letzten Reisen schon aufgefallen war, nun aber am Endpunkt angekommen scheint: Niemand wirbt mehr mit dem Preis.
Es war ja in den USA schon immer üblich, dass nur der Nettopreis angegeben wird – und dann an der Kasse (vor allem für alle, die nicht so gut im Kopfrechnen sind) der Preisschreck kam. Aber jetzt fischt man oft im Volltrüben, bevor es zu spät ist.
Eine Falafel am Straßenstand? 12 Dollar.
Ein Orangensaft im Park – noch vor wenigen Jahren unter der 5-Dollar-Schwelle? Jetzt kaum mehr unter 10 Dollar.
Ein Hot Dog (Herstellungswert: 50 Cent)? 11,99.
Ein Kaffee 6 Dollar.
Die Liste könnte ich endlos so fortführen.
Klar, man kann vorher nachfragen. Aber es auch wirklich zu tun, ist schon der erste Schritt des sich-aus-dem-System-aussortiert-Fühlens.
Und mal ehrlich: Spontaner Konsum muss im Moment einfach Spaß machen – sonst sucht man ihn nicht mehr.
Die Hyperinflation, die in den USA in den letzten sechs Jahren stattgefunden hat, lässt kaum noch Luft für genau dieses Gefühl.
Konsum als Lustprinzip ist hier inzwischen ein Nischenphänomen.
Ganz besonders krass leer war es übrigens in den Museen. Im MoMA und im Asian Art Museum begegnete einem kaum jemand – 17,99 bzw. 30 Dollar Eintrittspreis helfen sicherlich nicht dabei, kulturelle Teilhabe zu fördern. Einzige Ausnahme: das de Young Museum, wo sich die Leute dank einer Ausstellung mit Paul McCartneys Fotografien von der ersten Beatles-US-Tournee drängelten. Eine schöne Ausstellung übrigens. Eine, die einen leicht bis schwer melancholisch werden lässt – eine Neigung, die mir eigentlich fremd ist. Aber in den USA kann man es derzeit dann doch mal werden.
Zeitlos schön, das als positive Note: der Golden Gate Park und der Presidio Park. Wobei auch der schöner war, als er noch wild war – und die Leichen in „Die Straßen von San Francisco“ mit Blick auf die Golden Gate Bridge und Alcatraz angespült wurden.

Golden Gate Bridge, SF, 2025
SF im April 1992
In den 1990er Jahren gab es (ich sprach es schon an) das Internet ja noch nicht, zumindest nicht für diejenigen unter uns, die ihre Tage lieber auf Tennis- und Fußballplätzen verbrachten. Ich erinnere mich an einen Freund, der damals schon von internationalen Netzwerken erzählte, mit denen man Informationen zwischen Computern austauschen könnte – für mich damals einfach nur Science-Fiction. Heute ist er wahrscheinlich Bitcoin-Millionär, ich hoffe es zumindest für ihn.
Damals war Print jedenfalls noch König, und wer wissen wollte, wer wo auftritt, war auf die lokalen und nationalen Print-Fanzines wie Flipside, MRR, Village Voice, LA Weekley … angewiesen.

Amoeba Music
Auf meiner ersten USA-Reise 1990 hatte ich das absurde Pech, in jeder Stadt, die ich besuchte, die Flaming Lips immer knapp verpasst zu haben. Meine Reiseroute war quasi ein ein- bis zweitägiger Delay ihres Tourplans. Tragisch, denn die Flaming Lips waren damals Gott. Über diese 80er-/90er-Jahre-Tradition, Bands als Gott zu huldigen, hat Diedrich Diederichsen mal einen schönen, kurzen Beitrag geschrieben – anhand der Band Animal Collective, die für nicht wenige im Jahr 2000 mit ihrem Album „Spirit They’re Gone, Spirit They’ve Vanished“ Gott war. Diesmal war das Glück jedoch auf meiner Seite. Kaum war ich bei den Bands Sabot und A Snowball’s Chance in Hell( mein Gedächtnis ist hier etwas wackelig – vielleicht hießen sie auch anders) in die WG eingezogen, entdeckte ich, dass die Rollins Band am 5. und 6. April (mit HR von den Bad Brains als Support) im Slim’s (333 11th Street) auftreten würde, dem „Sister Club“ zur bekannteren Great American Music Hall, betrieben von Boz Scaggs. Das war nur ein Katzensprung von meiner WG entfernt.
Wobei Distanzen und Zeit in SF durchaus relativ sind. In den 90ern waren die 15 Minuten Fußweg in SF durchaus „sketchy“. Heute residiert ein Cateringservice im ehemaligen WG-Loft, nebenan gibt’s eine Starbucks Filiale, und in einem Hinterhof parkt am Wochenende gerne Mal eine Pop-Up-Sauna, bei der DJs für den richtigen Vibe sorgen. (Nein, ich führe nicht aus, warum ich das weiß). The times, they are a-changin’. Allerdings nicht zehn Blöcke weiter im Mission District. Die Ecke Mission St. & 18th St. ist 2025 mindestens genauso sketchy wie 1990.
An die Shows der Rollins Band und HR erinnere ich mich übrigens noch en Detail. Nach HR war ich so high vom passiven Mitrauchen, dass es ein paar Songs dauerte, bis ich Rollins in seiner ganzen, damals sehr bedrohlichen Präsenz vor mir wahrnahm.
Los Angeles im Sommer 1990 – eine Stadt vor den Riots
Das mag aus heutiger Sicht verwundern, wo die Mieten und Airbnbs in Venice 2025 kaum noch bezahlbar sind – und die Gegend dementsprechend reizlos geworden ist. Aber damals war sie neben Downtown LA eine der schäbigsten Hoods, in denen man landen konnte. Ausschlaggebend für unsere Wahl war das (preislich) unschlagbare 6-Bett-Zimmer-Hostel. Zwei Jahre später sollte ich das Hostel im Fernsehen wiedererkennen, als die Rodney King Riots zwischen dem 29. April und 3. Mai 1992 nicht nur Hollywood, sondern ganz LA in Flammen aufgehen ließen – genau das, was Public Enemy bereits 1990 in „Burn Hollywood Burn“ vorausgesagt hatten.
„Burn Hollywood burn, I smell a riot
Goin‘ on, first they’re guilty, now they’re gone
Yeah, I’ll check out a movie
But it’ll take a Black one to move me
Get me the hell away from this T.V
All this news and views are beneath me
So all I hear about is shots ringing out
About gangs putting each other’s head out…“
(Public Enemy, „Burn Hollywood Burn“)
Als Schwabe ist man ja immer misstrauisch, dass einen jemand über den Tisch ziehen will.
Genetisch vererbt – kann man nichts gegen machen. Und so blickte ich den Typen, der mir anbot, einen Geheimcode in das öffentliche Telefon im Hostel einzugeben, mit einem schmaläugigen Blick an. Das sollte mir ermöglichen, quasi endlos nach Deutschland zu telefonieren – für gerade mal 5 $. Damals kosteten internationale Gespräche noch das x-fache. Was hatte ich also zu verlieren? Die einzige Bedingung war, dass, falls niemand abhebt, ich auch nichts zahlen musste. So kam meine verblüffte Mutter in den Genuss eines sehr langen Lebenszeichens, das sich durch ihre Überraschung und meine Erleichterung noch einen Tick epischer anfühlte.

Los Angeles, 2025
Phoenix aus der Asche: Los Angeles im Frühling 2025
In den letzten Jahren habe ich viel Zeit in Los Angeles verbracht, unter anderem in den Pacific Palisades, einem der Stadtteile, der besonders von den Feuern im Januar und Februar betroffen war. Vielleicht wurde ich deswegen desöfteren vor der Reise gefragt, ob man nach Los Angeles überhaupt noch reisen könne, und auch ich stellte mir diese Frage natürlich selbst auch. Wie so oft gab die Antwort der Pragmatismus des Lebens. Ja, es ist möglich, sogar notwendig, weiterzumachen. Vor Ort begegnete einem das Feuer kaum, weder in Gesprächen noch in Form von sichtbaren Brandspuren. Wobei die Größe der Stadt – die sich fast von Köln bis Frankfurt erstreckt – dafür sorgt, dass die Schäden an einem Ort nicht zwangsläufig überall spürbar sind. Und den sonst so geliebten Pacific Highway Drive haben wir uns diesmal erspart. Man muss die Tränen ja nicht suchen.
Doch was mir nach nur einem Jahr Abwesenheit sofort auffiel: Die Stadt ist noch teurer geworden! Die Inflation ist nicht mehr zu bremsen – und das bereits vor den jüngsten Trump-Zoll-Eskapaden. Das zum Überleben notwendige Tempo ist so hochgefahren, dass Stillstand keine Option mehr ist. Das Ausmaß des ökonomischen Drucks sieht man auch daran, dass an immer mehr Kassen die Trinkgeldalternativen (18%, 20%, 22% oder gar 25%) nicht mehr schweigend akzeptiert werden, immer mehr Menschen einen individuell kleineren Betrag ein – ein stilles Zeichen der finanziellen Erschöpfung. Das ist ein echtes Problem, denn ohne staatliche Sozialabsicherung sind viele Angestellte in den USA auf diese Trinkgelder angewiesen. Man fragt sich, wie die Rezession noch abgehalten werden soll.
Die Auswirkungen dieser Entwicklung auf den Kulturbetrieb sind jetzt bereits massiv. Während Kalifornien vor einem Jahrzehnt noch ein Paradies für Künstler:innen war, die in Off-Spaces und weniger kommerziellen Umfeldern leben und arbeiten konnten, müssen diese sich mittlerweile genauso dem hektischen Hustle beugen wie es an der Ostküste schon immer der Fall war. Die Räume für Ausstellungen, Konzerte, Clubnächte und alles, was das kreative Herz begehrt, werden zunehmend unbezahlbar. Wie gesagt: das ist kein Zukunftsszenario, sondern bereits die Gegenwart. Selbst große Institutionen und Global Player der Kunst- und Musikbranche registrieren besorgt, dass ihnen die subkulturellen Zuarbeiter:innen langsam ausgehen. Da der Staat in den USA keinerlei Unterstützung bietet, bleibt den Künstler:innen nur die Wahl zwischen Spender:innen, die aus philanthropischen oder steuerlichen Gründen helfen, oder kommerziellen Akteuren, die längst verstanden haben, dass das Feld gepflegt werden muss, wenn es Erträge bringen soll.
Es ist jedenfalls mittlerweile die absolute Ausnahme, wenn man noch auf Konzerte, Clubnächte und Ausstellungen in echten Off-Spaces geht, der Großteil des Angebots ist schlichtweg durch kommerzialisiert bis es keinen Spaß mehr macht. Der Kulturbetrieb von Los Angeles kann (wie mittlerweile in den meisten Großstädten der Welt) kaum mehr atmen im Würgegriff des Spätkapitalismus.

Palmen, Los Angeles, 2025
Am Ende des Pico Boulevards – Los Angeles im Frühjahr 1992
Bei meinem zweiten Aufenthalt in Los Angeles hätte ich eigentlich schon wissen müssen, dass es überhaupt nichts bedeutet, wenn die Straße, in der ein Konzert stattfindet, nur einen Block entfernt liegt – denn ein Block in L.A. kann locker hundert Kilometer lang sein (nur leicht übertrieben).
Genauer gesagt: Ich wusste es, ignorierte es aber vorsätzlich, als ich einen mir bis dahin unbekannten Typen aus dem Hostel überredete, mit mir zu einer Show der Dwarves auf dem Pico Boulevard zu kommen.
Ich wohnte wie auf der ersten USA Reise in Venice. Der Club war in Downtown, mitten in Skid Row, dem bis heute stabilen Epizentrum von Obdachlosigkeit und Drogenkriminalität. Mein Verkaufsargument: „Die sind bei Sub Pop – dem gleichen Label wie Nirvana.“ 1992 ein Trigger, dem kaum jemand widerstehen konnte.
Das Konzert war grandios (für mich) und die Hölle (für ihn). Nach 25 Minuten – länger dauerte eine Dwarves-Show damals nicht, der Link zeigt zwar nicht diese Show, ist aber durchaus repräsentativ – standen wir wieder draußen. Nur um festzustellen, dass sämtliche Fensterscheiben seines Autos entfernt worden waren. Rausgeschnitten. Sauber.
Es folgte meine erste nachhaltige Begegnung mit der Polizei von Los Angeles. Naiv wie wir waren, dachten wir, sie würden den Fall aufnehmen, vielleicht sogar helfen. Stattdessen die Ansage: „Wenn das Auto in 15 Minuten noch hier steht, schleppen wir’s kostenpflichtig ab – plus Strafzettel.“
Wir schafften es gerade noch, den Wagen auf den Parkplatz eines Stripclubs zu schieben – die einzigen, die uns halfen.

CBGB, 1992
High Noon im CBGB – New York im April 1992
New York hatte schon immer den großen Vorteil gegenüber Los Angeles, dass man alles zu Fuß machen konnte – oder zumindest ohne Auto.
Manhattan war in den 90ern eine einzige Spielwiese aus Clubs und Bars. Vereinzelt von Yuppies verseucht, ja – aber in der Gesamtheit noch ungentrifiziert, bezahlbar, durchlässig. Jeden Abend konnte man aus einer Unzahl großartiger Konzerte wählen – und weil die Eintrittspreise niedrig waren, auch von einem Club zum nächsten hoppen.
Alles unterhalb der 11th Street und hinter Avenue A, B, C war ab einer gewissen Uhrzeit zwar durchaus etwas sketchy, aber Angst hatte ich nie. Es ist ja immer eine Frage, wie man sich gibt: kein Augenkontakt, nicht stehen bleiben, einfach weitergehen – hat sich bewährt. Was nicht heißt, dass man als weißes Middle-Class-Kid nicht an seine kulturellen Grenzen kommt. Zum Beispiel am Abend des 25. April im CBGB.
Die Rollins Band war damals auf dem absoluten Zenit ihrer Energie – kraftvoll, brutal, kompromisslos. Ich hatte sie bereits zweimal in San Francisco gesehen, aber im CBGB – dem von Musikgeschichte aufgeladenen Ort (Richard Hell, Blondie, Suicide, Ramones) – sollte es sich zu meiner großen Freude eine potentiell dritte Chance ergeben. Tickets gab es nur an der Tür. Was nervte. Aber auch fair war – immerhin wusste man: Wenn man rechtzeitig da ist, kommt man auch rein. Mein Dilemma: Kaum nach drei Stunden Warten endlich im Club, musste ich wahnsinnig dringend auf die Toilette.
Ich erzähle das, weil es im CBGB keine abgetrennten Kabinen gab. Nur eine gut inszenierte Schüssel in der Mitte des Raums. Drumherum: Pissoirs, ein Waschbecken, das kaum als solches zu erkennen war.
Es war wahrscheinlich das einzige Mal, dass mir mein süddeutscher Akzent geholfen hat: Der Türsteher gewährte mir – angeblich wegen meines „charmanten“ Dialekts – ausnahmsweise Re-Entry. Ich rannte also von der 315 Bowery Street zu meinem Hotel in der 11th Street und zurück – in unter 20 Minuten. Gerade rechtzeitig zurück zur Vorband: Tool. Nie ganz mein Ding, aber im klaustrophobischen CBGB hatten sie ihre Momente. Trotzdem kein Vergleich mit der Rollins Band. Noch heute kann ich Henry – hier ein Mitschnitt – schreien hören, wenn ich durch das mittlerweile absolut durch gentrifizierte und reizlose Manhattan (bis auf Ausnahme von China Town) laufe.
Nach dem Konzert mäanderte ich stundenlang durch die Lower East Side, erhitzt vom Konzert. Ich fühlte mich so unglaublich lebendig. Alles schien möglich. Und war es auch.
Es folgten viele New York Reisen in den Jahren danach. Aber so weltverändernd wie damals wurde es nie wieder. Je sauberer die Stadt wurde, desto mehr verlor sie ihre trotzige Attitüde, nicht mitspielen zu wollen.

Entry A
New York im Frühling 2025
Natürlich findet man auch 2025 noch seine Spots und seine Leute. Aber das Try-and-Error ist viel größer. Und selbst da, wo es (anscheinend) gerade am besten ist (laut Empfehlungen von Freund:innen), bleibt oft ein seltsamer Beigeschmack – sei es, da man anderthalb Stunden von der Gästeliste bis zum Dancefloor braucht (weil man seinen Reisepass präsentieren muss), man bei der geringsten Benutzung des Telefons (und sei es um 7 Uhr morgens nur kurz zum Check der Uhrzeit) gemaßregelt wird, dass man den Vibe des sozialen Miteinanders nicht respektiert (nachdem man zuvor in einem Zwischenbereich zwischen Tür und Kasse schon fünf Minuten lang die sozialen Regeln erklärt bekommen hat), oder weil um 4 Uhr Schluss mit Alkoholausschank ist (gut, das ist Gesetz, aber nervt trotzdem – auch wenn nur bedingt, da sowieso weniger getrunken wird, aber dazu gleich mehr).
Trotzdem sind Basement, Nowadays oder auch Good Room natürlich Oasen des Glücks in einem, im Abgleich zu den 90er-Jahren und auch Nullerjahren, merklich enteuphorisierten Nachleben New Yorks. Für eine positive Lesart sei hier auf das Interview mit Justin Strauss vom vergangenen Herbst verwiesen.
Besonders gut hat mir diesmal der Besuch des Bossa Nova Civic Club (1271 Myrtle Ave, Brooklyn – und somit in der Straße, wo ich oft in New York unterkomme, allerdings trotzdem one way ein 45-Minuten-Spaziergang) gefallen. An einem Sonntagabend schleppte ich mich um 23 Uhr hin, um Elena Colombi zu treffen und auflegen zu hören. Der Club ist von überschaubarer Größe, inklusive des (sehr schönen) Barbereichs vielleicht eine 200er-Kapazität. Die Atmosphäre ist warm, alle sind nett, und für einen Sonntag sind auch viele Leute gekommen.
Was aber auffällt: Niemand trinkt mehr als einen Drink an der Bar. Vielleicht weil Sonntag ist und bereits zwei Nächte in den Knochen stecken – vom sonstigen Partyverhalten und der Mimik der Barleute lässt sich aber eher darauf schließen, dass das ungewöhnlich ist.
Meine These: Die überschrittene 15$-Schwelle für Drinks arbeitet der Konsumfreudigkeit nicht zu. Wenn aber die kleinen Läden, die eben nicht 35$, sondern 10$ Eintritt nehmen, an der Theke trocken gehen, dann lässt sich kaum ein Line-up mit internationalen DJs mehr finanzieren.
Nachtleben ist ein Trinkbusiness – und nur deswegen liegen die Gagen im Clubbetrieb so viel höher als bei Bands; von den Blockbuster-DJs, die Hallen füllen, sprechen wir hier nicht – hard ticket ist hard ticket – aber Club heißt Drinks.
Die Inflation in Kombination mit einer Generation, die zumindest was Alkohol angeht, gesünder lebt (dafür allerdings merklich multi-toxischer, was alles andere betrifft), wird sich negativ auf die Liga der – ich nenne es immer – B- und C-Künstler:innen auswirken. Und somit auch auf die gesamte Branche an sich, da an diesen wiederum Kohorten von Läden, Booker:innen und Manager:innen anhängig sind.
Die aktuelle Zollpolitik wird diesen Prozess noch dynamisieren.
Die USA im Herbst 2017
Viel zu selten lässt man als in kultureller Mission reisender Mensch die Küsten der USA hinter sich und dringt ins Landesinnere vor. Wie viel Spannendes es dort zu erleben gibt und wie viele bemerkenswerte Menschen man dort treffen kann, durfte ich auf meiner „Talking to Americans“-Reise 2017 mit Jonathan Forsythe erleben. Die Idee, gemeinsam mit dem Auto die USA zu durchqueren, schwebte schon lange in der Luft zwischen uns. Nächtelang diskutierten wir über die soziopolitischen Entwicklungen der USA und das Verhältnis der Blase New York zum Rest des Landes.
Als Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde, fühlte sich dies wie eine direkte Aufforderung für die beiden an. Thomas Venker: »Wir wollten mit eigenen Augen und Ohren erfahren, wie dieses Land tickt, indem wir den direkten Austausch mit seinen Menschen suchen. Jeden Tag mindestens eine andere US-amerikanische Stadt anfahren und rein zufällig auf Basis von Blickkontakten ausgewählte Menschen ansprechen, so unser Credo für den Trip.«
Ein Vorbild für dieses Unterfangen waren die Bücher des amerikanischen Radiojournalisten und Autors Studs Terkel, der in der Tradition der Oral Histories seinen Gesprächspartner:innen das Wort gewährte und so unmittelbare Einblicke in die Welt von Arbeiter:innen, die Zeit der Großen Depression, den Status quo der Rassentrennung, die Abgründe des Amerikanischen Traums und viele weitere erleuchtenswerte gesellschaftliche Plätze und Szenarien ermöglichte.
Auch für uns ging es zentral darum, von den Menschen in ihre Lebenswirklichkeiten mitgenommen zu werden, Geschichten aus ihrem Alltag zu hören, von der Zufriedenheit und Unzufriedenheit mit ihrer Arbeit, dem Status quo vades ihrer Beziehung, ihrer ökonomischen Situation, ihrer Gesundheit, ihrer Familie, aber auch von ihren Träumen und Ängsten zu erfahren und von ihrer Sicht auf die immer näher rückende große weite Welt um sie herum. Es war für uns eine erstaunliche und berührende Erfahrung, zu erleben, wie großzügig Menschen sich zu öffnen bereit sind, wie viel zu teilen sie bereit sind. Es war eine Reise, die meinen Blick auf die USA für immer veränderte – und das 27 Jahre nachdem ich das erste Mal im Land gewesen war.
Seit dieser Reise hat sich allerdings nochmals sehr viel getan, die USA sind heute ökonomisch, sozial und politisch gesprochen ein anderes Land.

Symbolbild, USA 2025: Alcatraz, SF
Knoxville im Frühling 2025
Zum Ende meiner diesmaligen Reise hat es mich nach Knoxville, Tennessee verschlagen. Jedes Jahr im März treffen sich hier die Freund:innen von, nennen wir es mal, Avantgarde-Musik für das Big Ears Festival. Während das SXSW die jungen und (bemüht) jung gebliebenen Musikfans anzieht, sind hier die Adult-Listener unter sich. Kaum jemand unter 40 Jahren ist zu sehen. Was an den Preisen liegen kann, die das Festival mit Flug und Unterbringung mit sich bringt.
Da die Hotels zur Festivalzeit kaum bezahlbar sind, haben wir uns ein AirBnB in einem Vorort genommen, 45 Minuten Spaziergang von der Innenstadt entfernt – wie so oft in den USA jedoch nur theoretisch, da es schlichtweg keinen durchgehenden Weg gibt, selbst wenn man es möchte, und wenn man die diversen Kampfhunde in der durchaus „White-Trash“-Züge habenden Vorstadt erfolgreich passiert hat, sorgen plötzlich endende Wege und absente Fußgängerwege letztlich immer dafür, dass man ein UBER ruft. Was gleich mehrfach unschön ist, da man a) doch so viel wie möglich von der Stadt mitbekommen will, und das geht nun mal immer am besten zu Fuß, b) es Kosten mit sich bringt und c) damit auch die Verpflegung nicht so einfach ist, denn der nächste seriöse (im Sinne von Frischware und generell Produkte, die ohne Farbstoffe und Käsetopping auskommen) Supermarkt ist unglaubliche 30 Minuten entfernt. Am Ende machen wir das Undenkbare und bestellen eine Kühlschrankfüllung mit UBER Eats. Aber bitte nicht weitersagen.
Ansonsten steht in einer Stadt wie Knoxville die Zeit noch etwas still, auch wenn die Stadt zuletzt einen massiven Einwohneranstieg von 25 % aufweist, da die Menschen von der immer teurer werdenden Westküste massenweise umsiedeln. Noch hat in Knoxville die Inflation nicht ganz so hart zugeschlagen, aber es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis auch hier ein Kaffee wie im restlichen Land die 5$-Schwelle im Preis überschritten hat – angenehmer Nebeneffekt, dass selbst Süchtige wie ich sich runterdosieren.

The Atlantic was born today, and I’ll tell you how The clouds above opened up and let it out I was standing on the surface of a perforated sphere When the water filled every hole And thousands upon thousands made an ocean (…) I need you so much closer“ (aus: Death Cab for Cutie „Transatlanticism“)
„Get the fuck out of here“
Wo die Reise in den USA hingeht?
Angesichts der massiven Einschläge der letzten Zeit und der rigors Gesetze ignorierenden Politik der aktuellen Administration fällt es einem schwer, keine düsteren Prognosen zu machen. Aber wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Die letzte Bundestagswahl und die sich daraufhin formierenden Regierungs- und Oppositionskonstellationen machen wenig Hoffnung, dass sich bei uns rechte Politik, Inflation und katastrophale Wohnungs-, Transport- und Umweltpolitik nicht ebenfalls hochschaukeln und mit jeder Wahl zu noch schlimmeren Zuständen führen. Was konkret die Kulturpolitik betrifft, macht man sich jedenfalls definitiv nichts vor: Unter einem Kulturstaatsminister wie Joe Chialo wird Kultur nicht mehr großgeschrieben, sondern soll und wird wohl in einem Leistungs- und Wettbewerbskapitalismus aufgehen.
Wenn etwas den Amerikaner:innen gegen den Strich geht, sagen sie gerne: „Get the fuck out of here“. Vielleicht ist das ein gutes Schlusswort hierfür und überhaupt.
„… In a hard town by the sea
Ain’t nowhere to run to
There ain’t nothin‘ here for free
Waiting for a train
Drunk, lying on the sidewalk
Sleeping in the rain
And the people hide their faces
And they hide their eyes
‚Cause the city’s dyin‘
And they don’t know why
Oh, Baltimore
Ain’t it hard just to live?
Oh, Baltimore
Ain’t it hard just to live?
Just to live …“
(Nina Simone: „Baltimore“)
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