Interview mit Andreas Kohl (Conference Director Making Vinyl)

„Ich höre keine digitale Musik“

Vom 24. bis 26. September treffen sich in Haarlem internationale Vinyl-Fans zur „Making Vinyl Europe“ – und im Anschluss das Haarlem Vinyl Festival.

Was vor ein paar Jahren als Branchentreffen mit Nischenaura begann, hat sich inzwischen zu einem der zentralen Foren der Schallplattenindustrie entwickelt mit einer Vielzahl an Panels, Präsentationen und Workshops.

Die Schallplatte ist längst nicht totzukriegen, sie behauptet sich zwischen Streaming-Algorithmen und Playlist-Monokultur als eigenständiges Medium. „Making Vinyl Europe“ will diesem Beharren eine Struktur geben. Es ist ein Ort, an dem sich Produzent:innen, Labels, Presswerke und Händler:innen vernetzen, um Zukunftsszenarien für das Medium zu verhandeln. Zwischen ökonomischem Realismus und kultureller Liebeserklärung liegt der eigentliche Reiz der Veranstaltung: Hier wird um die Relevanz der Schallplatte gestritten, jenseits romantischer Fetischisierung, aber auch abseits bloßer Marktlogik.

Kaput-Autor Lennart Brauwers hat mit Conference Director Andres Kohl über Konzept und Anspruch von „Making Vinyl Europe“ gesprochen – und über die Frage, welche Zukunft die Platte in einer digitalen Gegenwart noch haben kann. 

Für die Leute, die noch gar nicht wissen, was „Making Vinyl“ eigentlich ist: Könntest du erstmal erklären, worum es im Kern geht?

Andreas Kohl (Photo Making Vinyl)

Andreas Kohl: Grundsätzlich geht es darum, dass sich die internationale Vinylbranche in irgendeiner Form vernetzt. Angefangen hat das Ganze im Jahre 2016, als in den USA diese Konferenz ins Leben gerufen wurde, die dann 2017 das erste Mal stattgefunden hat. Zu Beginn war der Plan vor allem, die Herstellungsbranche zu vernetzen. Als der Vinyl-Boom langsam spürbar wurde – das war 2016 definitiv der Fall – gab es extrem viele Probleme, bei denen relativ schnell klar wurde, dass man sie nur gemeinsam lösen kann. Am Anfang ging es also stark um Produktions- und Herstellungsstandards, von denen es in der Vinyl-herstellenden Branche eher wenige gibt. Das ist in anderen Industrien anders: Alles, was in irgendeiner Form in der Schallplattenherstellung schief laufen kann, ist immer Basis einer Verhandlung zwischen Kunde und Hersteller – bis auf ganz wenige Ausnahmen…

Außerdem ging es natürlich um Nachhaltigkeit: Wo bekommt man eigentlich das Material her? Die Grundlage war im Prinzip – wie bei jeder Industriekonferenz – bestimmte Problematiken gemeinsam zu diskutieren und lösen zu wollen. Über die letzten Jahre hat sich das Ganze zu einer inklusiven Sache entwickelt; so haben wir versucht, von dieser extremen Herstellungsorientierung wegzukommen und die gesamte Vinylbranche zusammenzubringen. Es gibt jedoch keine Publikumsanbindung: „Making Vinyl“ ist eine Konferenz, die sich strikt an Player, Businesses oder Gewerke in dieser Branche richtet. Aber mittlerweile kommen auf diese Konferenz eben nicht nur Hersteller, sondern auch Ingenieure, Labels, Künstler, Agenturen, Journalist:innen – also alle, die sich in irgendeiner Form mit Vinyl auseinandersetzen.

Die „Making Vinyl“-Konferenz in Haarlem ist also der Ableger eines US- amerikanischen Originals?

Die Konferenz in Haarlem ist sozusagen das Äquivalent. Es wurde relativ schnell klar, dass man so eine Konferenz auch nach Europa bringen muss; aus dem einfachen Grund, dass fast alles, was auf der Herstellungsseite in irgendeiner Form mit Innovation zu tun hat, aus Europa kommt. Mittlerweile dreht sich das Blatt ein bisschen, aber ich würde mal sagen, bis vor zwei, drei Jahren war Europa für 2/3 aller gepressten Platten weltweit verantwortlich. Die Kapazitäten in den europäischen Presswerken waren wesentlich höher als die in den US-amerikanischen. Die Europäer haben schon vor der Pandemie ganz massiv aufgerüstet, neue Maschinen aufgestellt, sich vergrößert. Das heißt also, alles, was international mit Vinyl zu tun hat, wird natürlich ordentlich getrieben durch Europa. Und damit war das nicht ein Ableger, sondern es war einfach eine zweite Konferenz. So ist es bis heute: Es gibt eine Konferenz in den USA und eine in Europa. „Making Vinyl“ findet also zweimal jährlich statt.

Wie kommt es, dass die europäische Konferenz in Haarlem stattfindet?

Zuerst hat sie in Berlin stattgefunden. Dann war – wie wir alle wissen – die Pandemie, während der es verschiedene Online-Konferenzen gab. Danach fand die zweite europäische Konferenz in Offenbach statt; denn – genauso wie in den USA – war der ursprüngliche Anspruch, jedes Jahr in eine andere Stadt zu gehen. Wobei wir immer darauf achten, dass es in irgendeiner Form eine Connection zur Vinyl herstellenden Branche gibt, dass ein Presswerk, Studio oder Archiv in der Nähe ist, damit man eine Anbindung an die Kultur hat.

Mittlerweile sind wir im dritten Jahr in Haarlem – weil sich das gut entwickelt hat, weil wir uns gut mit dem [eher an Konsumenten gerichteten] Haarlem Vinyl Festival ergänzen, weil wir uns gegenseitig unterstützen. Das soll aber nicht heißen, dass wir jetzt auf ewig davon abgekommen sind, in andere Städte zu gehen. Wir entscheiden das jedes Jahr aufs Neue. Und auch dieses Jahr wird es nach der Konferenz die Überlegung geben, ob wir zurück nach Harlem oder in eine andere Stadt gehen.

Photo: Making Vinyl Europe 2024 / Copyright Making Vinyl Europe

Die Besucher eurer Konferenz gehören zwar alle zur Industrie, kommen aber aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Wie adressiert ihr diese verschiedenen Teilbereiche?

Alles ist für alle, das ist die ganze Idee dahinter. Seitdem ich die Kuratierung dieses Events übernommen habe, mache ich mich dafür die stark, die unterschiedlichen Gewerke einzubringen. Ökonomische Überlegungen spielen eine Rolle, und Fragen wie: Wo geht die Konferenz hin? Was will sie letztlich erreichen? Jedes Jahr sollen andere Leute über andere Sachen sprechen. Es gibt genügend Konferenzen da draußen – in anderen Industrien –, die gezeigt haben, dass es der falsche Weg ist, im eigenen Saft zu schmoren. Sonst hat man am Ende nur noch ein Networking-Event, wo sich alte weiße Männer einmal zum gemeinsamen Betrinken treffen und irgendwas Aktuelles diskutieren wollen. Das kann nicht das Ziel der Sache sein. Deshalb war es von Anfang an mein Wunsch, möglichst viele Leute einzubringen – weil ich auch gerne möchte, dass diese Konferenz eben mehr ist als nur ein Networking Event. Ich will tatsächlich Content liefern; ich will Inhalte liefern; ich will, dass diskutiert wird. Und da brauchen wir natürlich ganz, ganz viel Einflussgrößen aus allen möglichen Bereichen.

Wo können wir einsparen? Wo können wir Impact erreichen? Dazu brauchen wir Zahlen. Dazu brauchen wir Daten, die ein normaler Fan oder Labelbetreiber möglicherweise nicht hat; der hat auch nicht die Kapazität, solche Daten zu erheben. Da geht’s dann los mit dem gegenseitigen Befruchten – und mit dem Punkt, dass alles für alle da ist: Ein Künstler weiß unter Umständen nicht, was eigentlich ein Vinyl- taugliches Master ist, doch der Schneidingenieur weiß es. Wobei der Schneidingenieur am Ende wieder sagt, er könnte eine ganz heiße Platte schneiden mit einer übelsten Rillenbreite, während dann der Hersteller sagt, dass man sowas wiederum nicht pressen kann. Deshalb ist es ganz wichtig, dass alle Mitglieder dieser Kette miteinander reden – und zwar immer und immer wieder.

Wie genau sehen die unterschiedlichen Rubriken und Segmente aus?

Dem Anspruch, möglichst viel Content und Inhalt zu vermitteln, folgt natürlich auch die Struktur des Programms. Am Anfang waren das vor allem Panel-Diskussionen, das heißt: Man lädt vier oder fünf Leute aus einem bestimmten Gewerk, die irgendeine Verbindung miteinander haben, auf eine Bühne ein und stellt ihnen ein paar interessante Fragen. Hinterher gibt es ein paar Nachfragen aus dem Publikum. Das andere Format sind Präsentationen, wo wir also gezielt Leuten die Möglichkeit geben, neue Produkte oder bestimmte Herangehensweisen vorzustellen. Was wir dieses Jahr das erste Mal einführen, sind sogenannte Workshops – weil wir einfach in den letzten Jahren gemerkt haben, dass die Paneldiskussionen und Präsentationen eine viel tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema erfordern. Bei diesen Workshops wird sich im kleinen Kreis getroffen. Fachlich versierte Leute diskutieren ein Problem und sollen dann ein Ergebnis liefern. Einer dieser Workshops wird sich mit der Behandlung von Testpressungen auseinandersetzen.

Ich stell dir jetzt eine unmöglich zu beantwortende Frage: Wie sieht die Zukunft von Vinyl aus? Was siehst du für Risiken und Chancen?

Ich bin natürlich tätig in dieser Branche, sie ist mein täglich Brot. Also habe ich aus einem geschäftlichem Interesse ein unglaubliches Interesse daran, dass das Ganze überlebt. Aber auch, weil es einfach ein irrsinnig gutes Produkt ist! Weil es eines der wenigen Produkte auf diesem Planeten ist, von dem ich sagen kann: So wie es ist, ist es gut. Es braucht keine weiteren Innovationen.

Am Ende geht’s darum, ein Produkt in der Hand zu haben. Und das ist mein Wunsch für die Zukunft, meine Hoffnung und eigentlich auch meine Überzeugung: Alles, was in den letzten 15 Jahren passiert ist, zeigt, dass das Format überleben wird. Wir merken das – und das werden wir auch auf der Konferenz sehen. Es gibt genügend Studien zum Kaufverhalten der Generation Z, wir haben mittlerweile eine Studie zum Verhalten der Generation Alpha. Es hat uns völlig weggeblasen, wie viele 5 bis 8- jährige in der Lage sind, einen Plattenspieler zu bedienen. Und auf der anderen Seite: Als Musikfan will ich, dass das weiter besteht. Ich höre keine digitale Musik. Das glaubt mir keiner, ist aber tatsächlich so. Ich habe keinen Spotify Account, ich höre selten CDs – aber ich höre tatsächlich 10 bis 12 Stunden am Tag Schallplatten. Der Plattenspieler geht früh um acht an, wenn ich ins Büro gehe, und er geht abends um zehn aus, wenn ich aus dem Büro rausgehe. Ich bin komplett gefickt, wenn die Platte verschwindet! Dann gibt es für mich keine Musik mehr!

 

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