Swan Meat / Reba Fay im Interview

Swan Meat: “Ich sehe jetzt das sogenannte Licht am Ende des Tunnels“

Reba Fay

Reba, du bist aktuell in deinem Heimatland Amerika – wo genau?
Und wie fühlt sich das an?

Reba Fay: Ich bin derzeit in Washington, D.C., wo die eine Hälfte meiner Eltern lebt. Es fühlt sich tetwas seltsam an, hier zu sein – ich lebe jetzt seit einiger Zeit in Deutschland, und Köln ist nun mein richtiges “Zuhause”. 

Obwohl ich Bürgerin der USA bin, fühle ich mich hier nun sehr als Besucherin und vermisse all die ruhigen, kleinen Aspekte meiner täglichen Routine in Köln.

Wie ging es dir denn mit der Pandemie bis dato? Für die Auftritte war es sicherlich nicht zuträglich, aber hast du das Gefühl, dass du die Zeit trotzdem gut für dich nutzen konntest, einerseits weil du mehr Zeit zum nachdenken und positionieren hattest, vielleicht, aber auch konkret zum produzieren?

Ehrlich gesagt war es in den letzten zwei Jahren eine Reihe von Höhen und Tiefen. Im März 2020 (was sich wie gestern anfühlt, aber auch so lange her ist) hatte ich die Idee, dass ich meine Finger bis auf die Knochen arbeiten lasse und Tracks wie eine Verrückte produzieren würde. Das tat ich dann auch – für ein paar Monate. Danach kam ein langer Anfall von Depressionen, verursacht vondem schweren, grauen Gefühl, dass die Pandemie ewig dauern würde.

Meine Liebe zum Produzieren ist eng verbunden mit der Möglichkeit, meine Tracks live performen könnte. Der performative Aspekt der Musik ist für das, was ich als Künstlerin bin, von wesentlicher Bedeutung – ich glaube wirklich, dass es keine transzendentere Erfahrung gibt, als mit einer Menge eins zu werden, in dem man wunderschöne Musik auf einem leistungsstarken Soundsystem gemeinsam und leibhaftig erlebt. Ohne die Aussicht auf Shows wurde ich also von Traurigkeit geplagt und stellte mir die existentielle Frage, ob ich jemals wieder diese Sache, die ich liebe, mit jemand anderem teilen werden könnte? 
Glücklicherweise konnte ich mich aus dieser Grube der Verzweiflung herausziehen und meine nächste EP, die überraschenderweise eine Reihe überschwänglicher und erhebender Tracks enthält, fertigstellen. Ich sehe jetzt das sogenannte Licht am Ende des Tunnels und freue mich sehr darauf, diese neue Musik mit der Welt zu teilen.

Du hast erwähnt, dass du aktuell Shows für das Frühjahr buchst. Fällt es in manchen Ländern leichter als in anderen? Jetzt gar nicht primär aufgrund deines Bekanntheitsgrades, die Frage zielt mehr auf die Vibes der Leute hin und auf die regionallen Bedingungen? 



Viel in Bezug auf Buchungen ist noch in der Luft. Ich muss damit rechnen, dass eine Veranstaltung jeden Moment abgesagt werden kann – und einfach mit dieser Realität leben. Die Vibes scheinen in der Tat von Ort zu Ort sehr verschieden, aber die meisten Orte, an denen ich gespielt habe, haben Gott sei Dank ihr Bestes getan, um das Publikum zu schützen und gleichzeitig eine lustige Atmosphäre zu schaffen – auch wenn das nur schwer zu erreichen ist. Es wird nie wieder 2019, also ist die Stimmung offensichtlich anders, aber solange ich die Musik spielen kann, die ich liebe, bin ich dankbar.

Wann genau und mit welchem Bild von der Stadt bist du nach Köln gekommen?

Das war 2017. Meine größte Verbindung zu Köln war amals die Krautrock-Gruppe CAN. Lustigerweise wurde ich letztes Jahr als Gast in die Jury des Holger-Czukay-Preises eingeladen, also konnte ich diesen Assoziationskreis vervollständigen! Ich kannte auch die Basics: den Dom, die antike Architektur, Karnevalsfeiern, und so weiter, war aber keineswegs ein Kennerin der Stadt und wusste wirklich nicht, was mich erwartet.

Und wie hat es sich Köln nach der Ankunft angefühlt?

Als ich nach Köln gezogen bin, habe ich mich total überfordert gefühlt. Ich war Anfang zwanzig und musste mich irgendwie zwingen, schnell erwachsen zu werden. Ich bin eigentlich wegen einer Beziehung nach Deutschland gezogen, nicht unbedingt wegen der Musik, also hatte ich, obwohl ich eine arbeitende Produzentin war, nicht diesen besonderen Anker. Die Dinge änderten sich jedoch, als ich anfing Deutsch zu lernen. Ich wachte jeden Tag auf, habe gefrühstückt und habe zwei bis drei Stunden gelernt, bevor ich zur Arbeit gegangen bin. Sobald ich mich unterhalten konnte, konnte ich neue Freund:innen finden und die Stadt wirklich kennenlernen; jetzt fühle ich mich wie zu Hause.

Und nun mit etwas Distanz? Wie fühlt sich Köln heute für dich an?



Gute Frage. Ich befinde mich sozusagen in einem Grenzzustand der Staatsbürgerschaft: nicht mehr ganz amerikanisch und auf jeden Fall gar nicht deutsch. Daher ist mein Bild von der Stadt ganz persönlich. Was für mich “Köln” ist, das sind die Bestandteile meines Alltags: Morgenkaffee im Backwerk (lol), Laufen um den Aachener Weiher, Fatality-Shot trinken in der Meltdown…

Gibt es andere Städte, die für dich wichtig sind und warum?

Natürlich ist Berlin ein grundlegend wichtiger Ort für mich. Ich habe dort meine allererste Show im Ausland gespielt. Als jemand, der von Techno inspiriert ist, respektiere ich Berlin, die Stadt hat ihre eigene Kultur rund um Techno als Kunstform geschaffen hat (obwohl wir uns alle daran erinnern müssen, dass Techno in Detroit erfunden wurde). Aber ich denke, Künstlerin in Berlin zu sein, bedeutet heutzutage, ständig zu versuchen, sich selbst zu vermarkten und zu “vernetzen” – das flacht den musikalischen, wichtigsten Aspekt ab, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Deshalb mag ich es, etwas Abstand von der Stadt zu haben. Beirut ist aber mein Lieblingsstadt der ganzen Welt. Tokyo auch.

In einer deiner letzten Mails hast du davon gesprochen, dass du in Zukunft dich mehr in Köln vernetzen willst. Das sei bis dato daran gescheitert, dass du eben schüchtern seist – und nichts ist leichter als sich da auf seine enge Peer Group zu konzentrieren, in deinem Fall Dj Heroin und Emil (Shinju), mit denen ja auch Musik machst. Welche Kontexte / Leute hast du für das Vernetzen speziell im Blick?

Mir ist aufgefallen, dass die Kölner Musikszene sehr engmaschig und sehr klein ist und alles eher davon abhängig zu sein scheint, wen du kennst (das heißt, man sollte mit der Person befreundet sein, die diesen Veranstaltungsort betreibt) als von deinem musikalischen Output. Dies ist nur mein Eindruck, und es kann sein, dass er nicht stimmt. So ist es in den meisten Städten mit kleinen Szenen. Ich sehe unglaubliche, lokale DJs – insbesondere Frauen und POC –, die aufgrund der immer selben Typen in denselben Clubs übersehen werden. Das nervt! Als Hinzugereiste ist es vielleicht nicht meine Aufgabe, die Szene zu “beurteilen” (wobei ich betonen möchte: im Endeffekt ist es hier mega toll) – mit “Vernetzen” meine ich, dass ich Leute treffen möchte, die mir helfen könnten, hier meine eigene Clubnacht zu starten, wenn sich Covid ein bisschen beruhigt hat. Ich habe mit dem Swan Meat-Projekt eine ziemlich große Plattform und möchte unbedingt Underground-Künstler:innen unterstützen und einladen, die nicht den Glanz bekommen, den sie verdient haben.

Ich sprach es an, mit DJ Heroin (mit dem du das Duo House of Suns bildest) und Shinju verbringst du viel Zeit im Studio.

Collabs habe ich eigentlich nur mit DJH (er nennt sich nicht mehr DJ Heroin). Shinju ist aber ein sehr cooler Typ, der epische Beats baut.

Deine aktuelle Single „SLŪDGE“ (von dir auf Soundcloud lustigerweise als Goa gefiled) ist schnell, sprunghaft, verspielt, brutal – und irre catchy. Sie nagt sich geradezu fest – was so für all deine Produktionen gilt. Kannst du erläuern, wie du im Studio arbeitest? Gibt es feste Prozesse / Abfolgen?

Es gibt keinen festen “Prozess,” dem ich folge. Ich gehe dorthin, wo mich die Inspiration hinführt. Ich neige dazu, mit Kick und Bass zu beginnen, da ich tatsächlich (obnoxious) Clubmusik mache und glaube, dass ein Track nicht funktioniert, wenn dieser solide, wirkungsvolle Low-End-Anker nicht vorhanden ist. 
Wenn ich es auf einen Prozess reduzieren müsste, würde ich Folgendes sagen: Solides Low-End, um den Track zu verankern, über dem ich mit Melodien dazu neige, verrückt zu werden. Normalerweise halte ich mein Perkussion eher einfach, damit ich Raum für eine komplizierte, erhebende Melodie lassen kann. Ich experimentiere gerne mit Tonartwechseln/Transpositionen und Elementen der “klassischen” (in Ermangelung eines besseren Wortes) Musiktheorie, die normalerweise nicht ihren Weg in Techno finden – und dazu bedarf es einer einfachen, perkussiven Bass.

Achtung, Klischeefrage: Was versucht du mit deiner Musik auszudrücken?

Kürzlich sagte mir mein Freund Jay von der Metal-Band Crowhurst, dass ich die Ideen eines Albums in einen Track packe, was für mich ein riesiges Kompliment war. Als ich aufgewachsen bin, spielte ich viele Videospiele (insbesondere JRPGs „Meister des Geschichtenerzählens“) und machte viel Musiktheater. Dann habe ich angefangen, Gitarre zu spielen, und die Bands, zu denen ich mich am meisten hingezogen fühlte, waren Gruppen wie Fall of Troy, Dance Gavin Dance, Protest the Hero, Dream Theater und, ja, Tool. Math Rock und Prog Rock sind meine Säulen. Ich liebe das Dramatische und Theatralische. Diese Bands hatten unglaublich komplexe, sich ständig verändernde Riffs, deren Tracks sich ständig weiterentwickelten und sich eher wie Variationen eines Themas als wie einfache Songs angefühlt haben. Im Grunde erzählten sie mit ihrer Musik eine Geschichte. Das versuche ich mit meinem Songs – auf meiner kommenden EP habe ich zum Beispiel einen Track mit Club-Energie, der in der Mitte abfällt, um in einen Walzerabschnitt überzugehen. Das war notwendig für die Geschichte, die ich mit dem Track erzählen wollte. Manchmal funktionieren meine Ideen nicht, und das ist auch ok!

Gibt es Sounds, die die zu kitschig sind?

Nicht wirklich. Natürlich gibt es Sounds, die überstrapaziert worden sind – die Geräusche von zerbrochenem Glas, das Lufthorn, bestimmte Sample-Packs usw. (die ich auch alle verwendet habe!), aber wenn das Gefühl stimmt, werde ich alles von Katzenmiauen über Kuhglocken bis hin zu Slap-Bass-Sampling verwenden.

Wenn ich es richtig raus lese, spielst du auch gerne Computerspiele, ja? Welche? Und vernetzt oder eher allein?



Ich kann nicht mit anderen Leuten spielen, es sei denn, es ist eines der Kampfspiele, in denen ich gut bin („Mortal Kombat“, im Grunde). Ansonsten spiele ich alleine, denn ich bin eine begeisterte Gamerin, aber keineswegs ein GUTE Gamerin. Ich werde sehr leicht frustriert und bin ein zugegebenermaße eine schlechte Verliererin. Deshalb spiele ich neben den oben genannten JRPGs hauptsächlich Metroidvania-artige und Roguelikes, die ich alleine spielen und trotzdem herausgefordert werden kann. Im 2021 habe ich viel „Hades“ und „Ori and the Blind Forest“ gespielt. Ich war auch von „Octopath Traveler“ besessen.

Was macht für dich eine gute Party / einen guten Rave aus?

Tolle Musik und ein begeistertes Publikum, das sich alle gegenseitig respektiert und sein Bestes gibt, um sicherzustellen, dass alle abgehen und gleichzeitig den Raum sicher und respektvoll halten. 🙂

Welche(r) Kölner Party / Rave ist dir nachhaltig in Erinnerung geblieben in den letzten Jahren und warum?

Die Release-Party von DJH und mir, kurz bevor die Covid-Sperren Anfang März 2020 los gingen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir keine Ahnung, dass Covid das Fundament des gesamten Universums entwurzeln würde, und feierten immer noch als wäre es 2019. Wir haben unsere (zu der Zeit) lokalen Freunde Denzxl und DJ Brom eingeladen und haben Nunu, Kamixlo und Hatechild aus Übersee eingeflogen Die Musik war großartig, alle unsere Freunde waren da und ich habe live gesungen – es war eine erstaunliche Nacht, eine der letzten Nächte, in denen ich mich wirklich frei und ohne Angst vor der Zukunft gefühlt habe.

Welcher Track hat dich zuletzt so richtig begeistert?

Heute Morgen habe ich zum tausendmal Danny L. „Harles Harlecore Projekt“ gehört, und verdammt, dieses Album überrascht und begeistert mich immer wieder.
Mein Freund, der Produzent “City,” hat mir vor ein paar Wochen das Album von Serpent Column empfohlen: „Kathodos“, das war auch ein Schock für das System – wunderschöne erhabene Nebelwände aus Gitarrensound.

Und welcher Mix)

Der russische DJ und Produzent Karawai hat neulich einen Gastmix für meine Rinse FM Residency erstellt, der ausschließlich eigenem bis dato unveröffentlichte Musik von ihm enthält, die zu gleichen Teilen überraschend und unglaublich war.

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