Damiano von Erckert

“Man kann das gar nicht verarbeiten, was man alles erlebt und sieht.”

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Damiano von Erckert (Foto: Thomas Venker)

Mit seinem Labelimprint Ava Records kreierte der Kölner Damiano von Erckert ein Kollektiv aus Produzenten und Djs, die sich gleichermaßen der Tradition von House und Techno verpflichtet fühlen. Mit seiner aktuellen EP “Mickey M. and the Marlboro Man” beweist er diesbezüglich auch mit der zehnten Veröffentlichung, dass Humor und historische Soundbeflissenheit gut miteinander können.

“Eigentlich wollte ich das Abitur nachholen, aber dann wurde das mit dem Auflegen immer mehr”, erinnert sich Damiano von Erckert an die rasante Entwicklung seiner Musikerkarriere im Herbst 2013 als Folge der Veröffentlichung seines Debütalbums “Loved Based Music”. “Ich wollte in der Schule meine Lehrer nicht anlügen und ihnen erzählen, dass ich krank sei, wenn ich doch in Wirklichkeit in Australien unterwegs war. Also habe ich das erstmal vertagt.”
Eine weise Entscheidung, denn rückblickend bezeichnet er 2014 als “ein unglaubliches Jahr”, in dem er um die ganze Welt reisen durfte. “Man kann das gar nicht verarbeiten, was man alles erlebt und sieht”, führt Damiano aus. “Teilweise ist es echt skuril: man fliegt abends im Dunkeln los, kommt irgendwo im Dunklen an, und fliegt 12 Stunden später schon wieder weiter. Es ist wie eine Zeitreise, bei der man an Punkt X startet, an Punkt Y landet und nichts außer Club, Hotel und den Wegen dazwischen gesehen hat.”
Überhaupt denkt der 25jährige viel über die Strukturen dieser seltsamen Branche nach, in der er aktiv ist. “Es ist doch Wahnsinn, dass wir manchmal an einem Wochenende mehr verdienen als andere in zwei Monaten. Überhaupt sollten alle an der Party Beteiligten im gleichen Maße bezahlt werden für das, was sie tun. Ich streube mich gegen Hierarchien – was soll das sein, der beste Dj?”

Dabei klingt sein eigener Name erstmal mächtig nach aristokratischer deutscher Großindustriellenfamilie. Eine falsche Assoziationen, wie der in Recklinghausen im Ruhrpott geborene und in einem kleinen Kaff vor Köln aufgewachsene Damiano von Erckert aufklärt: “Der Name entstammt dem Militäradel. Irgendwann im 18. Jahrhundert gab es einen Stefan von Erckert, der in der Kaiserlichen Garde eine wichtige Funktion inne hatte, und ein anderer Verwandter hat in Chile und Namibia gekämpft und setzte dabei als einer der ersten deutschen Kommandeure Kamelle statt Pferde ein.”

 

An die Militärtradition seiner Familie wollte er zwar verständlicherweise nicht anknüpfen, aber der reizvolle Klang des Klarnamens erübrigte zumindest die zähe Suche nach einem Künstlernamen. Doch auch die Musikerkarriere ist in der Familie angelegt. Damianos´ Vater Stefan von Erckert legte in den 90ern in Recklinghausen in den ersten Clubs, die Black Music und House zusammendachten, auf. “Dort konnte man James Brown und Strictly Rhythm Sachen hören”, erinnert sich Damiano, der mit vier, fünf Jahren oft seinen Vater nachmittags in den Club begleitete, wenn dieser seine Sets vorbereitete. “Ich fand das alles toll, trotzdem hat es mich später erstmal zu anderen Sachen hingezogen: Punk war, bedingt durch die Verbindung zum Skaten, groß bei mir im Kurs, dann kam HipHop, wobei ich nicht den richtig guten gehört habe, und schließlich R´nB.”

Zurück zu Soul und Funk sowie House und Techno kam er dann über Funkycan (aka Am Kinem), der bei ihm in der Nachbarschaft lebte und tatsächlich zwei echte 1210er Technics Plattenspieler rumstehen hatte. Während der Papa sich also Ende der 90er in den zwischenzeitlichen Ruhestand verabschiedete und auf seine Arbeit als Bildender Künstler konzentrierte – mittlerweile produziert er, angeregt durch seinen Sohn, Edits von seinen Soul- und Funklieblingen James Brown, George Clinton und Bootsy Collins – grub sich Damiano immer tiefer in die historischen Falllinien ein und suchte unter väterlicher Anleitung nach den originären Ursprüngen von Funk, Soul, Disco, Afrobeat, House und Techno.
“Am Anfang haben Funkycan und ich noch House gehört, den wir heute definitiv nicht mehr spielen würden”, berichtet er lachend aus. “Das war der Pollerweisen Sound von 2007, wie ihn damals Leute wie Ricardo Villalobos aufgelegt haben, am Übergang von Minimal zu Tribal Sachen, die das perkussive betonten.” Die Coolnes der New York House Platten seiner Sozialisation musste er sich erst wieder erschließen – dann aber habe man “gecheckt, woher das rührt, worauf es aufbaut und dass es eine ganz andere musikalische Qualität besitzt.” Mit dem Ergebnis, dass nicht wenige Platten des Papas in seiner Dj-Kiste gelandet sind – und dort auch noch immer liegen. “Der fand das gut”, kommentiert Damiano mit einem verschmitzen Lachen.

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Damiano von Erckert (Foto: Thomas Venker)

In den letzten vier Jahren hat Damiano auf diesem Nährboden eine eigene künstlerische Identität erschaffen, die von zart verspielten, Deep-House-esken Momenten auf der ersten Compilationmaxi seines Labels Ava somie der Debütmaxi “I think we agree, the past is over” bis zu den verspielteren, deutlich eklektischer beeinflussten Tracks der aktuellen Maxi “Mickey M. and the Marlboro Man” reicht. Von großer Bedeutung war in diesem Findungsprozess das bereits erwähnte Debütalbum “Love Based Music”, für das er neben Funkycan mit Georgia Anne Muldrow und Danilo Plessow (Motor City Drum Ensemble) kooperierte. Hier zeigte sich die Dualität seiner Arbeitsweise. Einerseits produziert er sehr Looporietiert. Bei derartigen Tracks geht es ihm darum, die Samples so aus den Originalen zu editieren, “dass man sie über fünf bis sieben Minuten ziehen kann, ohne dass es langweilig wird, und die Energie flöten geht.” Er verweist dabei auf die Großen der Edit-Branche wie Larry Levan und Ron Hardy, “die durch Wiederholungen eine Energie aufgebaut bekommen haben, die das Original so gar nicht hatte. Sie konnten alles auf das Wesentliche runterschrauben und so die Essenz reiten.” Andererseits arbeitet Damiano mittlerweile immer häufiger “mit Hardware”, wie er das ausdrückt, und versucht, indem er “selbst in die Tasten haut” richtiggehend zu komponieren”. Neben den namhaften Vorbildern sorge dabei “seine Crew” dafür, dass er stets das Maximale aus sich herauszuholen versucht. Gemeint ist damit der Verbund befreundeter Produzenten wie Funkycan (Am Kinem), Tito Wun (aka Twit One), Lorenzo Merluzzo (Lars Dorsch), Retrogott und Hulk Hodn (aka Hodini), die er auf seinem Label Ava um sich geschart hat. Zum erweiteren Ava Kreis gehören auch seine aktuellen “Mickey M. and the Marlboro Man” Kollaborateure Peven Everett, der auf dem Titelstück “All About Lovin’ Me” singt, und Max Graef, der es remixt hat. Die Soulful House Legende Everett hat er, wie bereits zuvor Georgia Anne Muldrow, tatsächlich über direktes Anschreiben für die Zusammenarbeit begeistern können – beide sagten umgehend zu und lieferten binnen weniger Stunden perfekt aufgenommene Gesangsspuren, wie er betont. Max Graef, der im Groove Jahrespoll 2014 zum besten Newcomer gekürt wurde, sei im Verlauf des Sommers zu einem guten Freund geworden, erzählt Damiano. “Mittlerweile ist das eine richtige Köln-Berlin-Connection. Er schläuft bei mir, wenn er in der Stadt ist und umgekehrt. Er ist ein Riesentalen und ich freue mich sehr, dass er gerade so steil geht.”

Mal sehen, wo er selbst am Ende von 2015 steht, wenn wieder Bilanz gezogen wird. Vorgenommen hat sich Damiano für das Jahr vorallem die konzentrierte Arbeit am zweiten Album, das noch organischer in seinem Sound werden soll, indem er “überhaupt keine üblichen Drummachines mehr benutzen, sondern über das Selbsteinspielen den Bandcharakter stützen will.” Das gesagt, schiebt er schnell hinterher, aktuell aber auch an Technostücken zu sitzen. Schließlich sei und bliebe Offenheit der Schlüssel zu spannenden Produktionen.
Der Texte ist originär in der Februar-2015-Ausgabe des  Groove Magazins erschienen.

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