Volksnah mit Subtext
Am 9. und 10. September findet in Fergitz Pinnow in der Uckermark die bereits achte Ausgabe des Uckermark Festival statt. Zwei der Kuratorinnen, Ece Pazarbasi und Gudrun Gut, waren so freundlich, kaput ein paar Fragen zur Historie des Festivals und der Programmierung der diesjährigen Edition zu beantworten.
Ece, Gudrun, ihr kuratiert ja zum ersten Mal das Uckermark Festival zusammen. Wie habt ihr den gemeinsamen Prozess empfunden?
Gudrun Gut: Der Titel der diesjährigen Ausgabe des UM-Festivals, „CONNECT“, wurde durch gemeinsame Gespräche von Ece (die für die Kunst beim Festival verantwortlich ist) und Ute Koenig (Literatur) gefunden. Es gibt immer wieder Verbindungen, die funktionieren. Bei Ece war es so, dass sie bereits mit Robert Lippok zusammenarbeitet, den ich gut kenne. Ansonsten hat sie völlig unabhängig ausgesucht. Mit Ute verbindet mich eine lange Geschichte durch das Festival. Wir vertrauen uns.
Ansonsten habe ich mich diesmal mehr auf die besonderen Anforderungen dieses „Familien“-Festivals konzentriert, da gilt es einiges zusammenzubringen.
Die Einladung von Veit Sprenger & Thies Mynther ist auf Initiative von mir und Ute, sie haben letztes mal mit ihrer Mondmaschine alle bezaubert – diesmal präsentieren sie neue Texte mit Musik, wobei sie an den beiden Tagen unterschiedliche Programme aufführen werden.
Der Pop Nachwuchs wird von Post Neo und Baal & Mortimer repräsentiert – beide Acts sind noch jung und relativ unbekannt – aber großartig. Thomas Fehlmann bringt die Erfahrung und Eleganz ins Spiel. Die Verbindung zu dem alten Instrument Akkordeon (durch Annika Von Trier) wird viele Uckermärker:innen berühren, allein der Klang des Instruments lässt Erinnerungen aufkommen. Elke Horner ist eine Solistin aus Brandenburg. Das Ensemble Quillo ist auch in der Uckermark ansässig und steht für andere Herangehensweisen von Neuer Musik, ist allseits beliebt und verbindend.
Ja, wir wollen: VERBINDEN!
Ece Pazarbasi: Ich hatte das große Privileg, das diesjährige Uckermark Festival mit zu gestalten, eine Gelegenheit, die sich mir auf Einladung von Ilona Kalnoky bot, die für die Kunstsektion des Festivals verantwortlich ist. Unter dem vielsagenden Titel “Spooky Distance” („Gespenstische Distanz“) habe ich ein Konzept entwickelt, das sich um die Quantenverschränkung dreht und die tiefe Wechselbeziehung zwischen zwei Teilchen unabhängig von der physischen Ausdehnung zwischen ihnen untersucht. Als ich dieses Konzept mit meinen Mitkuratorinnen teilte, ergab sich eine bemerkenswerte thematische Synergie. Gudrun hat auf geniale Weise das übergreifende Thema CONNECT” eingeführt und damit nahtlos eine zusammenhängende Erzählung gewebt, die sich durch das gesamte Festival zieht. Es versteht sich von selbst, dass die erfolgreiche Durchführung der einzelnen Veranstaltungen von einer akribischen Zusammenarbeit abhängt, bei der räumliche Feinheiten, logistische Vorkehrungen und ein präzises Timing zu einem makellos orchestrierten Programm verwoben werden.
Gudrun, du bist ja von Anfang an beim Festival dabei, vielleicht kannst du kurz die Grundidee darlegen?
Gudrun Gut: Die Grundidee war es, etwas an die Uckermark zurückzugeben. Das Festival wird von dem Verein „Freunde der Uckermark eV“ gestemmt. Das sind Zugezogene, die die Uckermark lieben. Wir wollten unsere Erfahrung im Kulturbetrieb weitergeben. Wir denken, dass Kultur eine Erweiterung des Lebens ist und viel Freude und Gedankenanstöße bringen kann. Da wir aus unterschiedlichen Sparten kommen, haben wir unsere Kompetenzen gebündelt:
Für die Kunst waren die Bildendende Künstlerin Ilona Kalnoky und ihr Mann Ferdinand von Hohenzollern maßgebend. Ansonsten gehören noch Ute Koenig und Andrea Ribbers (beide aus dem Literaturbetrieb) sowie Thomas Fehlmann, Dimitri Hegemann und ich (alle aus der Musikszene) zum Kernteam. Erst haben wir nur Freund:innen eingeladen, es hat sich langsam entwickelt und professionalisiert. Es sind viele freiwillige Helfer:innen und Unterstützer:innen dabei, die sich engagieren.
Von Außen betrachtet, könnte man erst mal sagen: da ziehen Berliner Künstler:innen aufs Land, um dann dort ein Festival für die gleichen Leute zu veranstalten, die sie zuvor bereits in der Großstadt bespielt haben. Das ist aber natürlich nicht die Idee, sondern der explizite Austausch mit der regulären Bevölkerung vor Ort. Wie gut gelingt das denn?
Gudrun Gut: Die Uckermärker:innen haben sich inzwischen an den relativ großen „Buletten“-Anteil in der Bevölkerung gewöhnt. Viele Häuser wären ohne sie verfallen. Einige nehmen das Festival gerne an, andere interessiert es weniger. So wie immer – auch in der Stadt – kann man keinen zwingen. Ich denke, dass das UM Festival recht beliebt ist hier. Es bringt Leben aufs Land und Menschen zusammen, die sonst nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben. Es gibt Essen und Trinken und Gesprächsstoff.
Ece Pazarbasi: Als Kuratorin habe ich Ausstellungen, Festivals und Veranstaltungen in der Türkei kuratiert, auch in den ländlichen Gebieten. Seit 2018 habe ich ein einzigartiges Unterfangen unternommen, indem ich eine experimentelle Künstlerresidenz, die Field Kitchen Academy, gegründet habe, die bis jetzt in Wüsten Buchholz in der Nähe von Perleberg angesiedelt ist. Obwohl Wüsten Buchholz vielleicht nicht so stark von urbaner Migration betroffen ist wie die Uckermark, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen, dass hier, ähnlich wie bei uns Berliner:innen, eine große lokale Gemeinschaft gedeiht.
Der springende Punkt ist die Frage, wie diese beiden Segmente nahtlos integriert werden können, um so einen echten Austausch zu fördern. Ich bin der Meinung, dass das UM-Festival in dieser Hinsicht hervorragend ist, denn es verfügt über profunde Kenntnisse darin, verschiedene Publikumsschichten anzusprechen und zahlreiche Kooperationen mit lokalen Erzeuger:innen zu fördern – und damit eine solide wirtschaftliche Dimension zu schaffen. Als Beispiel für diese Synergie wird bei der nächsten Ausgabe der Kunstsektion des Festivals eine exquisite Kreation vorgestellt: eine Zusammenarbeit von Wein und Schnaps aus der Region. Diese Zusammenarbeit bringt die Talente von Wein- und Schnapsherstellern und Künstler:innen zusammen und gipfelt in der Herstellung von Flaschen in limitierter Auflage. Die Konvergenz von künstlerischem Ausdruck und regionaler Handwerkskunst ergibt ein fesselndes und genussvolles Unterfangen – eine Verkörperung von Innovation und Genuss.
Es klang an, es wohnen mittlerweile (zumindest teilzeitig) ja diverse Leute, die man aus der Berliner Subkultur der 80er und 90er Jahre kennt, in der Uckermark. Wie eng ist denn die Vernetzung generell vor Ort? Sucht man die Nähe? Oder eben gerade nicht?
Gudrun Gut: Hmmm, ich bin manchmal ganz froh über einen Austausch, aber nicht immer. Ich arbeite auch viel. Aber es ist schön, Freund:innen in der Umgebung zu wissen.
Zurück zum diesjährigen Programm. Gibt es sowas wie einen Kompositionplan für das Festival, also in der Art, das jetzt mal banal gesprochen x Elektronische Acts, y Bands und z Djs im Lineup auftauchen sollten? Oder wie hat man sich die stilistische Programmierung vorzustellen?
Gudrun Gut: „CONNECT“ ist das Stichwort. Stilistisch ist es bunt. Das muss so sein, weil das Publikum auch bunt ist. Ich habe noch eine fette Liste mit Acts, die ich gern dabei gehabt hätte. Aber man kann nicht alles haben!
Ece Pazarbasi: Für den Kunstteil ist jede Veranstaltung unter dem Thema “Spukhafte Distanz” programmiert, ein Begriff, den ich durch Einsteins Anti-Quanten-Verschränkungsposition geprägt habe. Und die Orte, die Aufführungen sind dementsprechend sehr übersichtlich gestaltet. Aber natürlich folgten wir auch dem “CONNECT”, um eine Verbindung zum Thema, zum Land, zum Publikum und zueinander herzustellen.
Wie wichtig ist es, dass nicht nur Musik im Programm gibt?
Gudrun Gut: Das ist essentiell. Musik ist nur ein Teildes Festivals. Es ist ganz klar kein Musik Festival. Ich will die Musik aber auch nicht als reines Entertainment-Zusatz-Programm für die Kunst oder Literatur verstanden wissen. Alle drei Bereiche stehen für sich und mischen sich gern.
Ece Pazarbasi: Meiner Ansicht nach ist mein Ansatz beim Kuratieren konsequent interdisziplinär. Dieser Ansatz fördert nicht nur einen bereichernden Austausch, sondern ebnet auch den Weg für die Schaffung neuer neuronaler Pfade in unseren Denkprozessen, wodurch neue Facetten in die Existenz eingeführt werden. Ich glaube auch, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der viele Künstler:innen nicht daran interessiert sind, als Musiker:innen, bildende Künstler:innen oder darstellende Künstler:innen bezeichnet zu werden – sie sind vielmehr an interdisziplinären Verbindungen interessiert, um ihre und unsere Perspektive zu erweitern. Darüber hinaus bin ich der Überzeugung, dass wir in einer Zeit leben, in der sich zahlreiche Künstler:innen konventionellen Etiketten wie Musiker:innen, bildenden oder darstellenden Künstler:innen entziehen. Stattdessen interessieren sie sich für die Verflechtung verschiedener Disziplinen und erweitern damit nicht nur ihren eigenen Horizont, sondern auch unseren gemeinsamen Blickwinkel.
Gibt es denn Ableitungen aus der Pandemie, so dass das Festival nun ein anders ist als vor den Covid-Jahren?
Ece Pazarbasi: Das Gefühl der Distanz und der sozialen Trennung während der Covid Zeit war einer der Gründe, warum ich dieses Konzept für “Spooky Distance” entwickelt habe – um die Frage aufzuwerfen, ob wir, auch wenn wir glaubten, getrennt zu sein, es vielleicht doch nicht waren. Aber ich kann nicht wirklich sagen, wie es in den letzten Jahren war, was sind deine Erfahrungen, Gudrun?
Gudrun Gut: Das letzte Festival hieß „UM Wege“. Das war wirklich toll – Musik, Kunst und Literatur überall. Kurz, abwechslungsreich und viel unterwegs dabei. Die Connection zum letzten Festival sind zum Beispiel das Ensemble Quillo (die ich damals entdeckt habe) und Veit Sprenger & Thies Mynther.
Wie sieht es denn zwischen den Festivals aus, gibt es sowas wie einen ganzjährigen Kulturauftrag, den Eurer Verein in den Region verfolgt?
Gudrun Gut: Wir haben keinen Kulturauftrag. Es ist freiwillig“
Das Festival findet alle zwei Jahre statt und raubt uns viel Kraft und Energie. Aber wir machen Panels und Diskussionen sowie Wanderungen in den Jahren zwischen den Festivals.
Gudrun, wenn du mal die vergangenen Jahre Revue passieren lässt, welcher Auftritt ist dir besonders nachhaltig in Erinnerung geblieben?
Gudrun Gut: Auf jeden Fall Pilocka Krach auf der großen Wasserturm Bühne in Gerswalde, oder letztes Mal auf dem Trecker. Dann habe ich zusammen mit anderen „Heimatlieder aus Deutschland“ gespielt – eine wilde Weltreise mit sieben Musiker:innen (unter anderem Wolfgang Voigt live mit Polkatracks); speziell bei diesen Acts hat sich das Land wunderbar mit der Stadt verbunden. Volksnah mit Subtext.
Und: Ari Benjamin Mayer mit seiner achtstündigen Performance von Satie’s „Vexations in Suckow“ – mit gleichzeitiger elektronischer Bearbeitung von sechs Musiker:innen. Oder auch Antye Greie Ripatti und ihr IPad Orchester für Jugendliche; Kids loved it.
Literatur Lesungen kommen auch immer gut an. Ich mag die Hörstationen sehr: unter einem Baum sitzen und Gedichte hören.
Und nun die schwierige Frage: Auf wen freut ihr Euch jeweils am meisten dieses Jahr?
Ece Pazarbasi: Das ist in der Tat eine sehr schwierige Frage. Es geht um die Synergie, die zwischen allen Werken, Konzerten und literarischen Arbeiten entstehen wird. Im künstlerischen Bereich waren jedoch vier der Künstle:innenr Teilnehmer:innen der Field Kitchen Academy, mit denen ich gerne zusammenarbeite. Die Zusammenarbeit zwischen Robert Lippok und Zeynep Ayse Hatipoglu geht auf die allererste Ausgabe der Field Kitchen Academy zurück, bei der Robert die Arbeitssitzungen leitete und Ayse eine Teilnehmerin war – es wird also eine sehr spannende Zusammenarbeit sein. Brad und Kyoco haben sehr ungewöhnliche, heitere und doch provokante Stücke im Gepäck. Annika wird das Bootshaus und einige Gewässer mit einer Lichtinstallation in Beschlag nehmen– ein Fest für unsere Augen bei Tag und Nacht. Andreas und Collective Mö haben einen sehr subtilen, aber dennoch auffälligen Ansatz, der das Publikum zur Beobachtung und zum weiteren Verständnis der Natur anregen wird. Viola Yip wird auch den Dachboden der Kirche in Fergitz für ihre faszinierende Performance nutzen.
Gudrun Gut: Ich freue mich sehr auf Post Neo! und Baal & Mortimer sowie auf unsere jungen Nachwuchs DJ’s Leonore und Phillipa; und natürlich auf den Auftritt von Thomas Fehlmann; und die Hörstationen, den Modularturm …
Was sollten die Kaput Leser:innen sich denn vor dem Festival anhören, um einen guten Eindruck zu bekommen?
Ece Pazarbasi: Im Hörraum der Field Kitchen Academy bekommt man einen guten Eindruck.
Hier werden Sie eine Reihe von Aufnahmen hören, die als Katalog und Logbuch der Field Kitchen Academy dienen. Im Laufe des Aufenthalts wird jeder Teilnehmer;in ein bestimmter Tag zugewiesen, an dem eine 90-sekündige Aufnahme macht wird. Die Aufnahmenn mussten an genau diesem Tag gemacht werden und spiegeln wieder, wie sie diesen Tag aus ihrer eigenen Perspektive wahrgenommen haben.
UM Festival 2023 – „CONNECT“
ZEITGENÖSSISCHE KUNST, MUSIK UND LITERATUR
Fergitz · Pinnow | Uckermark
9. und 10. September 2023