“Lust an den Prozessen des Möglichen und des Kommenden”

Echo Ho beim Blaues Rauschen (Photo: Sebastian Campos)

Zwischen dem 27. und 30. September findet in das Blaues Rauschen in diesem Jahr zum vierten Mal und mit Veranstaltungen in Essen, Herne und Gelsenkirchen statt. Thomas Venker hat sich im Vorfeld mit dem Künstlerischer Leiter des Festivals Karl-Heinz Blomann ausgetauscht.

 

Karl-Heinz Blomann (Foto: Carola Quickels)

Euer Logo im Zusammenspiel mit dem Namen Blaues Rauschen lässt sich von mir nicht so Recht enträtseln. Insofern direkt gefragt: Was hat es mit dem Kopf mit geschlossenen Augen und offenen Mund auf sich? 

Karl-Heinz Blomann: Meiner Meinung nach vermittelt sich aus dem animierten Kopf (siehe Webseite) ganz klar das Gefühl von Rauschen im Kopf. Blaues Rauschen hat darüber hinaus auch eine rein technische Bedeutung. Es gibt neben dem weißen-, rosa- und anderen Rauschbezeichnungen eben auch das blaue Rauschen. Tontechnisch ausgedrückt steigt die Leistungsdichte bei blauem Rauschen mit zunehmender Frequenz um 3 db pro Oktave über einen endlichen Frequenzbereich. Mein Interesse ist es immer gewesen, über die Kunst die Köpfe zu öffnen, eine Offenheit für Veränderungen, technisch, gesellschaftlich, sozial zu schaffen. Das soll auch unser Logo symbolisieren.

 

Ich mag, dass ihr das Festival als „Labor für ungewöhnliche Sound-Performances und Installationen“ bezeichnet, da dies den experimentellen Charakter betont und auch die Möglichkeit des Scheiterns beinhaltet. Inwieweit schätzt ihr es denn geradezu, wenn die Dinge anders als intendiert verlaufen? 

Alle Künstler geben sich natürlich immer die größte Mühe Ihre Projekte, Performances oder Installationen perfekt zu präsentieren. Die Prozessebene wird bei den ausgewählten Acts allerdings immer sehr groß sein. Das bedeutet natürlich das alle Darbietungen immer etwas anders verlaufen oder interessante Wendungen nehmen. Besonders gespannt bin ich auf den Verlauf der Lecture-Performance „free sound territories” und die Präsentation des “open sound hacklab”. Hier treffen Expert*innen zusammen um Neues auszuprobieren. Ergebnis offen!

Ozan Tekin bei Blaues Rauschen (Photo: Sebastian Campos)

Was war der Nukleus von Blaues Rauschen? Warum habt ihr Euch der Ambition gestellt, ein Festival zu erfinden und umzusetzen? 

Das Festival hat seinen Ursprung im Verein open systems.
Der Verein open systems wurde im Jahr 2002 gegründet. Von 1997 (noch ohne Verein) bis 2005 gab es insgesamt fünf Ausgaben des nach ihm benannten Festivals „open systems“. Das Festival würde ich als ein Crossover Festival bezeichnen. Wir haben dort Projekte von improvisierter und Jazz Musik über Neue Musik bis hin zur Performance präsentiert. Danach gab es umfängliche Projektvorbereitungen im Auftrag der Landesregierung für die Kulturhauptstadt mit dem Projekt „upgrade“ und dem Austausch mit Pécs und Istanbul. Leider wurde das Festival aus meiner Sicht damals für einen Schritt in die internationale Sichtbarkeit innerhalb der Kulturhauptstadt nicht genügend unterstützt. Für mich war das der Grund, das „Festival Open System“ nicht weiter zu verfolgen. Durch meine Beschäftigung mit der elektronischen Musik kam mir dann 2017 die Idee für „Blaues Rauschen“.

Bit-Tuner bei Blaues Rauschen (Photo: Sebastian Campos)

Zentrales Alleinstellungsmerkmal von Blaues Rauschen ist es, dass ihr nicht in einer Stadt angesiedelt seid, sondern Euch über das Ruhrgebiet verstreut und in Essen, Herne und Gelsenkirchen diesmal Veranstaltungen präsentiert. Besteht das Team aus alteingesessenen Ruhrgebietler:innen? Ist dieses über die Städte hinausgehen für Euch Alltag oder markiert das Festival eher den Wunsch einen neuen kulturellen Alltag zu etablieren?

Die Vorstandsmitglieder stammen zum großen Teil aus dem Ruhrgebiet. Für mich persönlich und alle Beteiligten ist das Pendeln zwischen den Städten normal. Beim Publikum sieht es schon etwas anders aus. Das 9 EUR Ticket wäre da eine große Hilfe.
Wir versuchen, die kleineren Veranstaltungsorte in den Städten, die durch junge Initiativen neu entstanden sind, mit in die Planung einzubinden. So haben wir zum Beispiel in diesem Jahr bei drei Festivalstädten E, GE, HER insgesamt acht Austragungsstätten. Wir beabsichtigen, über diese Orte und deren Stammpublikum das Festival von der Basis her aufzubauen. Im nächsten Jahr werden wir in fünf Städten sein – Bochum und Dortmund kommen dann hinzu. Um aber international mit anderen Festivals (wie zum Beispiel Sonar Festival in Barcelona oder dem CTM Festival in Berlin) auf Augenhöhe mitzuhalten, braucht es noch ganz andere Anstrengungen. Ich denke, nur wenn sich das Ruhrgebiet als Einheit begreift und auch seine Veranstaltungen abstimmt und gemeinsam promotet, können wir da mithalten. Von der finanziellen und personellen Ausstattung ganz zu schweigen.

Das Lineup in diesem Jahr ist auffällig vielseitig. Wo die meisten Festivals viel enger ihre Künstler:innen auswählen, zeugt Eure Selektion von der Ambition viele Diskurse und stilistische Experimente abzubilden. Wie hat man sich den Auswahlprozess innerhalb Eures Teams vorzustellen?

Im Wesentlich suche ich die Künstler*innen aus. Dann diskutieren wir das in kleiner Runde. Die Anfragen bei den Künstlern laufen über das Festivalbüro. Manches klappt, manches nicht oder wird auf das nächste Jahr verschoben. Die Auswahl basiert auf der Festivalkonzeption.
Übergreifend geht es ja bei allen Performances des Festivals immer um Transformation, um die kreative Kollaboration zwischen Mensch und Maschine. Aber mehr als Transformation, die ja immer nur die Veränderung von a nach d bezeichnet, sind Veränderungen nicht nur lineare, sondern diffuse, heterogene und auch widersprüchliche Entwicklungen.
Beim Festival Blaues Rauschen geht es um die Lust an den Prozessen des Möglichen und des Kommenden. Dabei sind intermediale Performances, AI basierte-, analog oder digital kreierte Kompositionen für mich wie Signale der Zukunft. Wir freuen uns, dass der WDR die Veranstaltungen aufzeichnet und dann wie im letzten Jahr zeitversetzt sendet.

bbb_Blaues Rauschen (Photo: Sebastian Campos)

Wie sehen die Blaues Rauschen Pläne für 2023 aus?

Nach der Ausgabe 2022 werden wir sofort in die Planung für 2023 einsteigen. Die Antragsfristen laufen ja. Diesmal haben wir das Glück, dass die Finanzierung im Wesentlichen schon steht. Dann werden wir, wie schon gesagt, in fünf Städten aufschlagen (E, BO, DO, HER, GE).
Falls es uns zukünftig gelingt, mit diesem Festival unter Beteiligung der örtlichen Partner*innen international sichtbar zu werden und in der Region Ruhrgebiet Denkanstöße für die zukünftige Entwicklung zu geben, haben wir ein wichtiges Ziel erreicht.

Danke für den Austausch, Karl-Heinz. 

Blaues Rauschen

 

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!