„Wir wollen eine 70er-Jahre-Glam-und-Koks-Karriere“
Weltwunder Wanda. Statt die Nischen mit ihren Austropop inspirierten Hymnen „Amore“ oder „Gib mir Schnaps“ zu beseelen, wurden die fünf Wiener innerhalb kürzester Zeit zu einer Pop-Sensation. Gäbe es „Wetten dass…?“ noch, Wanda wäre fast schon too big dafür. Linus Volkmann sprach mit Sänger Marco Michael Wanda und Keyboarder Christian Hummer über Cousinen-Sex, Hits und Milben.
Bands, Plattenfirmen, Agenturen, Medien – alle wollen sie sie immer herbeiführen. Aber letztlich detoniert sie nur ganz selten und oft völlig überraschend. Die große Pop-Explosion aus dem Nichts. Ihr seid ja jetzt im Auge eures ganz persönlichen Hurrikans. Wanda plötzlich überall, die Deutschlandtournee wurde euch buchstäblich überrannt. Erste, ganz leichte Frage: Wie geht es euch dieser Tage?
Marco: Wir haben Halsweh vom Reden und Singen, wir sind von Milben zerfressen, aber haben einfach so tolle Konzerte hinter uns, wildfremde Menschen kommen zu dir und sagen, sie seien 600 Kilometer gefahren, nur um dabei sein zu können, Paare sagen, sie waren getrennt und haben sich durch unsere Musik wieder verbunden – wir reisen als Wunderzirkus durch die Welt. Heilen die Blinden, machen die Unfähigen wieder fähig.
Habt ihr noch das Gefühl, alles geht Step by step, oder ist es eher schon so eine Art Filmriss und man weiß nicht mehr, wie es einem geschieht?
Marco: In Deutschland nimmt es gerade unglaublich Geschwindigkeit auf. Wir kennen es von Österreich, da fing es ja an. Aber man muss auch sagen, die Platte ist erschienen vor so drei, vier Monaten – und im Verhältnis dazu ist wirklich unfassbar, was hier läuft. Andere Bands spielen ihr Leben lang und kommen nicht mal zur Hälfte dahin, wo wir jetzt sind – und dann ergibt sich das alles auch noch mit so einer Leichtigkeit, sowohl bei uns als auch bei dem Publikum. Es ist eine fantastische Situation.
Ich habe die fantastische Wiener Band Kreisky im selben Laden gesehen, in dem ihr auch in Köln auftretet – und da waren 17 Leute. Schade. Ich dachte zuletzt, je hörbarer eine Band österreichisch geprägt ist, desto mehr kannst du es einfach in Deutschland vergessen.
Marco: Das ist schon ein Wahnsinn, dass wir heute Abend in Köln 800 Leute hätten haben können oder mehr.
In den Venue heute passen aber eben nur 180. Soll diese Verknappung dem ganzen Hype noch eine zusätzliche Dringlichkeit geben?
Marco: Nein, das war im Vorfeld alles so nicht abzusehen gewesen. Diese kleinen Clubs bei der Tournee steuern jetzt unserer natürlichen Arroganz entgegen. Das ist ja auch gut. Wir bleiben am Boden, sind immer noch Großmamas Lieblinge.
Was ist für euch der Unterschied, wenn ihr eure Stücke in Österreich und in Deutschland präsentiert?
Marco: Da sehe ich kaum welche, wir haben immer das Gefühl, dass wir ein und dasselbe Konzert oder Ritual seit eineinhalb Jahren abhalten. Es war immer identisch. Die Leuten kamen, sangen und siegten. Den Rock’n’Roll gibt’s dabei immer nur anderthalb Stunden auf der Bühne, der Rest ist Arbeit. Gegen die Kälte kämpfen, hunderte Kilometer fahren.
Alles bleibt beim Alten? Auch schon wieder desillusionierend eigentlich.
Marco: Ganz so ist es nicht. Wir haben mittlerweile Unterschriften, das gab es früher nicht. Aber ansonsten beantworten wir jeden Tag die gleichen Fragen: Wer ist der Thomas [von jenem handelt das Stück „Auseinandergehen ist schwer“, Anm.], was ist los mit Bologna, wer ist Tante Ceccarelli [jene taucht im Song „Bologna“ auf, Anm.]?
In euren Texten geht es viel um’s Sich-Verzehren, um Schnaps, um alles. Wie ist das denn auf Tour – wenn alle sicher erwarten, dass ihr auch diese Pose jeden Abend erfüllt?
Marco: Wir haben keine entrückten literarischen Figuren erschaffen, die wir nun selbst sein müssen. Allenfalls einen literarischen Kosmos. Aber wir sind keine Sklaven unseres eigenen Images oder meiner Texte. Wir können unterscheiden zwischen Arbeit und Alltag. Wir wollen uns nicht [leicht angewidert:] treu bleiben.
Christian: Wir sind gute Schauspieler.
Michael: Wir wissen, von wo bis wo die Rolle abgesteckt ist.
Also kurz zusammengefasst, ihr seid nicht jeden Abend voll?
Beide: Nein
Aber Du [Christian] hast doch schon dein drittes Bier und die Sonne ist noch nicht mal untergegangen!
Christian: Ja, da ist ja gar nichts drinnen in diesen kölschen Gläschen.
Marco: Wir saufen uns höchstens nachts die Unterkünfte schön. Zusammen mit den Milben.
Ach, ihr wohnt ja in den Künstlerwohnungen über dem King Georg. Da kenne ich einige Musiker, die sich da schon übergeben mussten.
Christian: Oh je!
Marco: Na, wir werden ja entlohnt durch die wahnsinnigen Konzerte überall, mehr kann man jetzt gar nicht verlangen.
Stimmt. Und bei eurem Aufstieg fehlt völlig dieses Wiener-Klischee, dass man nichts gegönnt kriegt.
Marco: Das ist uns auch schon aufgefallen. Nicht nur unsere Freunde und Verwandten gönnen es uns, es geht von der Blumenfrau an der Ecke und zum taff-Moderator in Deutschland.
Aber ich will es auch noch mal genau wissen, wie gefällt deiner Cousine das Stück „Bologna“? [In dem zentralen Stück von Band und Platte, finden sich u.a. die Zeile „Ich kann sicher nicht mit meiner Cousine schlafen, obwohl ich gern würde, aber wir trauen uns nicht“, Anm.]
Marco: Meine Cousine hat mich einmal auf dieses Stück angesprochen – und sehr streng gefragt, wer denn damit wohl bitte gemeint sei mit dieser Cousine, mit der man schlafen wolle? Und ich habe ihr gesagt: Du bist es nicht. Darauf hat sie keine Sekunde gezögert und gesagt: Okay, passt. Aber es hat halt jeder eine hübsche Cousine. Jeder, den ich kenne.
Geht mir nicht anders. Ich habe auch eine Cousine, wir sehen uns sogar ein bisschen ähnlich. Der kann ich jedenfalls jetzt nie wieder in die Augen schauen nach dem Song.
Marco: Da kann ich dich aber ermutigen. Wir haben tatsächlich in Hildesheim ein Cousinen-Pärchen getroffen, das sich uns gegenüber geoutet hat als Liebespaar.
Schön, dass durch euch nun auch sowas hoffähig wird.
Marco: Ja, zwischen Transgender, Gender und Gender-yahoo gibt’s jetzt auch noch Cousine und Du.
Und wer ist denn jetzt die Tante Ceccarelli dazu? Diese dezidiert namentlich Nennung muss natürlich neugierig machen.
Marco: Ich hatte tatsächlich eine italienische Tante gehabt, die von Bologna nach Köln übergesiedelt ist – und dort dann gestorben ist, an Arthritis und ihrer Fernsehsucht. Das Lied ist also schon einer realen Vorlage gewidmet. Ich bin viel zu blöd, als dass ich sowas konstruieren könnte. Trotzdem sind das literarische Figuren. Im Blues fragt ja auch kein Mensch, „wer ist der Johnny, von dem ihr da singt?“ Oder dass die Beatles jemand gefragt hätte, „warum Eleanor Rigby?“ Wir scheinen aber eine der wenigen Bands, die wieder mit solchen literarischen Figuren arbeiten – und das erschreckt viele vielleicht im ersten Moment. Für mich ist da aber nix dabei. [unterbricht sich] Gibt es den Ausdruck „nix dabei“ im Deutschen?
Ja.
Marco: Ah, super. Da ist also nix dabei für mich.
Da spielt die Doppelbödigkeit der Band mit rein. Denn durch den Rock und die Gesten werdet ihr sicherlich von großen Teilen des Publikums als wahnsinnig authentisch wahrgenommen, aber wenn man genauer schaut, sieht man die Inszenierung und die literarische Figur.
Marco: Ja, ganz so unbedarft sind wir eben nicht. Das hier ist schon Kunst. Aber Kunst hat für uns viel mit Handwerk zu tun und die Inszenierung ist nur eine Spielart davon. Natürlich sind wir letztlich konstruiert – jedes Gespräch ist konstruiert, das Herz ist konstruiert. Für uns ist es daher schwer, mit so einem Wort wie „Authentizität“ konfrontiert zu werden. In Österreich macht man sich darüber keine Gedanken, das begegnet einem immer nur in Deutschland. Das ist bisschen so der culture clash. In Deutschland sind die Menschen sehr menscheninteressiert – bei uns ist das alles eher egal. Da wird man nie auf diese Weise hinterfragt, wie echt man denn sei.
Daraus resultiert in Deutschland eben auch eine teilweise so ekelhafte Realität in der Musikszene. Jeder muss ständig versichern, dass er keine Rolle spielt, dass er bloß er selbst und ganz bei sich auf dem Teppich geblieben ist. David Bowie würde heutzutage abkacken neben Bosse, Silbermond oder Prinz Pi.
Marco: Diese Haltung ist tatsächlich nichts für uns. Ich halte denjenigen Menschen für am meisten authentisch, der sich selbst am besten spielt.
Christian: Ein Dirigent wie zum Beispiel Herbert von Karajan, der hat vielleicht eine halbe Stunde, bevor er Beethovens Fünfte dirigierte, sich übel mit seiner Frau gestritten und dazwischen einen Schinkenkäsetoast gegessen. Das wird jetzt auch nicht in seine Performance einfließen.
Mich nervt es in Deutschland wirklich, dass es überhaupt nicht honoriert wird, ja, fast schon als Betrug aufgefasst wird, wenn man etwas erfinden möchte.
Christian: Als Prince angefangen hat, so richtig groß zu denken, hat er sich 24 Stunden lang mit einem Psychologen getroffen, der ein Persönlichkeitsprofil von ihm erstellt hat. Da kam raus, er ist ein nicht nur musikalisch hochbegabter, sexbesessener Workaholic. Im Zuge dieses Gesprächs hat Prince dann beschlossen, dass das nun auch das Image sein soll, das er sich im Pop-Zirkus auferlegt – weil es ihm am ehesten entspricht. So ist es auch bei uns. Natürlich handelt es sich um eine Rolle, aber die Rolle ist sehr nah dran an dem, was wir empfinden. Nur alles eben pointierter für die Bühne.
Larger than life.
Marco: Wir sind einfach zu schlechte Schauspieler. Wir könnten in einem anderen Gewand uns und das Publikum nicht überzeugen. Wir sind mehr so Buster Keaton. Immer derselbe Regisseur, immer dieselbe Rolle.
Also alles schon bekannt? Jetzt seid ihr ja erstmalig auch auf längeren Konzertreisen, vielleicht ist es euch aufgefallen, zu zehnt in einem Neunsitzer hat man gar nicht mehr so viel Privatsphäre wie daheim – habt ihr bei den Bandkollegen Eigenarten bemerkt, die euch vorher noch gar nicht aufgefallen sind?
Marco: Überhaupt nichts. Mir war alles schon bekannt. Ich beginne, mich intellektuell unterfordert zu fühlen in dieser Band.
Christian: Mir wird regelmäßig vom Gitarristen ins Gesicht gefurzt.
Michael [lacht]: Das ist wahrscheinlich das Tourleben schlechthin.
Bald seid ihr dann ja auch reich…
Michael: Ja, wenn die Leuten wüssten, wie reich wir bald sind.
Aber eure ersten beiden Videos habt ihr ja zu einer Zeit gedreht, bei der noch nicht annähernd der Verdacht aufkam, dass Geld im Spiel sein könnte – dennoch haben die ja einen spektakulären Look. Was dann wiederum sicher mit reinspielte, dass sich viele das ansahen und die Musik so Verbreitung fand.
Aber wer hat das denn gezahlt?
Marco: Alles Heilsarmee und Freiwilligenarbeit – das waren weitestgehend Verwandte und Freunde, sowie zwei mit uns befreundete Filmemacher der Florian Senekowitsch und der Wolfgang Seehofer. Wobei Senekowitsch wirklich der Erbe ist von dem Fußballtrainer …
???
Marco: Na, der Spieler wie Hans Krankl trainiert und Córdoba zu verantworten hat! [„Córdoba“ ist bis heute eins der beliebtesten Schlagworte im österreichischen Fußball. Es verweist auf den Sieg der Österreichischen Nationalmannschaft gegen Deutschland bei der WM in Argentinien 1978, Anm.]
Also da waren dann also Promis aus der Erben-Szene involviert, aber das Ganze ist doch letztlich viel billiger gewesen, als es ausschaut?
Marco: Alle haben sich erbarmt und zugunsten des Projekts auf Honorare verzichtet, bis auf die Saalmiete – die wir aufs Lächerlichste heruntergehandelt haben – haben wir fast nix gezahlt.
Schwer vorstellbar, so teuer, wie es aussieht.
Christian: Na, teuer war es schon.
Marco: In der Kalkulation standen „35.000 Euro“, aber da alle umsonst gearbeitet haben, war es letztlich ein Prozent davon.
Hat man da nicht immer ein schlechtes Gewissen, wenn man gezwungen ist, seine Freunde gratis für sich arbeiten zu lassen?
Marco: Wir haben schon versucht, da auch was zurück zu geben. Wir hatten eine Kinderbetreuung, wir hatten Kuchen, wir hatten irrsinnig viel Alkohol. Es wurde so einfach ein wirkliches Fest – und im Endeffekt bilden die Clips ja auch nur Feste ab. Wir haben mit allen gefeiert – und alle haben gefühlt, dass etwas Mutiges, Besonderes gerade passiert.
Warum habt ihr „Bologna“ erst als drittes veröffentlicht? Gefühlt ist das ja die erste Single.
Marco: Das lag an unserem Plattenboss, Stefan Redelsteiner, wäre es nach uns gegangen, hätten wir das sofort rausgeblasen. Aber er meinte, das heben wir uns auf, wir haben hier soviel in der Hand. Wir können es ganz langsam machen.
DIE VIDEOFRAGE Welche Klischees über Wien sind eigentlich wahr – welche Quatsch?
Und sind Kraftklub an euch herangetreten oder war das euer Engagement, auf deren Tour zu kommen?
Marco: Die sind auf uns zugekommen. Ich kenne auch nur eineinhalb Lieder von denen, aber ich habe mir dann ein Foto angeschaut – und das war mir sympathisch, auch so Lederjackentypen. Die ermöglichen uns jetzt schon, in großen Hallen zu spielen, bevor wir selbst das machen werden. Das ist super.
Ist ja auch dankbar, die Jokerrolle, die damit einhergeht. Man muss nicht abräumen…
Marco [überzeugt]: …aber man kann! Das ist dann wieder eine sportliche Nummer. So war auch die Stimmung in Wien die letzten 5, 6 Jahre. Es ging immer um die Ehre. Da war kein Geld da, da war keine Aussicht auf Erfolg da, da ist viel passiert. Das war ein Biotop.
Habt ihr die Entwicklung von Ja,Panik verfolgt? Da wurde wieder sichtbar, wie weit eine Band auch über Wien hinaus scheinen kann.
Marco: Nein, eigentlich nicht.
Christian: Nein.
Marco: Es gibt zwischen uns und allen Bands, die du jetzt noch nennen könntest, einen großen Unterschied, wir wollen halt ausgerufen Mainstream werden. Mit allem Drum und Dran – wir wollen eine 70er-Jahre-Glam-und-Koks-Karriere hinlegen. Wir wollen keine kulturelle Revolution, wir wollen nicht zum Denken anregen, wir wollen einladen zu Ekstase und Leidenschaft.