Lasst uns über die Zukunft reden
Teil 4
Donnerstag (10.12.)
Das Endgame hat begonnen. Allerdings mutet es deutlich weniger dramatisch an, als ich mir das vorgestellt habe. Zu offensichtlich sind die dramaturgischen Wellen, als dass man als neutraler Beobacher die Anspannung kontinuierlich zu halten vermögen würde. Etwas anderes sieht dies bei den NGOs aus, die, der eigenen emotionalen Verfangenheit in den Verhandlungsprozess geschuldet, nicht mehr zu Distanz in der Lage sind – für sie wird die Brisanz bis zum Ende nicht mehr abnehmen, soviel ist schon jetzt klar: Eine Flatline der Anspannung liegt auf ihnen.
Nachdem am Mittwoch der erste Draft des Ursprungstextes vorgelegt worden war, von der französischen COP-Präsidentschaft mit viel Selbstbewusstsein präsentiert, und dieser Draft im Anschluss von den Speakern fast aller Nationen auseinandergenommen worden war, schien die Fronten unversöhnlich. Zumindest wenn man Aktion und Reaktion 1:1 liest.
Raju Pandit Chhetri, Deligierter aus Nepal und somit auch Teil der LDC Group (Least Developed Countries), korrigiert meine Wahrnehmung allerdings im Gespräch: “Du musst das von der politischen Perspektive sehen.” Für ihn bewege man sich auf gemäßigtem Terrain, es sei eigentlich eine Bestätigung der guten Arbeit der französischen Präsidentschaft gewesen, mit – zugegebenermaßen – markanten Erinnerungen an die Grenzen der jeweiligen Kompromissbereitschaft. Im Wesentlichen sei diese Runde der ersten Reaktionen auf Vertragsmodifikationen vor allem für die jeweiligen Heimatländer, sozusagen mediale Inszenierungen.
Genaugenommen sei jedem Beteiligten bewusst, führt er aus, dass allein schon aus dramaturgischen Gründen mehrere solcher Drafts notwenig sind, damit alle Parteien ihre taktischen Züge machen können. Wobei er anmerkt, dass er für die wichigsten Player, die USA, die EU-Gruppe, die G77 und China an diesem Punkt des Prozess “nicht mehr soviel Flexibilitätsräume sieht”.
Das Ziel seiner Delegation, wie überhaupt das der ärmsten aller armen Länder sei es, die 1,5 Grad Celsius im Vertrag zu verankern, betont er, allein schon damit es mal fixiert sei und man sich somit auf die gemeinsame Ambition berufen kann und sich an Implementierungs- und Finanzierungsstragien setzen kann.
Ich frage Chhetri, ob er denn nicht oft frustriert sei während der Verhandlungen, wo doch die Sachverhalte so deutlich vor allen Beteiligten liegen würden. Er nickt und führt aus: “Alle wissen, was das Problem ist – und sie kennen auch die Lösung. Und doch halten alle bis zum Ende ihre Karten zurück, das ist so traurig. (…) In meinem Land schmelzen die Gletscher, die Inselstaaten gehen unter, das sind existentielle Überlegensfragen. Man sollte denken, dass es allen zuerst um diese ginge, doch unglücklicherweise regieren primär politische und ökonomische Interessen.”
Seinen Optimismus, zu einem guten Ergebnis zu kommen, lässt er sich dennoch nicht nehmen, beendet er das Gespräch versöhnlich – und dennoch verlasse ich das COP-Gelände nach seinen Ausführungen in einem Zustand der Melancholie.
Während der Fahrt mit dem Bus zum Bahnhof Stalingrad höre ich den letzten Function-Berghein-Mix und fotografiere das nächtliche Paris. Ich kann es nicht leugnen, nach zehn Tagen in Paris und im Epizentrum der Klimpolitik sehne ich mich nach einem anderen Ort.
Auf der COP wird ein neuer Draft vorgelegt, von dem sich aber kaum jemand in dem Moment besonderes erwartet – und auch nicht bekommt. Aus der Distanz des Hotelzimmers kommt er mir wie ein stiefmüttlerlich behandeltes Kind vor: ungewollt und dazwischengeschoben.
Freitag (11.12.)
Am Vormittag sieht es noch so aus, als ob das business as usual seinen gewohnten Lauf annimmt und der nächste richtige Draft kommt – doch er kommt und kommt nicht, bis die französische COP-Präsidentschaft bekannt gibt, dass frühstens am nächsten Morgen um 9 Uhr ein neuer Entwurf zu erwarten sei. Zuviel müsse erst noch geklärt werden.
Während die Delegierten weiterverhandeln, steuere ich den einizigen Raum an, wo man jetzt noch Halt zu finden vermag: den Meditationsraum. Chillen in the name of the COP.
Es wirkt. Zumindest erinnere ich mich plötzlich an COP-Momente, die im Trubel der hektischen Vortage untergegangen sind, so mein Treffen mit Tajiel Urioh, einem jungen Blogger aus Tansania, der auf Einladung von Brot für die Welt die beiden Wochen in Paris verbringt und seine Heimat über die Ereignisse auf der COP informiert. Der studierte Geograph und Umweltwissenschaftler versprüht einen ansteckende Optimismus, der gut tut in einem Milieu, in dem viele Protagonisten schon so lange dabei sind, dass eine gewisse Nüchternheit ihr Agieren prägt. Wenn man das Schiff zu oft hat sinken sehen, fällt es eben schwer an eine sichere Einfahrt in den Hafen noch zu glauben. Tajiel berichtet aus seiner Heimat und der Schwierigkeit der großteils noch sehr agrarisch lebenden Bevölkerung, die Bedeutung von Umweltgerechtem Verhalten bewusst zu machen, stehen doch existentielle Fragen im Vordergrund derer Leben.
Wie kann man aus Sicht der westlichen Industrieländer, die vom Manchester Kapitalismus bis heute gewütet haben und auf diesem Schlachtzug ihren Wohlstand aufgebaut haben, erwarten, dass andere Länder auf diese Phase verzichten? Willkommen im Spannungsfeld der Differenzierungsdebatte.
Am Ende unseres Gesprächs spielt er mir HipHop aus Tansania vor, amerikanischer könnte er nicht klingen.
Auch wenn es kaum einer wahrhaben will und man die Phantomschmerzen der COP Verhandlungen in allen Gesichtern sicht, aktuell gibt es nichts zu tun. Ausnahmsweie mal: früher Feierabend.
Beim Rausgehen sehe ich wie ein schwarzes Schaaf mehr den “Fossil of the day” überreicht bekommt, eine Art ongoing Comedy-Steinigung, die sich täglich regen Interesses auf der COP erfreut.
Zum Runterkommen schau ich im Rex Club vorbei, wo der Berliner Nick Höppner an diesem Abend auflegt. Techno und Gin Tonic sorgen für die notwenige Entspannung bevor es in die Schlussrunde geht.
Samstag(12.12.)
Das frühe Aufstehen war umsonst. Auch um 9 Uhr gibt es keinen neuen Draft, erst gegen 11.30 startet die Vorstellung, für die Staatspräsident Francoise Hollande als Pusher-Man eingeflogen kommt.
Während ins Plenum also endlich wieder Zug reinkommt, hat drumherum bereits der Abbau angefangen. Die vor zwei Tagen noch so hektischen Hallen sind geisterhaft leer. Den Schlussspurt hatte ich mir ehrlich gesagt anders vorgestellt: dramatischer, aufgeregter. Stattdessen wirken alle müde. Wenn man nicht ganz deep im Vertragswerk steckt und somit sich selbst einen En-Detail-Eindruck vom neuen Draft bilden kann, helfen einem diese Gesichter kaum.
Ich schmuggle mich ins NGO-Meeting rein, wo man gemeinsam versucht der neuen Formulierungen schnell gewähr zu werden, um sie für die wartende Weltpresse angemessen zu kommentieren.
Die Fakten:
– 2 Grad Celsius sind als Ziel fixiert, jedoch ohne einen konkreten Zeitraum und auch ohne eine hundertprozentige Dekardonisierung. In anderen Worten: ein okaynes Ergebnis, aber nichts wirklich berauschendes. Der Standard der Erwartungen.
– Dafür hat man sich auf ein einheitliches Kontrollsystem geeinigt und einen Kontrollrhythmus von fünf Jahren. Ein großer Schritt.
– Für Loss and Damage sieht dieser Entwurf des Abkommen ein konkretes Maßnahmenpaket zur Linderung von bereits eingetretenen Klimaschäden und zur Vermeidung neuer vor: Frühwarnsystemen, Klimarisikoversicherungen und Risiko-Management, es berücksichtigt auch schleichende Klimaveränderungen wie den Anstieg des Meeresspiegels. Zudem ist eine Verständigung zum Thema klimabedingte Migration vorgesehen – was ein sehr großer Fortschritt wäre. Allerdings wird im Entwurf weiterhin darauf beharrt, dass Schadensersatzklagen an reiche Länder wegen Klimaschäden ausgeschlossen bleiben.
Ich ziehe weiter zum Treffen des Climate Action Networks (CAN), eines NGO-Bündnisses, bei dem die Tiefenanalyse des neuen Entwurfs fortgesetzt wird – so wie dutzende andere kleinere und größere Gruppierungen es aktuell auf dem COP-Gelände tun. Kaum einer traut sich allein den umfassenden Blick auf das Dokument zu, gemeinsam fühlt man sich dem Parkett gewappnet.
Einig ist man sich in der Enttäuschung über das Verhalten von Schwellenländern wie Saudi Arabien, Argentinien und Nigeria, die nicht bereit sind in die ihnen angemessene Rolle zu schlüpfen. Im Großen und Ganzen aber überwiegt Zufriedenheit. Ja, doch, eine gewisse Entspannung zeigt sich plötzlich in der Runde.
Galt noch vor wenigen Stunden ein Ende der COP21 vor Sonntag Abend als unwahrscheinlich, so sind sich plötzlich alle sicher: der Draft wird angenommen werden, wir stehen kurz vor einem historischen Punkt: die Welt einigt sich darauf, auf erneuerbare Energien zu setzen.
Aber ist es wirklich schon so weit?
Die abschließende Sitzung verzögert sich noch etwas. Die Gerüchteküche spricht davon, dass Teile von Afrika doch nicht zufrieden seien und es noch Verhandlungen abseits des Vertragswerks gibt… und dann ist es soweit: die Sitzung fängt an und das Abkommen wird angenommen.
Um mich herum heulen sehr viele sehr erschöpfte Menschen.
Drei Stunden später tanzen einige von ihnen im Players Club auf der offiziellen NGO-Afterhour, auf der sich aber nicht nur NGOs fallen lassen, sondern auch einige deutsche Verhandler. Ich könnte mich jetzt darüber auslassen, dass es eigentlich eine schreckliche Party mit absurdem Eurortrash-Sound und nicht gerade viel Taktsicherheit auf der Tanzfläche ist, aber ich kann auch Mal die Klappe halten: diese Leute haben ihre Feier mehr als verdient.
Gute Nacht, Paris. Es war spannende, bewegende zwei Wochen.
Teil 3
Samstag (5.12.)
Der erste große Tag der Klimaverhandlungen in Paris ist gekommen. Die Ad Hoc Working Group on the Durban Platform for Enhanced Action (kurz ADP) präsentiert den Abkommensentwurf, auf dessen Basis nun die MinisterInnen in der kommenden Woche verhandeln werden. Für einen Reingeschmeckten wie mich ist es keine leichte Situation, diesen Entwurf zu interpretieren, zumal die Reaktionen sehr divergent ausfallen. Denn während die einen euphorisch davon sprechen, dass man damit voll im Zeitplan sei und alles auf ein gutes Abkommen hindeute, hadern andere intensiv und grummeln von Malaysia und Indien, die sich nicht bewegen wollen; Amerikanern, die seltsame Paper zirkulieren lassen, mit denen sie sich von etwaigen zukünftigen Forderungen bewahren wollen, von denen die potentiellen zukünftigen Forderungssteller noch gar nicht ahnen, dass sie diese mal stellen könnten – eine Praxis, die selbst in der nicht gerade als gewissenhaften Musikbranche als anrüchig gelten würde, und so weiter und so fort.
Wie hieß es früher in der Sesamstraße so treffend: „Wer nicht fragt, bleibt dumm.“
Ich treffe also Christian Mihatsch zum Interview. Der Schweizer berichtet unter anderem für die Badische Zeitung, Taz und Klimaretter.info von der COP21 und wurde mir als Experte für die Vertragsverhandlungen und den diplomatischen Duktus sowie die Formulierungsfeinheiten am Vertragswerk empfohlen. Das Gespräch ist, dem Thema angemessen, etwas ausgeufert, so dass es einen eigenen Kaput-Artikel dazu gibt: https://www.kaput-mag.com/stories-de/quo-vadis-cop21-konsens-durch-erschoepfung/
Hier nur ein paar wesentliche Erkenntnisse für den schnellen Leser, dem die Zeit für die Tiefenschärfe fehlt – was natürlich ein Fehler wäre…
- Man kann einem Minister drei Optionen für Vertragssachverhalte zumuten, aber keine 25, die sich nur marginal unterscheiden.
- Die Verhandlungssprache ist nicht englisch, sondern broken English.
- Der wichtigste Stelle im aktuellen Vertragsentwurf ist Artikel 3, Paragraph 1. Hier geht es um das longterm goal, die Begrenzung auf eine Erwärmung von 2-Grad-Celius (oder gar nur 1,5) und die Frage, wie sich diese danach Umsetzen lässt. Stichworte: 100% erneuerbare Energien, Dekarbonisierung der Weltwirtschaft, Fixierung einer Jahreszahl als Frist. Realistisch wird es wohl eine longterm low emissions transformation werden, das ist soft genug.
- Die COP-Präsidentschaft schickt Ministerpaare ins Feld, um die Lage zu sondieren, verhandelt wird dann zumeist zwischen Gruppierungen wie den EU-Ländern, der Afrikagruppe, den sogenannten LDC, den Least Developed Countries, und den LMDC, der Like Minded Group of Developing Countries und nicht mit allen 195 Länderdelegationen gleichzeitig.
- Die meisten Leute gehen davon aus, dass es einen Vertrag geben wird. Die Frage ist, wie gut dieser wird. Wenn es scheitert, dann an der Differenzierung zwischen den Ländern. In der Klimakonvention, die 1992 verabschiedet wurde, gab es diesen Annex, in dem die Industrieländer aufgeführt werden – wer da nicht drin ist, gilt als Entwicklungsland. Eine absolut scharfe Zweiteilung. Die Industrieländer haben Pflichten und die anderen nicht. Die LMDC, die Like Minded Group of Developing Countries, zu denen unter anderem Indien und Saudi Arabien gehören, und die von Malaysia angeführt werden, die bestehen darauf, dass die Zweiteilung beibehalten wird.
- Ebenso strittig ist die Anerkennung klimabedingter Flüchtlinge, Stichwort: Loss and Damage. Siehe auch Video weiter unten.
- Viel kommt auf das Endgame an. Zum Schluss wird man vier, fünf echte Knackpunkte haben, und die gehen dann ins Endgame, bei dem vom Samstag auf den Sonntag, oder gar vom Sonntag auf den Montag, nochmals so richtig durchverhandelt wird. Es gibt ein sehr prominentes Paper der Think-Tank-Mitarbeiterin Liz Gallagher, das drei mögliche Szenarien für das Endgame skizziert: Le Zombie; Comme ci, Comme ça?; Va Va Voom – die reichen vom schwachen Abkommen, das nur kommuniziert, bis hin zum sehr starken, bei dem die Implementierung mit festgeschrieben wird.
- Am Ende des Endgames, wenn wirklich Tag und Nacht nonstop verhandelt wird, steht der Konsens durch Erschöpfung. Irgendein Diplomat hat mal gemeint, es müsse doch einen besseren Weg geben, um einen Planeten zu organisieren.
Und zudem zwei kleine Erklärvideos :
Die Gänge der COP21 haben sich mittlerweile merklich geleert. Die Welt mag auf die Rettung warten, doch das macht das Wochenende noch lange nicht obsolet. Normalerweise findet am Samstag der ersten Verhandlungswoche die legendäre COP-Party statt, bei der sich Verhandler, Presse, NGOs und Lobbyisten so dermaßen ins Nirvana trinken, dass sich die Fronten für einige Stunden sehr weichgezeichnet anfühlen. Der Terrorgefahr bedingt fällt diese mir als „Spring-Break-artig – aber im Guten“ angepriesene Veranstaltung aber aus, zumindest für alle Nicht-NGOler.
Die Vertreter der Non-Governmental Organizations dürfen sich nämlich trotzdem in einer 3000 Besucher fassenden Großraum-Discotheque in der Pariser Innenstadt zusammen gehen lassen. Alle anderen sind auf den freien Disco-Markt angewiesen, der, die Fügung meint es gut – den Detroiter Kyle Hall ein paar Meter neben den mir verschlossenen Türen im Rex Club zu bieten hat.
Auch in diesem Pariser Club mit Weltruf fällt einmal mehr auf, wie wenig einem seltsam vorkommt in diesen Pariser Tagen. Kaum Kontrollen am Eingang und drinnen sehr junges Publikum, das sich nicht groß an der Bar aufhält, sondern direkt auf die Tanzfläche rennt.
Sonntag (6.12.)
Für die NGOler der Katertag, für alle anderen ein guter Tag, um in die Pariser Museen zu schauen, oder einfach nur durch die Stadt zu flanieren. Vom Wahltag, aus dem die Front National von Marine Le Pen so gestärkt hervorgehen soll, spürt man erstaunlicherweise gar nichts in den Straßen von Paris. Ist das schon die vorgezogene Scham des Landes angesichts des abermaligen Ruck nach rechts?
Paris zeigt sich jedenfalls so unbekümmert und freundlich wie die gesamte letzte Woche – bis ich plötzlich völlig unerwartet aufschrecke.
Ich komme just in jenem Moment zufällig an der Ecke Rue du Faulbourg du Temple und Rue de la Fontaine au Roi vorbei, als Presse und Politiker zum Photocall am heute wiedereröffneten Café Bonne-Bière vorbeikomme. Mit einem Schlag spüre ich die unendliche Traurigkeit und Schwere, kommt alles raus, was die Stadt so gekonnt die letzten Tage vor mir verborgen gehalten hat, und ich deswegen so erfolgreich verdrängen konnte. Vom Place-de-la-République erklingt der moll-lastige Sound eines Orchesters.
Montag (7.12.)
Heute beginnt die zweite Woche der Klimakonferenz in Paris. Ab jetzt verhandeln die Minister. Oder anders ausgedrückt: Jeder weiß, ab jetzt zählt es. Obwohl man wohl kaum mehr konkreten Einfluss auf die Verhandlungsstränge hat, wird in den anderen Hallen des COP-Geländes weiterhin von allen Seiten agitiert. Ist das nicht vergebene Liebesmüh? Vielleicht – aber wenn man seit Jahren auf vollem Tempo fährt, und in Paris in den Mühlen dieser 18-Stunden-Tage drin steckt, dann lässt man solche Gedanken nicht zu. Wenn die Wirkung nicht im Moment liegt, dann eben in den Folgeintervallen der Implementierungstreffen und den kommenden COPs – die Show endet nicht mit Paris, sie wird bleiben. Zumal die anwesenden Politiker die Briefings der NGOler und Think-Tank-Vertreter zu schätzen wissen.
Was einem aber an diesem Schaltmoment zwischen den zwei so unterschiedlichen Wochen sehr bewusst wird, ist die Absurdität des Messe- -Betriebs, den es ja auch noch gibt. Dafür kann doch kein zurechnungsfähiger COP-Besucher mehr Ohren und Augen übrig haben. Aber stimmt das wirklich? So ganz sicher bin ich mir doch nicht, immerhin rennen hier so viele Menschen rum wie seit dem Eröffnungstag der COP nicht, obwohl nur wenige Access zum Plenum für die Verhandlungen haben, und ohne einen solchen muss man schon sehen, wo man bleibt. Weshalb dann beispielsweise dankbar die Einladungen zum Vortrag von Arnold Schwarzenegger angenommen werden, oder zur heutigen Gala mit Alec Baldwin und Edward Norton, bei der irgendein Umweltpreis übergeben wird. Und wer gar nichts anderes abbekommt, der muss zu U2, die ihr vor drei Wochen wegen der Anschläge abgesagtes Pariskonzert nachholen, mit dem Eagles of Death Metal als Gästen.
Ich danke dem Engel, der mir ein Access-Märkchen zugeschoben hat und so diese Nichtversuchungen von mir fern hält, auch wenn das Plenum nicht ganz so brisant ist, wie erwartet. Was will man auch bei drei Minuten pro Redner erwarten, zumal die ersten zwei in der Regeln für Floskeln der Dankbarkeit an den Gastgeber draufgehen und die restliche Zeit für Allgemeinplätze. Trotzdem muss ich mir eingestehen, ein gewisses Kribbeln zu spüren – nicht ohne mich darüber zu ärgern. Das ist doch jetzt wirklich totaler Kokolores.
Der Tag endet mit der üblichen Diskussionsrunde auf der Straße vor dem Hotel, beziehungsweise in der Bar nebenan. Die kursierenden Gerüchte lassen die einen euphorisch aufglimmen, andere nachdenklich seufzen. Es heißt, China habe Malaysia endlich dazu gebracht, ihre Forderung weiterhin als armes Industrieland gehandhabt zu werden, aufzuweichen. Aber gilt das auch für Indien? Und kann man sich wirkklich sicher sein, dass die Amerikaner ihr Veto an der Anerkennung von Loss and Damage wirklich nur als Spielkarte für das Endgame halten? Darüber und all die anderen noch offenen Fragen wird auch in dieser Nacht noch lange diskutiert…
Teil 2
Samstag (28.11.)
Die Ankunft in Paris fühlt sich weit weniger seltsam an als befürchtet. Zwar wird man sofort von Militär am Bahnhof nach seinem Ausweis gefragt und sind Polizisten und Soldaten extrem präsent, aber der generelle Vibe in der Stadt ist geradezu entspannt. Vielleicht ist es ja nur meine Einbildung, aber die nörglerischen, einen sonst auf Distanz haltenden Franzosen agieren ungewohnt freundlich und kommunikativ.
Selbst im prekären Stadtteil Saint Denis, wo es während der IS-Anschläge besonders brisant zuging, hält sich die Spannung am Samstag in Grenzen. Die Stimmung beim Gedenkgottesdienst ist angemessen nachdenklich, aber der Alltag hat die Straßen des Viertels wieder übernommen. Die Leuten erledigen ihre Wochenendeinkäufe, halten viele Schwätzchen und drängen in die Cafés und Imbisse.
Sonntag (29.11.)
Eigentlich war die Eröffnungsveranstaltung der Klimakonferenz (ab jetzt hier immer als COP21) erst für den Montag geplant. Kurzfristig wurde sie dann aber auf den späten Sonntag Nachmittag vorgezogen, um so, offizielle Version, effizienter am Montag loslegen zu können. Hinter vorgehaltener Hand hört man von NGOs (Non Governmental Organisations) und Profijournalisten im Feld aber, dass es sich hierbei um Profilneurosen der Bürokraten handelt, da ihnen am Montag bei der regulären Eröffnung die geschlossen anreisenden Staatsoberhäupte die Show stehlen würden.
Fair enough,wie will man denn mit einem Skateboard fahrenden US-Präsidenten mithalten?
Ein paar Stunden bleiben aber trotzdem, um nochmals durch Paris zu spazieren und sich einzugewöhnen – was schnell funktioniert. Beim Brunch ignoriere ich, wie immer, wenn ich in Frankreich bin, die Tatsache, dass mein Schulfranzösisch sehr verblasst ist und bestelle in völlig unangebrachter Selbstgewissheit ein Gericht mit Eiern, das sich als Blutwurst mit Birnenkompott und Kaviar herausstellt. Quelle Surprise – aber sehr lecker und zudem ein guter Einstieg, um mit den Tischnachbarn ins Gespräch zu kommen: er Parisianer, seit immer schon und mit Sehnsucht nach Amerika zu gehen; sie Amerikanerin, die vor zwei Monaten angekommen ist und seitdem verzweifelt nach einer Wohnung sucht – was er mit einem Monolog über die aberwitzigen Preise in Paris kommentiert. Außerdem empfiehlt er ihr, unbedingt ausschließlich französisch zu sprechen, sonst würde das eh nichts mit ihr und den Parisianern.
Die beiden waren am Vorabend – so klein ist die Welt – im nahegelegenen Club La Rotonde, wo der Düsseldorfer DJ und Produzent Jan Schulte unter seinen Imprints Wolf Müller und Bufiman aufgelegt hat. Auch dort sei nichts von einem veränderten Lebensgefühl nach den Anschlägen spürbar gewesen, berichten sie. Im Gegenteil: Der Laden habe getobt. Sie betonen, was man sich selbst auch denkt: Man kann dem Terror nur mit dem hartnäckigen Beharren auf den eigenen Lebensstil begegnen.
Im Anschluss spaziere ich weiter. Über den Place du Colonel-Fabien (der Spitzname des Kommunisten und Mitglieds der französischen Résistance Pierre Georges, der an der Befreiung von Paris 1944 mitgewirkt hat und der bei einer Minenexplosion getötet wurde) geht es nach Bellevielle, diesem so sympathischen Schmelztiegel aus China Town und Bohemian-Slacker-Viertel. Auch hier spürt man nichts von den Ereignissen der letzten Wochen: Die Straßen sind voller Leben.
Ich trinke einen letzten entspannten Cordao im super netten Café Cream, eine Empfehlung der französischen DJ und Produzentin Jennifer Cardini und mache mich auf den Weg zum Messegelände nach Paris Le Bourget.
Wobei sich auch hier der Stress überraschend in Maßen hält. Die Präsenz der Polizei ist nicht größer als vor jedem beliebigen Fußballstadion. Und selbst auf dem Gelände selbst fühlt man sich nicht wie in einem Hochsicherheitstrakt. Einzig die Internationalität der hier Hoheitsmacht besitzenden UN-Polizei ist ungewohnt mit all den ihr anhängigen US-Dialekten um einen herum. So schnell kommt man am Flughafen jedenfalls nicht durch die Kontrollen, und so problemlos hat man auch noch bei keiner Pop-Konferenz seinen Batch in der Hand gehalten wie hier die offizielle Akkreditierung für die COP21.
Ich will hier ja nicht nerven mit dauernden Vergleichen und Bezugnahmen zur Musik, aber auf den ersten Blick scheint der Vergleich mit Pop-Konferenzen wie CMJ, SXSW oder der früheren Popkomm. angemessen. Das Gelände der COP21 ist wie eine klassische Messe aufgebaut: In einem Saal präsentieren sich die NGOs, in zwei weiteren die 194 teilnehmenden Länder (alle der Klimarahmenkonventionen) mit ihren Pavillions. Dann gibt es noch eine Presse-Halle – und überall verstreut klassische Messestände von kommerziellen Unternehmen, die ihre neuen Produkte vorstellen.
Es geht hier also nicht nur um die Verhandlungen am Klimaabkommen (für das ein 90seitger Verhandlungstext aufgesetzt wurde) via Haupt- und Nebenverhandlungsstränge, sondern auch um den ganz normalen Austausch- und Darstellungswahnsinn, wie man es aus jeder anderen Branche kennt.
Ja: Branche. Denn letztlich – da darf man sich angesichts des existenziell wichtigen Themas, um das es in Paris geht, nichts vormachen -, für die meisten Protagonisten ist es am Ende aller Dringlichkeit auch nur ein Job. Irgendwie traurig, dass ich das so schnell nach Ankunft schon denke. Aber dieses Gefühl, dass all die Prozesse und Gegebenheit einem nicht fremdartig vorkommen, speist diesem Eindruck nun mal.
Mit gewohnten Zuständen geht es auch weiter: Um in die vorgezogene Eröffnungsveranstaltung im Plenarsaal La Loire zu kommen, wo der französische Außenminister Laurent Fabius, der auch als COP21 Präsident fungiert, sprechen wird, muss man sich anstellen und auf das Wohlwollen des „Türstehers“ hoffen. Mit all meiner Berghain-Routine werde ich umgehend reingewunken – allerdings nach fünf Minuten auch schon wieder rausgeführt, denn der Presse-Call ist hier noch härter und kürzer als man das von Festival-Headlinern kennt. So richtig Sinn ergibt es zwar nicht, aber immerhin stehen ja überall Fernseher und man kann die Sitzung vor diesen weiter verfolgen.
Montag (30.11.)
Der erste reguläre Verhandlungstag beginnt mit dem, ja nennen wir es doch: Starauflauf. Denn die Anwesenheit von Obama, Merkel und Co. macht alle hibbelig. Die Tickets für die Eröffnungsveranstaltung sind dermaßen begehrt, dass alle schon um 6 Uhr morgens auf das Gelände fahren und wie verrückt SMS und Emails schicken, um eines zu ergattern.
Parallel dazu läuft der ganz normale Tagungswahnsinn an, der die nächsten zwei Wochen bestimmen wird: Alle hetzen von internen Meetings zu Pressekonferenzen und gen später dann auch in die diversen Nebenverhandlungen und die Hauptverhandlung.
Mich zieht es in die Pressekonferenz der deutschen Umweltministerin Barbara Anne Hendricks, die als Leiterin der deutschen Delegation fungiert. Weltbewegendes gibt es allerdings wie erwartet zu nicht zu hören: Pokerfaces und diplomatische Formulierungsgenauigkeit.
Für mich als Neuling interessant: Hendricks schweigt einfach die Frage tot, ob sie Merkels Rede geschrieben habe oder nicht. Das heißt wohl: ja. Oder wie hat man das zu interpretieren? Der restliche Raum merkt allerdings nicht groß auf, als wohl nicht so spannend…
Ansonsten erfährt man bei einer solchen Pressekonferenz zum Beispiel, dass Deutschland mit Kolumbien im Waldschutz kooperiert, und dass in Paris hierzu Gespräche stattfinden werden, wie überhaupt in all den kleinen, aber wichtigen Subgrenes des klimapolitischen Feldes viel gemeetet und diskutiert werden wird.
Auch nicht erwartet hätte ich, dass sich manche der anwesenden JournalistInnen doch tatsächlich beim Fragestellen gegenseitig filmen.
Jetzt wirklich?
Das macht man hier?
Überhaupt wird viel mit dem Handy fotografiert, sehr beliebt ist dabei der modellartige Nachbau des Eiffelturms, der zwischen den Hallen steht. Es lässt sich nicht leugnen: Eine gewisse Sentimentalität prägt das Geschehen. Man hört viel von früheren Konferenzen, zumeist nur krasse Storylines von langen Verhandlungstagen, speziellen Performances und – wohlgemerkt wohlverdienten – exzessiven Stressentladungen. Key Words: Bush 1, 36 Stunden ohne Schlaf, die Cocktails von Lima.
Aber zurück in den Alltag: In Paris herrscht ja aktuell Demonstrationsverbot, weswegen die eigentlich für den Samstag angesetzte große Kundgebung abgesagt werden musste. Als sich am Sonntag trotzdem Klimaschützer am Place de la République versammelten, kam es zu einer unangenehmen Konfrontation mit der Polizei unter Einsatz von Tränengas und mit mehr als 100 Verhaftungen. Die daran anschließende Frage an Hendricks, ob man den Druck der Straße denn brauche, um die Dringlichkeit für die COP21 zu spüren, negiert die Ministerin mit den Worten:
„Wir brauchen den Druck nicht. Wir sind uns der Verantwortung bewusst.”
Die folgenden Reden von Barack Obama und Angela Merken betonten dies auch, alles andere wäre ja auch seltsam. Aber ein bisschen euphorischer hätte ich mir das schon vorgestellt. Irgendwie seltsam zu sehen, dass selbst ein so charismatischer Politiker wie Obama, der seine Rededuktus – und gestus bis ins letzte Detail im Griff hat, dann doch so glanzlos rüberkommt.
Müsste man jetzt in diesem Moment denn nicht die Aura des Aufbruchs spüren?
TEIL 1
Vor einigen Tagen schrieb mir ein in Brüssel lebender Freund, dass er das Wochenende in Paris verbrachte habe, da es dort derzeit so viel entspannter zuginge als in seiner Heimatstadt. Während in Brüssel das öffentliche Leben völlig zum Erliegen gekommen sei, und man sich wie in einem postapokalyptischen Zombiefilm fühle, würden sich die Leute in Paris – obwohl die Anschläge natürlich noch in der Luft liegen – schon wieder versammeln und gemeinsam feiern. Ist es nicht verrückt, wie unterschiedlich sich die Verhältnisse anfühlen können, je nach Perspektive des Betrachters.
Im April las ich während einer längeren Japanreise „The Great War for Civilisation: The Conquest of the Middle East” von Robert Fisk. In seiner journalistischen Dokumentation und Kommentierung der Konflikte im Mittleren Osten des 20. und 21. Jahrhunderts nimmt der ehemalige Korrespondent der britischen Tageszeitung The Independent einen mit an all die vielen Krisenherde zwischen Afghanistan und Algerien, und verdeutlicht die langen Schatten der Gewalt in der Region sowie die fatalen Verstrickungen westlicher Nationen wie England und Frankreich, aber auch der Sowjetunion und der USA in die Konfliktlinien.
Als ich das Buch las, wusste ich noch nichts davon, dass ich acht Monate später mit einer Vollakkreditierung ausgestattet zur UN-Klimakonferenz nach Paris reisen würde, und schon gar nicht, dass bis zu diesem Zeitpunkt die IS den Mittleren Osten in das Herz Europas gebombt haben würde. Zur Akkreditierung für Paris bin ich über ein Interview gekommen, das ich mit Sabine Minninger von Brot für die Welt geführt habe, welches geprägt war von meinem großen Respekt für all jene Menschen, die sich alltäglich mit ihrer ganzen Energie in die Klimapolitik einbringen – und der dabei stets präsenten Frage, wie sie alle angesichts so minimaler Fortschritte die Motivation aufrecht erhalten: von Klimakonferenz zu Klimakonferenz, von Frustration zu Frustration. Gerade wenn es doch um ein so elementares Thema geht: Die Zukunft unseres Planeten.
Wenn man wie ich ein gewisses Lebensalter erreicht hat, ist man gewohnt, dass 99% der Menschen um einen herum egoistisch und gewinnmaximierend auftreten – der Realismus dieser Einschätzung geht leider sogar so weit, dass dieses Verhalten selbst dann kultiviert wird, wenn es offensichtlich für nachteilige Entwicklungen für alle sorgt. Es ist ja nicht so, dass wir mit der zu schleppenden Handhabung der Klimapolitik „nur“ den kommenden Generationen schaden (analog zu diesem seltsamen Spruch: „Nach mir die Sintflut”), nein, eben jene Sintflut ist für viele bereits angekommen, davon kündet der mittlerweile zu Recht omnipräsente Diskurs über klimabedingte Zwangsmigranten und Klimaflüchtlinge ebenso wie der unerträgliche Smog in Peking.
Warum handeln Menschen also so?
Und woher schöpfen die anderen 1%, die Energie zum Dagegenhalten, wo sie doch in der Vergangenheit so oft mit leeren Händen wieder nach Hause reisen mussten.
Von dem, was mich die kommenden zwei Wochen in Paris erwartet, habe ich nur ein vages Bild: ein sehr großes Kongresszentrum, ein schweres und nicht zu ignorierendes Damoklesschwert über unseren Köpfen, und trotz diesem viele Akteure mit sehr unterschiedlichen Agenden – und die schwierige Aufgabe daraus einen gemeinsamen Weg zu definieren, der dem Attribut zukunftsträchtig gerecht wird.
Ich maße mir nicht an, ein Experte für Klimapolitik zu sein, ich bin im Gegenteil sehr weit davon entfernt. Aber ich bin neugierig, wie alle Beteiligten vor Ort mit dieser großen Verantwortung umgehen, und mit welchem Gebaren und in welcher Sprache sie über unsere Zukunft verhandeln werden. Die Eindrücke und Gedanken, die diese Erfahrung bei mir hinterlässt, werde ich an dieser Stelle in den kommenden zwei Wochen regelmäßig mit euch teilen, – und ich freue mich über möglichst viele Rückmeldungen.