Elisabeth Coudoux: “Der Adrenalinspiegel ist gesunken, es mehren sich Zweifel und Sinnlosgedanken”
Die Kölner Cellistin Elisabeth Coudoux bildet gemeinsam mit Pablo Giw, Pablo Held und Tamara Lukasheva den ersten Jahrgang das “NICA artist development“-Programms. Am 28. September tritt sie gemeinsam mit dem Kölner Komponisten und Elektronikmusiker Marcus Schmickler im Stadtgarten auf.
Elisabeth, was schätzt du besonders am Künstler Marcus Schmickler?
Seine konsequente Ernsthaftigkeit gegenüber der Musik.
Und was reizt dich im Zusammenspiel?
Meine leicht chaotische Art und das intuitive dem entgegenzusetzen. Und die Möglichkeit im Rahmen von elektronischer Musik andere Planeten zu erkunden.
Bei der Recherche für das Feature habe ich den “NICA portrait Elisabeth Coudoux“ (Beitrag im Netz gefunden. Oft fällt es Musiker_innen ja nicht leicht über ihre Arbeit zu sprechen, bei dir wirkt es aber so, als ob du diese Form der Auseinandersetzung mit dem eigenen Werk als sehr natürlichen Prozess empfindest. Ist das simpel gesprochen Talent oder das Ergebnis von intensiven künstlerischen Dialogen mit anderen Musiker_innen (also Praxis)?
Eher zweiteres. In meiner Band Emißatett sprechen wir viel darüber, was wir musikalisch bezwecken, warum wer wie reagiert hat. Wir denken auch mit anderen Kollegen viel darüber nach, warum wir diese Art von Musik machen und was auf den Konzerten so passiert ist. Die Analyse gehört zur Weiterentwicklung der Musik dazu.
Besonders gut hat mir die Pasage gefallen, wo du von falschen Zusammenmischen sprichst – was ich mich sofort fragte: Gibt es das für dich denn überhaupt, ein „falsch“ im Hörempfinden?
In meinem Hörempfinden gibt es kritische Wahrnehmung. Für mich sind soziale Beziehungen auf der Bühne oft ein Punkt zur Kritik, wenn ich merke, dass es dort an Gleichberechtigung oder Engagement fehlt. Ein Beispiel: Fragen der Dynamik und der richtigen Dosis sind mir wichtig, genauso wie der Weg der Entscheidungen, die ein(e) Musiker(in) einschlägt. Musiktheoretische oder Instrumentaltechnische „Fehler“ sind mir meistens ziemlich egal.
Wie bist du zum Cello gekommen? War das als Initialmoment Eltern gesteuert wie bei vielen von uns das Klavier, die Flöte etc. oder haftete der Wahl bereits ein eigener Impetus an?
Die Wahl Cello kam von meinen Eltern, aber ich war es, die auf jeden Fall auch ein Instrument lernen wollte.
Kannst du sagen, was das Cello hat, was dir kein anderes Instrument bieten kann?
Von Außen gesehen den warmen Ton, die entspannte Tonlage. Von Innen gesehen ist die Vereinigung meiner Gedanken, Gefühle, Bewegungen – vielleicht meine innere Stimme – für mich viel logischer auf einem Streichinstrument zu „verwirklichen“ als zum Beispiel auf einem Klavier.
Gibt es eine Art Role Model, jemand dessen künstlerische Auseinandersetzung mit dem Cello dich besonders geprägt hat?
Ja, einige: Marie Elisabeth Hecker und Prof. Peter Bruns für den Jazz, dann Stephan Braun, Ernst Reijseger, Albert Markos, alles Cellisten, die mit ihrem Instrument verwachsen sind.
Inwieweit verändert sich die Klangfarbe deiner Klangforschung denn mit dem anderen Instrumentarium um dich herum? Spielt es eine Rolle, ob du mit Bläser_innen oder Elektroniker_inen zusammenspielst und improvisierst?
Ich denke schon. Elektronik hat eine ganz andere Beweglichkeit, metallischere Permanenz, mathematische Strukturen, undenkbare Klangwelten. Bei Bläsern muss man Luft holen, Luft an sich ist die entscheidende Klangerzeugung, auch bei den meisten Geräuschen. Das braucht irgendwie eine andere Energie als wiederum bei Streichern. Wenn ich nur mit Streichern spiele, gibt es ganz andere Reaktionsmuster, die man intuitiv überträgt und somit andere Klangwolken.
Und noch einen Schritt zuvor: Wie verhält sich die Solistin Elisabeth Coudoux zur Ensemble Musikerin?
Als Solistin brauche ich nur meinen eigenen Gedanken folgen, kann schneller springen. Und der Nullpunkt (Stille) ist präsenter, damit auch der Raum und das Publikum. Im Ensemble versuche ich in Beziehung zu dem musikalischen Output der anderen für mich notwendige Schritte oder Farben einzubringen. Oder gleichzeitig kombinieren sich beide Spielhaltungen in freier Improvisation. Da kann ich meinem eigenen Gedanken folgen und gleichzeitig den der anderen integrieren und umgedreht genauso.
Kannst du in Worte fassen, was dich an Musik reizt? Wann wirst du hellhörig?
Heutzutage reizt mich nur noch Live-Musik. 😊 hm… Ich liebe kammermusikalische, akustische Musik, die sich intelligente Formen sucht. Oder intensive Musik mit Tiefenschärfe. Musik wo kreiert wird, oder die es schafft die rechte und linke Gehirnhälfte verschmelzen zu lassen…
(Wenn Klaviere Glissandi spielen können, bei Pop Musik kann ich mich manchmal für die initiativen backing sounds begeistern, alles Geräuschhafte reizt mich, wenn der Raum der Normalität verlassen wird)
Und gibt es Unterschiede zwischen der professionellen Musikerin Elisabeth Coudoux und der privaten Musikerhörerin Elisabeth Coudoux?
Nein, ich trenne privat und professionell nicht so richtig.
Wenn dann gibt es Unterschiede des Ortes. Im Auto läuft sehr oft Radio, auch schlechte Songs hör ich mir tatsächlich länger an. Oder ich erfreue mich an meinen Jugendmusiken. Im großen Konzertsaal liebe ich Neue komponierte Musik von Orchestern gespielt, im Club mag ich den Beat, verzerrtes, verrauchtes, schräges und so weiter. Ich höre mir auch gern Improvisierte Musik/Neue Musik von CD lange an. Dafür brauch ich aber Ruhe.
Du gehörst zur aktuellen NICA Riege. Wie hast du das Stipendium bis dato wahrgenommen?
Es eröffnet eine neue Perspektive für die vielen extrem guten Musiker, die es in der Region gibt. Es erweitert meine Perspektive auf den offiziellen Markt, der für uns Musiker noch existiert. Ich bin damit flexibel um Residenzen zu machen, zu Festivals zu fahren etc.
Leider muss man sich ja doch irgendwie nach Außen hin darstellen und positionieren, auch wenn die musikalischen Inhalte für mich eher diametral entgegengesetzte Ausrichtungspunkte haben. Also bin ich gespannt.
Nun wurde fiel mitten in den NICA-Stipendiumsverlauf ja der Beginn der Corona Pandemie. Inwieweit hat das denn die Zusammenarbeit vor Ort beeinträchtigt.
Es wäre zum Zeitpunkt von Corona erst richtig los gegangen mit dem Stipendium. Da die Förderung vom Land aber trotz Corona nicht unterbrochen wurde, hat man sich schnell neue Konzepte und Ideen überlegt, was man jetzt machen kann. Das hat die Zusammenarbeit vor Ort eher zusammengebracht.
Und generell: Wie sehr hat Corona dein künstlerisches Jahr durcheinander gebracht?
Mein künstlerisches Jahr ist wie meine Improvisation spontan. Viele Konzerte hätte ich erst im Frühjahr geplant. Einige Konzerte sind ausgefallen, einige verschoben – erst auf den Herbst, jetzt auf nächstes Frühjahr. Das heißt die Planung konnte bis jetzt nicht so richtig wieder starten, weil ja für die Veranstalter immer noch viele Widrigkeiten zu bewältigen sind. Mein Energielevel ist runtergefahren. Ich mache jetzt alles nacheinander mit weniger Konzerten. Das heißt der Adrenalinspiegel ist gesunken, es mehren sich Zweifel und Sinnlosgedanken, die sich vermischen mit den aktuellen Missständen, Klima-Katastrophen, politischer Unfähigkeit… aber es mehren sich auch wieder echte Begegnungen.
Ich habe im Videomaterial vom Performance-Tag gesehen, dass du bei der Aufführung von Marcus Schmicklers Stück „Entwurf einer Rheinlandschaft“ am 1. Juli in Monheim warst. Wie hast du die Performance empfunden?
Spektakulär mit wunderschönem Sonnenuntergang. Ich mochte natürlich das tiefe Dröhnen, und alles physische was Marcus Elektronik mit Geräuschkunst verbindet. Schön, dass es ein neugieriges Publikum gab.