Claudia Skoda: “Mode war noch nie so billig und inflationär wie heute und gleichzeitig so absurd teuer.”
Als ich Mitte der 1980er Jahre von New York nach Berlin zog, konnte ich die letzte Phase einer Underground-Szene erleben, die Berlin für Jahrzehnte zu einem berüchtigten Ort für skurrile Kunst, Musik und Design machen würde. Es war ein Strudel der Kreativität und ich aufgeregt und glücklich, daran teilzuhaben.
Einer der Hauptunterschiede zu anderen Städten war, dass die meisten Leute, die man treffen konnte, interdisziplinäre Künstler waren. So hatte ich bald einen Freundeskreis, in dem die meisten gleichzeitig Musiker, Künstler, Schriftsteller und Designer waren.
Interessanterweise war Mode ein integraler Bestandteil der Kunstszene der 80er Jahre im Vergleich zu heute, wo sie als ein separater Bereich betrachtet wird. Im Jahr 1985 war es üblich, eigene Kleider zu entwerfen und zu nähen, oder zumindest Kleider von lokalen Berliner Designern zu kaufen. Mainstream-Mode galt als langweilig, peinlich und billig, weil jeder individuell sein wollte. Die Modeszene war riesig und der spezielle Berliner Stil mit ungewöhnlichen Schnitten, asymmetrischen Hüten, seltsamen Stoffen und handgefertigten Accessoires wurde auf internationalen Messen meist als skurrile Show von Exzentrikern präsentiert, die dann so schnell wie möglich kopiert wurde, weil die Designs immer die Aufmerksamkeit des internationalen Publikums auf sich zogen.
Viele der Berliner Designer waren Teil von Kollektiven, die sich gegenseitig unterstützten und anfeuerten: Scheederbauaer war ein sehr farbenfrohes Kollektiv, das den heute erfolgreichen Künstler Mark Brandenburg hervorbrachte. Sie spezialisierten sich auf verspielte Modeaccessoires (Halsketten aus Ästen und Kastanien), Strickwaren (Pullover mit Kopf- und Händen in verschiedenen Hautfarben gestrickt) und Abendgarderobe (samtige Abendkleider mit handgemachten Pailletten und Muscheln), Kunst, Performances, Spoken Word und Kollaborationen mit Musikern wie Wolfgang Müller von Tödliche Doris.
Eisengrau, ein von Bettina Köster und Gudrun Gut (von der Band Malaria) gegründeter Strickwarenladen, verkaufte auch selbstgemachte Mix-Tapes und lockte die Protagonisten der neuen “Geniale Dilettanten” Szene an, zum Beispiel Alexander Hacke oder Blixa Bargeld, der das Geschäft dann später übernahm und es mit selbstgebauten Instrumenten füllte.
Ich hatte Modedesign, Musik und Kunst in NYC studiert, so war diese Interaktion für mich das Paradies und es dauerte nicht lange, bis ich zum ersten Mal den Namen Claudia Skoda hörte. Claudia lebte in einer legendären Fabriketage, vergleichbar mit Andy Warhols „Factory“, und teilte ihre Räume mit vielen Künstlern, die sehr erfolgreich werden würden. Einer von ihnen, Martin Kippenberger, sollte einige Jahre dort leben, er bemalte den Boden und entwarf Porträts von Claudia und ihren Modelen. Auch David Bowie und Iggy Pop kamen regelmäßig vorbei und alle wollten zu ihren Modeschauen eingeladen werden. Claudia hat sich auf Strick spezialisiert und war nie an hübschen, oberflächlichen Models interessiert, die bei den Shows nur dahingleiten. Sie betrachtet ihre Modeschauen als Theaterproduktionen, in denen die Models Schauspielen oder sich auch mal bewusst wie Vögel bewegen. Die Laufstege werden in ungewöhnlichen Räumen installiert und die Musik ist immer sorgfältig und mit Bedacht ausgewählt, um magische, surrealistische Atmosphären zu schaffen.
Claudia ist eine typische Berlinerin, die individuell und frei von Trends bleiben möchte. Ihre Kleidungsstücke aus hochwertigen Materialien sind zeitlos und einzigartig. Ich war von ihrem Ruhm und den schönen Showrooms eingeschüchtert, als ich sie in den frühen Neunzigern erstmals persönlich traf – und ich war beeindruckt, dass sie, obwohl sie eine Ikone und international bekannte Designerin ist, sich einerseits eine freundliche Bescheidenheit bewahrt hat und andererseits immer neugierig und interessiert ist. Trotzdem hat man in ihrer Anwesenheit immer das Gefühl, einer Audienz beizuwohnen. Wenn sie bei einer Kunsteröffnung oder einem Modeevent erscheint, drängen sich die Menschen um sie, immer glücklich sie zu sehen und mit ihr gesehen zu werden. Ihr aktuelles Geschäft in der Mulackstr. 8, in Berlin Mitte, ist die vierte Location, die sie seit den achtziger Jahren bespielt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Unternehmen verkauft sie nur in ihrem Showroom oder direkt aus ihrem Onlineshop, ohne Interesse am Ausverkauf, immer die Kontrolle über die Qualität ihrer Designs bewahrend.
Jeder Showroom ist exquisit von renommierten Innenarchitekten eingerichtet worden, um die Strickwaren so schön wie möglich zu präsentieren. Cate Blanchett, Milla Jovovich, Ridley Scott und viele andere Berühmtheiten sind ihre Fans, aber sie freut sich, dass auch oft Berlins jüngere Generation vorbeikommt, um eines ihrer kleineren Stücke zu kaufen. Diese junge und frische Anerkennung ist das, was sie anstrebt und pflegen möchte.
Danielle de Picciotto: Inwieweit denken Sie, dass Kunst und Mode miteinander verbunden sind?
Claudia Skoda: Mein Ansatz ist der eines Künstlers, aber mit der Absicht, Mode zu machen. Mich inspiriert die Malerei vor allem im Minimalismus, Pop Art, Futurismus, Street Art und antiker Kunst. Musik inspiriert mich auch, vor allem neue Musik jeglicher Art, außer dem Mainstream natürlich. All diese Bewegungen sind in meinen Augen sehr eng miteinander verwandt.
Welche Frauen inspirieren Sie?
Individualistinnen: Rosemarie Trockl, Jenny Holzer, Katharina Fritch, Cindy Sherman, Ulrike Ottinger, Björk, Julia Holter, Angela Winkler, Romy Schneider.
Spielen Umwelt, Politik und Ökologie in Ihrer Mode eine Rolle?
Nachhaltigkeit ist mir wichtig, also produziere ich alles in Berlin. Niemals in Niedriglohnländern. Bei meiner Materialauswahl vermeide ich Angora, echte Pelze und giftige Farben. Ich berücksichtige auch den Klimawandel in meinen Entwürfen. Jahreszeiten spielen immer weniger eine Rolle bei den Entwürfen meiner Kollektionen.
Was hat sich Ihrer Meinung nach die Mode in den letzten Jahren verändert?
Mode als solche hat sich nicht unbedingt verändert, aber sie war noch nie so billig und inflationär wie heute und gleichzeitig so absurd teuer. Überteuerte Kollektionen von GUCCI, PRADA und Co. landen nach kurzer Zeit im Outlet-Verkauf, so dass man davon ausgehen kann, dass der tatsächliche Wert nur dem Image und nicht der tatsächlichen Qualität des Kleidungsstücks dient. Ich finde das schade.
Denken Sie, dass Sie von Modetrends beeinflusst werden?
Ich versuche immer meine eigenen Trends durchzusetzen und mich nicht zu wiederholen. Ich halte wirklich nichts von Retro-Trends, aber obwohl ich mich natürlich von wagemutigen Modeexperimenten angezogen fühle, erweisen sie sich normalerweise nur als Hype.
Trotzdem finde ich “Future Vintage” im Moment wirklich spannend.
Warum haben Sie sich auf Strick konzentriert?
Die Herausforderung dieses Mediums ist es, eine unbekannte Bildsprache zu finden, meine eigenen Oberflächen, meine eigenen Strukturen. Die Möglichkeiten sind beim Stricken längst nicht ausgeschöpft. Gibt es etwas schöneres als ein direkt am Körper gestricktes Kleid oder ein ungewöhnliches Muster? Die Leute fragen sich oft: Wie hat sie das gemacht? Ich liebe diese verschwiegene Welt im Stricken. Ich interessiere mich weniger für traditionelles Handwerk.
Was hat sie zur aktuellen Herbstkollektion inspiriert?
“Rituale” sind mein aktuelles Thema. Es geht um eine neue Art, meine Techniken in einen anderen Kontext zu stellen und so moderne Kleidung zu schaffen. Meine Themen sind immer sehr abstrakt und haben meist nichts mit Mode zu tun. Die Erforschung dieser Themen führt mich immer wieder zu neuen Perspektiven und führt zu ungewöhnlichen Entwürfen. Große Themen waren zum Beispiel: “Treibstoff”, “Skoda Mobil”, “Große Vögel”, “Klang” oder “Tierkollektive”.