Die 10 besten Performances auf dem Roskilde Festival 2025

Doechi beim Roskilde 2025 (Photo: @colindarbyshir3 | @codaphotos | courtesy of Factory 92/Roskilde Festival)
Als ich dann ankam, war alles ganz fantastisch. Aber Jesus Maria, dieser Hinweg: Fast 16 Stunden von Köln bis Roskilde, zwischenzeitig viel die Klimaanlage aus, danach wieder Anschluss verpasst, und so weiter… f*ck die – ach komm, ihr wisst Bescheid. Ich will mich nicht beschweren…
Fontaines D.C., Wet Leg und Charli XCX hab ich durch’s Bahnchaos leider verpasst, doch ab Donnerstag hatte ich eine großartige Zeit auf dem Roskilde Festival 2025, auch trotz verletztem Fuß. Ultradiverses Line-Up, das von US-amerikanischen Hardcorebands über japanische Jazzrock-Pianisten bis zu afrikanischen Wüstenklängen reichte; liebevoll gestaltetes Gelände, das im Vergleich zum kürzlich von mir besuchten Primavera Festival in Barcelona zwar weniger übersichtlich (und sonnig) ist, dafür aber handgemacht/organisch wirkt; sympathisches Publikum, das neben aufmerksamen Musikfans auch pubertäre Saufdänen und neugierige Familien enthielt.
Alles in allem ein supertolles Festival, ich hatte drei ereignisreiche Tage. Viele Gleichgesinnte getroffen, viel Bier getrunken, viel Musik gehört und vor allem kennengelernt. Im folgenden Artikel hab ich ein Ranking meiner zehn größten Highlights zusammengestellt! Wir beginnen bei Platz 10 und bewegen uns bis zur besten Show vor 🙂
Platz 10: Artigeardit (Stage: Orange Scene, Freitag, 15:30)
Wüsste nichtmal, wie man seinen ausspricht – geschweige denn, worum es in seinen dänischen Rap-Texten genau geht – aber bei den eindrucksvollsten Rappern sollte es ja ohnehin so sein, dass die Energie bzw. das Hauptsentiment auch allein durch die Vortragsattitüde und generelle Aufmachung deutlich wird. Den Reaktionen seiner zahlreichen Fans nach zu urteilen, scheinen auch die unterschiedlichen Gastperformer allesamt bekannt in Dänemark zu sein; jedenfalls sind die Zuschauer*innen durchweg abgegangen und waren selbst in den hinteren Reihen ziemlich textsicher. Im Nachhinein hat mein dänischer Kumpel Niels (Shoutout!) mir erklärt, dass es bei den Texten von Artigeardit häufig um den Kontrast zwischen seinen albanischen und dänischen Wurzeln geht. Der Auftritt auf der gigantischen Orange Stage schien für Artigeardit jedenfalls ein wichtiger, emotionaler Moment gewesen zu sein.

Bright Eyes (Photo: @christianhedel | courtesy of Factory 92/Roskilde Festival)
Platz 9: Bright Eyes (Stage: Avalon, Donnerstag, 21:00)
Auch wenn mir der immense Einfluss von Bright Eyes auf die aktuelle Singer/Songwriter-Landschaft in den USA bewusst ist – vor allem mit Blick auf die ebenso hochsentimentalen wie humorvollen, ganz besonders aber ungefilterten Songtexte von Frontmann Conor Oberst – und mir viele meiner Emo-Freunde ständig sagen, ich müsse Bright Eyes doch eigentlich großartig finden, hab ich nie so richtig den Zugang gefunden. Doch auf dem Roskilde Festival hat es dann endlich klick gemacht: Plötzlich hörte ich hier ganz viel Dylan raus, womit man mich immer kriegt, verliebte mich in die Stimme von Oberst und seine Art, die Bühne zu nutzen. Ich legte mich ein paar Meter weiter hinten in eine Hängematte und schaute mir das Konzert von dort alleine an; zwischenzeitig bin ich sogar kurz eingeschlafen, was in diesem Fall sogar als Kompliment an die Musik gemeint ist. Dass ich mich also dafür entschied, mir Bright Eyes statt die sehr viel stressigere Show von FKA twigs anzuschauen, bereue ich ganz und gar nicht. Zwischenzeit muss halt auch gechillt werden – am liebsten zu folkigen Indie/Emo-Songs.

Beth Gibbons (Photo: @annnliess | @codaphotos | courtesy of Factory 92/Roskilde Festival)
Platz 8: Beth Gibbons (Stage: Arena, Donnerstag, 19:00)
Leider nur die zweite Hälfte der Show gesehen… Doch das reichte völlig aus, um mich von dem smoothen, kaleidoskopischen und im wahrsten Sinne des Wortes coolen Art-Pop, den Beth Gibbons im Solokontext genauso erfolgreich umsetzt wie damals mit ihrer legendären Band Portishead, hypnotisieren zu lassen. Ihre gesamte Performance hatte etwas Eindringliches, etwas geradezu Strenges, ohne dabei die Wärme ihrer pointierten Arrangements aufs Spiel zu setzen. Ist ein Klischee und unfair gegenüber ihrem fantastischen Solo-Debüt „Lives Outgrown“ (2024), von dessen Großartigkeit auch Kaput-Chef Thomas Venker oft schwärmt, aber: Als Beth Gibbons dann „Glory Box“ von Portishead gespielt hat, bin ich geschmolzen. Und alle Leute um mich herum ebenfalls.

Schoolboy Q(Photo: @christianhedel | courtesy of Factory 92/Roskilde Festival)
Platz 7: Schoolboy Q (Stage: Arena, Freitag, 23:00)
In Topform war der Mann, was man ja früher nicht (immer) über ihn sagen konnte. Die Show von Schoolboy Q hatte eine Körperlichkeit, die vielen anderen Rap-Shows auf dem Roskilde Festival 2025 gefehlt hat. Viele seiner früheren Songs scheinbar ja geradezu für Festivals gemacht worden sein – vor allem „Man of the Year“ brachte mich zum hüpfen –, doch auch die unterbewerteten Songs seines angenehm experimentellen Albums „Blue Lips“ (2024) funktionierten sehr gut: Die fragmentarische Ästhetik dieser Platte konnte der Rapper erfolgreich auf die Bühne bringen.
Platz 6: Anohni and the Johnsons (Stage: Arena, Samstag, 16:00)
Wie soll ich sagen, ähm, also wirklich Spaß gemacht hat das nicht. Wenn auch aus den denkbar besten Gründen: Zwischen den sphärischen, orchestralen Art-Soul-Songs von Anohni and the Johnsons – beeindruckend unprätentiöse Gänsehaut-Arrangements und oh mein Gott, diese Stimme – wurden nämlich immer wieder Interview-Ausschnitte von renommierten Umwelt-Wissenschaftler*innen eingeblendet, die im Prinzip gesagt haben, dass die Erde quasi nicht mehr zu retten ist, wir als Menschheit komplett Schuld daran sind und Hoffnung eigentlich sinnlos ist. Puh, harter Tobak, wenn auch nicht nur äußerst wichtig, sondern vermutlich die wichtigste Sache die es überhaupt geben kann. Während der wunderschönen Musik, welche unsere Welt durchweg zu betrauern schien, wurden außerdem atemberaubende Unterwasseraufnahmen gezeigt, um uns zu verdeutlichen, was auf dem Spiel steht. Sah überragend aus – und hat mir das Herz gebrochen.

Africa Express (Photo: @annnlies | @codaphotos | courtesy of Factory 92/Roskilde Festival)
Platz 5: Africa Express (Stage: Orange Scene, Samstag, 17:00)
Diese Show des gigantischen Musikkollektivs Africa Express hat mich direkt im Anschluss an Anohni and the Johnsons wieder aufgebaut, weil hier das genaue Gegenteil vermittelt wurde: Alles ist möglich, solange wir zusammen Spaß haben können. (Ob das ausreicht, ist natürlich, aber in dem Moment hab ich das einfach mal geglaubt.) Hier waren talentierte Rapper*innen am Start, spirituelle Desert-Gitarristen, ultragroovige Percussionist*innen – ah, und Damon Albarn. Ich lieb den ja, versuche auf meine Art so zu leben wie er. Wo er überall seine Finger im Spiel hat, ist komplett krass; ich denke, eine Aufzählung ist an dieser Stelle überflüssig. Offenheit steht bei ihm an erster Stelle. Jedenfalls dauerte es nicht lang, bis er – bewaffnet mit einer Schnapsflasche und dem coolsten Outfit des gesamten Festivals – nur ein weiter Puzzleteil dieser extrem lebendigen Show wurde und sich zu 100% einfügte, sodass die Augen der Zuschauer*innen trotz seine Prominenz nicht ständig an ihm klebten. So muss das. Long live Africa Express!
Platz 4: Doechii (Stage: Organe Scene, Freitag, 18:00)
Klar, nur meine persönliche Meinung – ich finde selbst schade, dass das so ist, weil die Rap-Landschaft mal wieder eine charismatische, gehypte und gleichzeitig aneckende Figur gebrauchen könnte –, aber lange hielt ich die aufstrebende Top-Dawg-Entertainment-Newcomerin Doechii für etwas overrated. Ihr Show auf dem Roskilde Festival 2025 war überragend umgesetzt, kreativ gestaltet und komplett von Doechiis Ausstrahlung getragen, hat mir persönlich aber nochmal vor Augen geführt, was ich an der durchaus talentierten Rapperin so uninteressant fand: Sie macht sozusagen Post-Hip-Hop, präsentiert das Genre also bewusst als etwas, das bereits in der Vergangenheit liegt; sie selbst will uns in dieser als Schulunterricht konzipierten Performance nun erklären, was die wichtigsten Lessons des Genres sind, greift dabei auch auf altbekannte 90s-Klassiker wie „C.R.E.A.M.“ vom Wu-Tang Clan zurück und stellt sich auf der einen Seite also in einer Reihe mit ihren Helden, während sie sich gleichzeitig als scheinbar letztes Glied in dieser Kette präsentiert – oder als erstes Glied einer Kette, die gar nicht mehr vorwärtsgewandt sein will. Doch all diese Punkte (Doechii als Rap-Lehrerin, als Throwback, natürlich auch als feministische Figur) haben das Ganze letztendlich so aufgeladen gemacht, dass ihre Show auf dem Roskilde Festival 2025 eindeutig zu meinen Highlights gehört hat.
Platz 3: Geordie Greep (Stage: Gaia, Freitag, 21:15)
Wie erwartet war die Show des Ex-Black-Midi-Mitglieds Geordie Greep eine herrlich aufgeblasene, völlig überzogene und ebenso ironische wie hochkomplexe Samba/Sinatra/Jazzrock-Mischung. Hier sind Instrumentalisten am Werk, die ganz genau wissen, was sie tun; dass die Froschstimme von Geordie Greep so gut zu dieser (fast schon Steely-Dan-esquen) Musik passt, grenzt an ein Wunder. Der Kontrast ist hier ganz wundervoll: Durch die Komplexität ist das Ganze natürlich alles andere als hingerotzt, doch gleichzeitig wirkte die Show auch bewusst dämlich, so als würde Geordie Greep uns durchgehend zuzwinkern. Alles, was der Musikerin mir im Interview erzählte, wurde auf der Bühne deutlich: Er liebt alte Hollywood-Filme, schmierige Drecksäcke, brasilianische Grooves, peinliche Klischee-Momente. You gotta love him.
Platz 2: Magdalene Bay (Stage: Arena, Freitag, 19:00)
Das war bereits auf dem Primavera Festival 2025 in Barcelona der Fall und traf auch hier wieder zu: Die Bühnenshows von Magdalena Bay sind genauso perfekt wie ihre Alben (allen voran ihr 2024 erschienenes Meisterwerk „Imaginal Disk“). So selten findet man derart farbenfrohe, schimmernde, mit extrem großer Finesse umgesetzte Popmusik. Hier wurde über die Bühne gehüpft und mit Liebe um sich geworfen. Großartig. No notes.

Nine Inch Nails (Photo: @christianhedel | courtesy of Factory 92/Roskilde Festival)
Platz 1: Nine Inch Nails (Stage: Arena, Samstag, 21:45)
Ich bin nichtmal Fan – zumindest war ich es vor dieser Show noch nicht –, doch von der ersten bis zur letzten Sekunde hatten mich Trent Reznor und seine brachial spielenden Jungs von Nine Inch Nails an den … (sorry dafür, aber war halt so; sorry aber die Schlussredaktion musste da doch zugreifen, um bei dem Bild zu bleiben): Von der Bühne kam mir dieses krachige, aber überraschend greifbare Industrial-Geballer entgegen, die kreischenden Noise-Sounds wurden stets in eigängige Rocksongs verpackt, Frontmann Trent Reznor trug sein All-Black-Outfit mit extrem viel Swag und sang großartig. Doch der wirklich Held des Abends war der Kameramann, der während der gesamten Show mit einer Hand-Held-Kamera über die Bühne rannte und so eine körperliche, verschwitzte Schwarz-Weiß-Performance an die perfekt eingesetzten Bildschirme projizierte; ich konnte die Band zwar gut sehen, doch trotzdem schaute ich mir das Konzert immer wieder über die Screens an, weil das so verdammt geil aussah, man zwischendurch jede Ader von Trent Reznor erkennen konnte und das Gefühl hatte, als würde man gerade mit dem Kameramann durch das energische Chaos dieser Musik rennen. Highlight: Es wurde – vermutlich aus aktuellem Anlass“ – der Song „I’m Afraid of Americans“ von David Bowie gecovert. Danach meinte Trent Reznor, sie würden nun einen Song spielen, den sie für einen anderen legendären David gemacht hätten. Mein erster Gedanke war Regisseur David Fincher, da Trent Reznor ja gemeinsam mit seinem Bandkollegen Atticus Ross für viele seiner Filmmusiken verantwortlich war, doch es kam noch besser: Sie spielten „The Perfect Drug“ aus David Lynchs Meisterwerk „Lost Highway“. Oh mein Gott, ich hab so laut geschrien. Und getanzt. Und mich gefreut. Ein toller Moment auf einem tollen Festival.
Danke an alle, die ich auf dem Roskilde Festival 2025 kennenlernen durfte! Es war mir eine große Freude! Bis (hoffentlich) nächstes Jahr!








