Paula Irmschler

Wütende Männer und Ausrufezeichen-Pimmel

Das „Das wird man mal sagen dürfen“ der Post-Print-Ära ist das Caps Lock. ALSO NUR GROSSBUCHTABEN!!!11! In Zeiten, in denen man vor lauter Political Correctness überhaupt nichts mehr sagen darf, also überhaupt nichts im Sinne von täglicher Facebook-Posts mit mehreren zehntausenden Likes oder Kolumnen bei Springer, lauten die Namen der Stars der Tabubrecher-Szene Jan Leyk, KenFM, der Anonymous-Troll, Akif Pirinçci (schon erledigt), Jürgen Todenhöfer, Til Schweiger, Jürgen Milski und natürlich Didi Hallervorden. Palim, palim, man, wie schlimm. Von Paula Irmschler.

Verantwortlich für dieses Phänomen ist die in Deutschland seit Jahrhunderten ungebrochene Geilheit nach moralischen Instanz-Wichsern und deren gesellschaftlichem Kompass-Gelapp [Hinweis für Wessis, bei “Gelapp” scheint es sich um ein Chemnitzer Idiom für Gelaber zu handeln, Anmerkung der “Redaktion”]. Aufgeführt wird das von mittelalten bis alten, meist weißen Dudes, die unbedingt jetzt mal aufräumen müssen, den Leuten ins Gewissen reden wollen, sich generell sorgen und denen es so sehr untenrum und im Oberstübchen drückt, dass nun einfach mal was raus muss. Die Fortsetzung des Helmut-Schmidt-Syndroms in der Neuzeit ist tatsächlich noch unangenehmer, da ästhetisch unschöner und schwieriger zu umgehen. Irgendein Wut-Mann verirrt sich, wenn auch nur aus Dokumentations- oder Amusementzwecken, irgendwie immer in der eigenen Timeline. Ganz wichtig ist den Ausrufezeichen-Pimmeln der vermeintliche Tabubruch. Heißt: Themen, die von jeder erdenklichen Seite bereits diskutiert werden und Einstellungen, die an jedem Stammtisch und jeder größeren Partei eine wirklich fette Lobby haben, aufgreifen und ihnen einen selbst gebastelten Tabuschleier überwerfen. Lieblinge: Israelkritik, Feminazis, Vegan-Mafia, böses Amerika, Gender-Wahn, Pädophilie, Asylschmarotzer. Minderheitspositionen werden zum Mainstream hochgejazzt, gegen den man sich als Vertreter der alten Welt wehren muss, die Normalzustände werden einfach mal komplett weggelogen, die eigene, großflächig anschlussfähige Meinung als Vorstoß der Aufklärung gefeiert. Das ist ungefähr so, als würden sich Slayer von meinem Duschgejohle bedroht fühlen. „Wer schützt eigentlich uns alte weiße Männer?“, fragte Henryk M. Broder mal in der Welt. Erst war man (also ich) so: “Rofl, gute Satire”, doch das ging rasch über in ein unablässiges Weinen in Embryonalstellung, denn: Es war des Broders blanker, altärschiger Ernst.

Die Fans der Ausrufezeichen-Boys sind dabei am gruseligsten:

12207735_10206576134059667_396058952_nSie sind Zombies, Sektenmitglieder, die ihren Gurus die Füße küssen und total empfangsbereit sind, ja, auch untenrum. Groupies und Jünger und alles zusammen. Da schreit es „EHRENMANN!!“, „Danke für ihren Mut!“, „ENDLICH sagt es mal einer“, „Bester Mann, irgendwas mit Wahrheit und Meinungsfreiheit“. Sie lesen schon gar nicht mehr, reagieren nur noch. Denn der Typ hat groß geschrieben und Ausrufezeichen benutzt, klar hat er Recht und verteidigt irgendwelche Werte!!! Und nun der Endgegner. Klar, irgendeine peinliche Mackerexistenz aus dem Schoß von RTL II, der jetzt irgendwas mit Mallorca macht. Jürgen Milski.

12200507_10206576135419701_382002429_nP.S.: Jürgen, wir zwei sind immer ehrlich, wir lügen uns nie an. Wir können uns alles sagen, geradeaus von Mann zu Mann. Nee, du bist kein Nazi, du bist einfach ein mieses, deutsches, rassistisches Arsch. Auf dass dich und deine Genossen die 18 heute bis ins 21. Jahrhundert fährt.

(Titelfoto: Split-LP: Nein Nein Nein / Amen 81)

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!