Danielle de Picciotto & Friends in Conversation

Barbara Morgenstern: “Gänsehaut im Bestfall”


Ich meine mich zu erinnern, Barbara Morgenstern 2000 zum ersten Mal auf der Bühne im Berliner Club Maria am Ostbahnhof erlebt zu haben. Ich weiß nicht, mit wem ich da war und kann mich auch sonst sehr wenig an den Abend erinnern – außer dass ich von Ihr und Ihrer Musik sehr beeindruckt war. Sie sah sehr zart und unschuldig auf der Bühne aus. Ihre Musik war aber ungewöhnlich und selbstbewusst, der Gesang poppig und schräg zugleich. Sie vermischte Harmonien mit elektronischen Sounds und sang auf Deutsch. Das hat mir gefallen. Obwohl ich sie erst viel später persönlich kennengelernt habe, verfolgte ich Ihre Laufbahn und  Musik seitdem. Ich fand gut, dass sie nicht einzuordnen war und dass Ihre Texte eine Tiefe haben, es geht in ihnen nicht nur um Entertainment. Sie ist für mich ein schöner, einsamer Stern im Himmel der Musikwelt, der es mutig schafft, gehört zu werden.

Wir lernten uns erstaunlicherweise erst viel später durch Gudrun Gut kennen. Während der Zusammenarbeit für Monika Enterprise 2016 und die anschließenden Touren inspirierte sie mich dann durch Gespräche und Ihre Professionalität. Sie schafft es Tiefe mit Leichtigkeit zu paaren und soziales Engagement mit ernsthafter Selbstverwirklichung zu verbinden. Eine Künstlerin, die mit Gegensätzen spielerisch in allen Projekten jongliert, ob musikalisch oder menschlich. Es ist immer eine Wonne mit ihr zusammenzuarbeiten und ihre kompositorisches Talent schafft es diese Begeisterung in ein musikalisches Gänsehaut Gefühl zu verwandeln, so wie bei dem Song „Grow“ auf Monika Werkstatt.

Nun hat Barbara eine neue Platte herausgebracht, „Unschuld Und Verwüstung“ betitelt, bei der es um ein”Weiter-im-Trotzdem”, um ein “Irgendwie-im-weiß-auch-nicht-so-genau”, um “den-Wunsch-nach-Seelenfrieden-auch-wenn-es-uns-immer-unmöglicher-erscheinen-mag” und auch darum “das Falsche endlich einmal richtig zu biegen” geht.
Ich denke, wir müssen alle weiter trotzen und so freue mich sehr, Barbara hier vorstellen zu können.

Danielle de Picciotto: Was ist dein Hauptanliegen mit deiner Musik?
Barbara Morgenstern: Emotion. Mein Hauptanliegen ist es, dass meine Musik bei dem Zuhörer etwas auslöst, so dass sie oder er sich damit verbinden kann. Gänsehaut im Bestfall. Darüber hinaus ist mir der Moment wichtig, das Gefühl von Flow, das entweder beim Komponieren, beim Spielen mit anderen oder beim Auftritt mit dem Publikum entsteht.

Barbara, wie wichtig ist Sprache für dich? Und singst Du lieber auf Deutsch oder Englisch?
Ich habe auf meinem vorletzten Album einen Ausflug ins Englische gemacht, bin aber zum Deutschen zurück gekehrt. Sprache ist für mich sehr wichtig, ich arbeite viel mit Bedeutungen zwischen den Zeilen, Doppeldeutigkeit, Wortspielen und Redewendungen, was nur in der Muttersprache wirklich möglich ist. Zum Singen ist English allerdings viel angenehmer, da man diese ganze Pop-Schlenker entspannt machen kann. Aus diesem Antrieb heraus habe ich damals auch auf dem Album „Sweet Silence“ die Texte auf Englisch geschrieben.

Wie siehst du die Entwicklungen in der elektronischen Musik?
Sie wird immer differenzierter, die Veröffentlichungen von Lucrecia Dalt, Robert Lippok, Sonae und Mimicof sind so ausgefeilt und auskomponiert in ihrer Soundästhetik und Soundvorstellung, dass mich das immer wieder beeindruckt und begeistert. Das Geräuschhafte wird virtuos zur Musik, komplett neue Klanglandschaften entstehen.

Du bringst diese Tage ein neues Album auf einem neuen Label heraus und tourst mit einem neuen Booker. Ist es ein Neuanfang? Auch musikalisch?
Ja + Nein.
JA: Das Album ist orchestraler, ein wenig weniger elektronisch, akustischer, ich spiele viel Piano und der Berliner Saxophonist und Filmkomponist Christian Biegai hat Barintonsaxophon Arrangement eingespielt, (wir werden auch gemeinsam touren).
Das ist eine neue Richtung, allerdings kein wirklicher Neuanfang, sondern eine Entwicklung aus meinem Vorgänger Album „Doppelstern“ (anschließend an mein Duett mit Hauschka und Jascazek).
NEIN: ich gehe harmonisch, kompositorisch und textlich back to the roots.

Was hörst Du momentan?
– Tirzah “Devotion” (bin absolut abhängig!)
– Dirty Projectors “Lamp Lit Rose”
– Dean Blunt “The Narcicisst II”
– David Byrne “American Utopia” (bestes Konzert der letzten Zeit!)
– Anna Meredith “Varmints”
– Johann Sebastian Bach “Inventionen und Klaviersonaten”

Du leitest auch den Chor im Haus der Kulturen der Welt, wie wichtig sind Kollaborationen für Dich?
Absolut entscheidend als neue Inspirationsquelle und immer neue musikalische Herausforderungen. Musik anders betrachten, aus den alten Fahrwassern heraus treten. Zum Beispiel ist das Schreiben für andere ganz anders, ich denke viel mehr in Bögen, Dynamik, ein Chor kann andere Linien singen, eine andere Dynamik entfalten, das finde ich spannend.

Barbara, was sind deine Pläne für die Zukunft?
Eine Instrumental-Platte mit Christian Biegai + gemeinsames Ableton Loop Orchester. Komposition für eine neue Rimini Protokoll Theaterproduktion im Frankfurter Bockenheimer Depot/ Premiere April 2019. So viele Konzerte wie möglich.Und wie immer: Chor – Chor – Chor.

 

“Unschuld und Verwüstung” von Barbara Morgenstern erscheint auf Staatsakt.

 

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