Thomas Venker

Von Tag zu Nacht zu Tag zu …

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Es ist manchmal schon seltsam, wie die Ereignisse in unseren Leben zwischen den Tagen fließen. Wie die letzten Gedanken vor und die ersten nach den Träumen sich zusammenfügen zu dieser ach so realen Geschichtsschreibung unserer Existenz.

Vorgestern schaute ich vor dem Schlafen noch die letzte Folge der fünften Staffel von „House of Cards“. Für alle, die es noch nicht wissen, kommt hier der Spoiler: das Präsidentenpaar Underwood gerät in dieser derart in die politische Defensive, dass ihnen im Paradigma der Machtbesessenheit nur noch der ultimative Schritt nach vorne bleibt, sie erklären den „total war“.
Na dann, nichts Neues im Westen, denkt man sich leider und schläft mit dem Bild des trottelig-unbeholfenen und trotzdem nicht minder gefährlichen Sit-In-Präsidenten George W. Bush vor den inneren Augen ein.

Um nach dem Aufwachen und vor dem ersten Kaffee (ein schwerer Fehler, immer) mitten in den contemporary world politics zu landen. Da schreit mir sofort Donald Trump via Spiegel und Washington Post die Möglichkeit eines Dritten Weltkriegs mit Russland entgegen – und kickboxt Obama als “das Schlimmste, was Israel je passiert ist” zur Seite, um sich selbst absurderweise plötzlich zum Freund Israels hochzustilisieren.

Es folgt der Schock der Anschläge von Brüssel. Der leider kein überrasschender ist, da nicht viel Realitätssinn für die Verhältnisse notwendig war, um zu erahnen, dass auf die Verhaftung von Salah Abdeslam reagiert werden würde. Der Kreislauf der Gewalt, er diktiert leider alles.

Ich kann und will hier gar nicht zu tief in den sicherheits- und weltpolitischen Diskurs der Ereignisse einsteigen, so sehr sie mich wie alle aufwühlen, bringt einen das Thema auch immer an die Grenze der eigenen politischen Artikulationsmöglichkeiten: Man ist betroffen, wütend, aber auch so hilflos. Spüren wir doch alle, dass in den letzten Jahren etwas in Rotation geraten ist, was nicht so leicht wieder zu korrigieren ist. Die Normalität, die das Leben in Europa – gerade in Abgrenzung zu vielen anderen Regionen auf der Welt – so lange geprägt hat, sie ist Vergangenheit.

Am gestrigen Abend las ich vor dem Schlafen dann in der Januar Ausgabe des britischen Wire Magazins, mit der die Redaktion und diverse KünstlerInnen auf das Jahr 2015 zurückblickt. Kein leichtes Unterfangen für alle in den Nachbeben der Pariser Anschläge. Angesichts der Ereignisse erscheint die Aufgabe, Top 10 Listen der Lieblingsplatten des Jahres zu erstellen wirklich nicht so wichtig. Und so erinnert der Wire Redakteur Derek Walmsley an ein Statement von Autor Mark Fisher aus dem Jahr 2010. Im The New Statesman sprach dieser davon, dass „die Idee, dass Musik die Welt verändern könne, hoffnunslos naiv sei.“
Natürlich weiß man sofort, warum sowohl Walmsley als auch Fisher das schreiben, und man stimmt ihnen auch irgendwie zu, aber dann eben doch nicht.

Warum? Ich muss nur zwei Seiten weiter blättern im Wire, um ein gutes Beispiel gegen den Reflex der Infragestellung und Resignation zu finden. Auf der Leserbriefseite schreibt dort Diego Bat aus dem Argentinischen Patagonia anlässlich des Todes des Musikers Dieter Moebius. Bat erzählt, wie er diesem in den 80er Jahren in einem Briefumschlag Geld nach Deutschland geschickt habe, um Platten zu bekommen (und da er sich bewusst war, wie vage die Chancen standen, verschickte er gleich zwei solche Briefe – die beide ankommen sollten), und wie er ihn dann bei einem Konzert in Argentinien später kennenlernte und eine tolle Nacht mit ihm und den anderen Musikern verbrachte.
Es ist ein schöner Brief, da er zeigt, wie Musik Menschen zusammenbringt, die durch viele Kilometer und große kulturelle Unterschiede (und politische Systeme) getrennt leben.

Aufgewacht bin ich dann heute mit der traurigen Nachricht vom Tod des A Tribe Called Quest Rappers Malik Isaac Taylor aka Phife Dawg. Ganz unüberraschend kam er zwar nicht, wusste man doch spätestens seit der Dokumentation “Beats, Rhytmes & Life: The Travels of A Tribe Called Quest” und der Tribe-Reunion-Tour 2013, die der Finanzierung seiner Behandlungen diente, wie schlecht es um ihn stand.
Ich durfte Phife Dawg beim Splash 2013 nochmals sehen, und es war ein sehr berührender Auftritt. Die Krankheit und ihre Auswirkungen waren unübersichtlich. Im letzten Drittel des Sets musste Q-Tip ihm immer öfters bei den Raps unterstützen. Das Verhätlnis der beiden mag in den letzten Jahren nicht immer leicht gewesen zu sein, aber zu sehen, wie sich in diesen Momenten die tiefe Freundschaft der beiden über alle Konflikte hinwegzusetzen vermochte, das war bewegend.

Ich möchte die heutige Kolumne mit Musik von meinen Brüsseler Freundinnen Soumaya Pheline und Pablo Saccomano beschließen.

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