Der Vibe stimmte: 10 Jahre Pop-Kultur Festival 2024
Wie erwartet war das Pop-Kultur Festival in Berlin auch dieses Jahr wieder ein voller Erfolg mit fantastischen Musikacts jeglicher Art, originellen Commissioned Works und einer wunderbaren Grundstimmung. Hier ein paar der größten Highlights:
A Certain Ratio
Während der postpunkige Manchester-Background von A Certain Ratio zwar eindeutig spürbar ist – gemeinsam mit Gruppen wie Joy Division waren sie eines der Aushängeschilder von Factory Records –, funktionieren die Konzerte dieser legendären Band jedoch vielmehr wie tanzfokussierte Funk-Partys zwischen hypnotisierender Euphorie und düsterer Ich-tanz-dem-Weltuntergang-entgegen-Stimmung. Vor allem das Gruppenmitglied Donald Johnson war an jedem Instrument ein Gott. Plus: Sie haben „Houses in Motion“ von Talking Heads gespielt. Ich lieb den Song!
Arab Strap
Seit mein Kumpel Wölko, der Arab Straps schummerige Mischung aus eindringlichem Spoken-Word und repetitiven Post-Punk-Beats für mich personifiziert, mir diese betrübten Schotten gezeigt hat, hab ich mich auf ein Konzert der Band gefreut. Und ich wurde nicht enttäuscht: Einprägsame Loops aus simplen Riffs und noch simpleren Drumcomputer versetzen dich in den seelischen Zustand, den Frontmann Aidan Moffat in seinen ebenso humorvollen wie melancholischen Lyrics beschreibt. Hab wegen seines harten Akzents zwar kaum etwas verstanden, doch der Vibe stimmte.
bangerfabrique
Gute Rapperinnen sind die talentierten Newcomer von bangerfabrique (Emmamaelo, Nebou, Melle, Celia, Schwesta Sehra, Roof) allemal, da gibt es kein Vertun. Songs wie „TOP ODER KLEID“ sind schlichtweg, nun ja, Banger – der Name des Kollektivs ist also Programm. Doch besonders geil war das DJ-Set von bangerfabrique, das am Freitagabend auf dem Außengelände des Pop-Kultur Festivals für eine überragende Party sorgte. Hunderte Leute am Hüpfen. Den Spätsommer genießen. Und dann wieder am Hüpfen. Dafür ist die Caystube der perfekte Ort.
Black Boboi trifft Rosa Anschütz & Eddna (Tokyo-Berlin Residency)
Anlässlich des 30. Jubiläums der Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Tokio trat die irisch-japanische Künstlerin ermhoi gemeinsam mit ihrem Trio Black Boboi sowie den in Berlin lebenden Künstlerinnen Rosa Anschütz und Eddna auf. Bewaffnet mit diversen Instrumente (unter anderem einer Steel Drum) entstand aus dieser besonderen Kollaboration eine – man kann es nicht anders sagen – WUNDERSCHÖNE Performance, die eine Art Unterwasserreise darstellen sollte. Ist gelungen! Ich hab darin außerdem die Eleganz alter Barockmusik, aber auch den Art-Pop von FKA twigs herausgehört.
Black Sherif
Komplett unerwartet, hatte ich gar nicht so auf dem Schirm. Rückblickend muss ich sagen, dass ich bei Black Sherif vermutlich den allergrößten Spaß hatte. Diese Energie, alter! Über ultrafette Drill- und Afrobeat-Instrumentals rannte der talentierte Rapper/Sänger Black Sherif von einem Bühnenende zum anderen (und dann wieder zurück), haute sich IDLES-mäßig auf die eigene Brust und heizte sein Publikum an wie sonst kaum jemand auf dem diesjährigen Pop-Kultur Festival. Komplett ansteckend, sowohl der Musiker als auch seine Fans.
GHOSTWOMAN
Absolut mitreißender, semi-psychedelischer Garagenrock mit krautigen Motorik-Rhythmen und halligen Gitarrensoli. GHOSTWOMAN bestehen aus dem Ehepaar Evan Uschenko (Gitarre/Gesang) und Ille van Dessel (Drums), deren Zusammenspiel sich gerade dadurch auszeichnet, wie sympathisch-stumpf es ist. Vor allem die Drummerin Ille van Dessel, die an dem Tag auch noch Geburtstag – wir haben alle zusammen Happy Birthday gesungen! –, war eine absolute Wucht. Einziges Problem: Es war ehrenlos heiß in der Venue; sonst wäre ich komplett abgegangen!
The KVB
Die monotonen, in Trance versetzenden Songs von The KVB sind ebenso verträumt wie rhythmisch, bestehen aus simplen Drumcomputer-Loops und tiefen Gitarrenriffs (voll mit Chorus-Effekt), während auf eindringliche Ian-Curtis-Weise oben drüber gesungen wird – mit anderen Worten: The KVB machen jene Art von Musik, die für mich IMMER funktioniert. Mit diesem Sound kann man wenig falsch machen, doch die Performance von The KVB war ein wirklich guter Abschluss für den letzten Tag des Festivals. (Meine Freunde haben vorab ’nen Joint geraucht; hätte ich auch machen sollen…)
Martina Stock – electroacoustic Harp with Light is presenting »A visual performing Soundsculpture«
Wer mehr zu diesem hervorragenden Commissioned Work wissen möchte, darf auf meine Podcastfolge zu diesem Thema gespannt sein! Ich sprach ich mit der Neoharfenistin Martina Stock sowie Pamela Schlewinski, die für die Commissioned Works auf dem Pop-Kultur Festival zuständig ist, über Martinas großartige Performance, ihre musikalische Sozialisation sowie Pamelas generelle Arbeit an den Commissioned Works. Und über noch vieles mehr. Unbedingt reinhören, sollte innerhalb der nächsten Tage bei Kaput veröffentlicht werden!
OG Lu
Dass die aufstrebende, sonst auch als Thaiboxerin und Türsteherin in Erscheinung tretende Rapperin OG Lu extrem talentiert ist, war mir schon vorher klar. Sie hat einfach dieses Gespür für einprägsame Punchlines und originelle Flows, für das man gute Deutschrapper*innen liebt. Tiefe Stimme, frankfurter Aussprache a la Haftbefehl, fette Beats – einfach toll. Im Live-Kontext hat sie mich dann sogar noch mehr überzeugt, weil sie beim Rappen etwas gemacht hat, das man bei deutschen Hip-Hop-Acts nur sehr selten sieht: Gegrinst. Extrem sympathisch, vielseitig, energiegeladen. 10/10
Plattenbau
Aus zeitlichen Gründen leider nur das Ende des Konzerts von Plattenbau gesehen – mal wieder draußen verquatscht, sind immer so nette Leute beim Pop-Kultur Festival! –, aber: DAMN! Was für ein Abriss! Musste direkt an die von mir geliebte Fat White Family denken, als der Frontmann unterlegt von lärmigen Post-Punk-Geballer ins Publikum sprang und den Leuten ins Gesicht brüllte. Hatte auch was Club/Techno-mäßig, einen gewissen Industrial-Vibe ebenfalls, und funktioniert deshalb vor allem in Berlin gut.