Darren Cunningham aka Actress im Gespräch mit Albert Koch

Actress “Ich denke auch geschäftsmäßig, aber ich behandele die Kreativität meiner Künstler anders, weil ich selbst einer bin”

Darren Cunningham aka Actress im Gespräch mit Albert Koch

Albert Koch im Gespräch mit Darren Cunningham aka Actress, ursprünglich publiziert in der April 2018 Printausgabe des Musikexpress. Kaput bedankt sich herzlich beim Autor für die digitalen Ausspielrechte. 

Darren, du hast in den vergangenen Jahren öfters angekündigt, dass du keine Musik mehr unter dem Namen Actress veröffentlichen wirst. Wie ist der Stand heute?

Der Stand ändert sich ständig. Es spielt letztendlich auch keine Rolle, weil es mir immer nur um die Musik gegangen ist. Wenn der Name nach der Musik kommt, kann man sich dabei verlieren, weil der Name anders besetzt wird, weil er mir von den Leuten weggenommen wird. Ich bin zu einem Punkt gekommen, da wollte ich den Namen entweder ändern oder umgestalten. Ich neige eher zur Umgestaltung als zum Zerstören. Ich glaube, es wird sich nicht viel ändern.

Du sagst, dass dir der Name nach einer gewissen Zeit von den Leuten weggenommen wird. Aber der Name Actress in seiner ursprünglichen Bedeutung als Schauspielerin war ja vorher schon anders besetzt.

Ja, es ist ja nicht einmal ein Name, es ist nur ein Wort. Das hat mich daran fasziniert, es gibt kein Eigentumsrecht daran.

Du arbeitest unter verschiedenen Namen, auch als Levantis. Inwieweit hat das Bewusstsein, Musik unter einem bestimmten Namen zu machen, Einfluss auf die Arbeit?

Es ist eher umgekehrt, wenn ich einen Track aufnehme, dann weiß ich, dass es ein Actress-Track ist. Das denke ich mir nicht aus, es ist die Reaktion auf ein Gefühl oder auf eine Phase der Verwirrung darüber, wer oder was Actress ist.

Sind diese verschiedenen künstlerischen Identitäten auch eine Möglichkeit für dich, die eigene Persönlichkeit zu verstecken?
Das genaue Gegenteil ist der Fall. Was ich mache, ist soulful music, die Vorstellung der Leute von soulful music ist in gewisser Weise stereotyp und wird oft in ein Genre gepresst. Und das ist nicht, was ich mit meiner Musik erreichen will. Meine Musik ist nicht genrebezogen, sie ist beeinflusst von der Musik, die ich mag, aber ich bin kein Producer, ich bin ein Künstler und deshalb muss ich das produzieren, was ich fühle und was ich ausdrücken will. Meine künstlerische Entwicklung hat mich hingebracht zu Stockhausen, Musique concrète, Sun Ra, Miles Davis, sie hat mich weggebracht von strukturiertem Pop wie Vanilla Ice, Ice Cube. Ich habe mich in Bezug auf die Musik hin zu sehr abstrakten Gedanken entwickelt, und das ist etwas, das mich sehr fasziniert. Das hat meine Musik beeinflusst, ich nenne sie „R’n’B concrète“.

Was ist Musik für dich?

Die Funktion von Musik hat sich für mich im Laufe der Zeit, in der ich selbst Musik mache, sehr verändert. Als ich Musik über meinen Walkman gehört habe, konnte ich sie von einer Außenperspektive aus genießen. Als ich begonnen habe, selbst Musik zu machen, habe ich bemerkt, dass sich mein Standpunkt verändert hat, von einem Beobachter von außen hin zu jemandem, der daran interessiert ist, Sounds zu kreieren kann, deshalb habe ich begonnen, Kraftwerk zu hören. Musik ist wie eine Orientierung für mich. Ich kann Musik immer noch als Hörer genießen, aber die Art, wie ich Musik höre, hat sich total verändert, weil ich mich dabei auf sehr spezifische Aspekte der Musik konzentriere.

Für mich war Musik immer Eskapismus und auch Lebensretter. Was willst du im besten Fall mit deiner Musik bei mir erreichen?

Was ich erreichen möchte, ist so etwas wie Gabriel Faurés „Requiem“. Es ist das beste Stück Musik, das ich jemals gehört habe. „Requiem“ und “INNOVATOR” von Derrick May haben mein Leben gerettet, es ist beides sehr orchestrale Musik, und das will ich mit meiner Musik erreichen. Aber ich möchte nicht so wirken, als ob ich versuchen würde, ein klassischer Musiker zu sein.

Musik sollte auch ein Kommentar zur Zeit sein, jede Zeit sollte ihre Musik haben.

Ich glaube nicht, dass ich mit meiner Musik auf die Zeit reagiere. Das Internet produziert so viel Informationen, auf die man zufällig stößt. Ich habe ich vor ein paar Tagen angefangen, den Roman „Uhrwerk Orange“ zu lesen. In der Einführung ist zu lesen, dass der Autor Anthony Burgess über ein paar Dinge verärgert war. Er hat sich über Stanley Kubrick geärgert, der mit seiner Verfilmung den Roman „besser“ gemacht hat. Burgess war immer der Meinung, dass er nie etwas Besseres geschrieben hat, als diesen Roman. Das passiert, wenn geschriebene Worte vom Film übernommen werden. Und wir reden von Stanley Kubrick, einem der größten kreativen Köpfe aller Zeiten. Auf der einen Seite ist dieser unglaublich talentierte Autor, auf der anderen Seite dieser unglaublich talentierte Filmregisseur und ihre Welten prallen durch „Uhrwerk Orange“ aufeinander. Das verzerrt die Tatsachen leicht.

Deshalb kann ich die Frage, die du mir gestellt hast, nicht beantworten. Als ich begonnen habe, Musik zu machen, habe ich das nur für mich getan. Ich mache es immer noch für mich, aber mittlerweile kommuniziert meine Musik auch mit anderen Leuten. Ich versuche nicht so viel darüber nachzudenken, wie meine Musik aufgenommen wird, oder wo ich im Moment künstlerisch stehe. Ich versuche darüber zu reden. Ich habe früher nie Interviews gegeben, weil sie mich von dem abgelenkt haben, was ich mit meiner Kunst erreichen wollte. Ich habe aber erkannt, dass sie eine Möglichkeit darstellen, in Phasen der Isolation für einen Moment dazusitzen und zu reden. Sie helfen mir bei meiner Arbeit, deshalb bin ich viel offener heutzutage.

Es ist interessant, was du gerade über Anthony Burgess und seine Meinung über „Clockwork Orange“ gesagt hast. Stell dir vor, du würdest denken, dass R.I.P. dein bestes Album ist, und du wärest der Meinung, dass du nie ein besseres mehr machen könntest. Das wäre doch deprimierend für einen Künstler.

(lacht) Ich versuche das zu kontrollieren, indem ich als DJ nie meine eigene Musik spiele und wenn ich live spiele, nie Sachen, die die Leute schon kennen, vielleicht ein paar Fragmente daraus. Als ich anfing, habe ich es gemacht, weil die Leute bestimmte Tracks hören wollten. Wenn du mich nach meinem besten Album fragst, kann ich dir sagen, es ändert sich ständig. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt schon ein prägendes Album veröffentlicht habe.

Es gibt nicht viele Musiker, die so einen eigenen Sound haben wie du. Wie kann man das erreichen in einer Zeit, in der man sich vor Einflüssen nicht retten kann?

Man kann als Künstler immer wieder das recyclen, was man bereits gemacht hat, nur damit es eine andere Form annimmt. Ich glaube, Einzigartigkeit manifestiert sich nicht zwangsläufig darin, wie etwas klingt. Es ist eher etwas Sensorisches, während Sound etwas Physisches ist. Ich glaube auch, dass es nicht gut ist, wenn man versucht, einzigartig zu sein, das sollte nicht die Zielvorgabe sein. Wenn du mich mit einem anderen Künstler mit exakt demselben Equipment in einem Zimmer einsperrst und uns sagst, wir sollen einen Track produzieren, bin ich mir ziemlich sicher, dass mein Track komplett anders ausfallen würde als der des anderen. Du weißt, was die Aufgabe ist, und du weißt, wie der potenzielle Output sein wird. Die Abkopplung vom Publikum und vom Internet gibt den Raum, um die Musik zu verändern und neu zu definieren.

Die Leute und auch die Musikjournalisten neigen dazu, Schubladen für Musik zu finden. Das bringt ihnen Sicherheit. Das Schöne an Actress-Musik, sie ist nicht leicht einzuordnen. Und davor haben manche Leute Angst.

Ja.

Ein Beispiel. Ich bin regelmäßig auf dem Podium einer „Pop-Debatte“ in einem Berliner Plattenladen. Vier Leute spielen Songs vor, das Publikum kommentiert. Als ich neulich deinen „Audio Track 5“ gespielt habe, haben manche Leute richtig aggressiv reagiert: „Mach das aus! Das soll Musik sein?“

Strawinsky musste dieselbe Erfahrung machen.

Du spielst sowohl in Clubs als auch auf Avantgarde-Festivals. Was ist deine Musik. Clubmusic? Avantgarde?

Es ist für andere Künstler sehr leicht, ihre Musik in eine Schublade zu stecken. Für gewöhnlich stellt Film die Verbindung her für die Leute. Wenn ein Film mit guter Musik unterlegt wird, dann bringt das die Musik den Leuten nahe. Meine Musik handelt von Eskapismus und von bestimmten futuristischen Ideen, das sind aber erst einmal Gedanken in meinem Kopf. Und durch die Musik kommen diese Gedanken heraus. Es gibt nichts Langweiligeres als einfach linear einen Track zu produzieren.

 

Als ich zum ersten Mal über „Audio Track 5“ gelesen habe (ohne es gehört zu haben), habe ich ein bisschen Angst bekommen. Es gibt diesen aktuellen Trend, dass Elektronik-Musiker meinen, klassische Musik machen zu müssen (Carl Craig, Jeff Mills) und vieles davon ist nicht gut. Was ich an „Audio Track 5“ gut finde, dass er eine elektro-akustische Komposition ist. Das Orchester wird elektronisch bearbeitet.

Die Musikindustrie basiert auf bestimmten Erwartungen. Und als ich mit der Musik angefangen habe, wollte ich diese Erwartungen defragmentieren und dekonstruieren. Bestimmte Künstler meinen, ihre Musik auf eine bestimmte Art zu machen, um ihrem Publikum zu gefallen. Ich weiß nicht, wer mein Publikum ist. In gewisser Weise wurde mein Publikum geschaffen durch die künstlerische Welt, die ich durch die Hintertür von Techno geschaffen habe. Techno war immer die Grundlage dessen, was ich musikalisch geschaffen habe.

Meine Herangehensweise war immer die Defokussierung des Sounds. Ich versuche, den Eindruck zu vermitteln, dass es gut produziert ist, aber es ist sehr lo-fi. Du hattest Angst, dass ich 909s zu farbenfrohen Vivaldi-Violinen laufen lassen würde, ich aber wollte das Orchester auf das Wesentliche reduzieren, was meiner Idee von Musik nahekommt, und ich wollte den Musikern die Möglichkeit geben, zu improvisieren. Es ist nicht so, dass das Orchester für mich spielt, sie hatten den Raum, ihren Part auszuarbeiten. Ich mag keine Bläser im Techno-Kontext. Bei den Aufnahmen zu „Audio Track 5“ hat der Percussionist einmal eine Plastiktüte „gespielt“, der Klarinettist hat manchmal nur mit seinem Mundstück gespielt. Wir haben Bücher ins Piano gesteckt, um einen perkussiveren Sound zu erzielen. Ich wollte eine Art „White Noise“ für Orchester erreichen. Das ist der Unterschied zu dem, was andere Techno-Musiker mit einem Orchester machen.

Die meisten Elektronik-Musiker arbeiten permanent an neuen Tracks. Wann weißt du, wann aus einer Sammlung von Tracks eine EP oder ein Album werden muss?

Es ist schwer für mich, von Tracks zu reden. Ich arbeite ziemlich langsam. Ich habe so viel Equipment, dass ich noch nicht alles beherrsche, ein großer Teil meiner Arbeit wird wahrscheinlich noch ein paar Jahre darin bestehen, jedes einzelne Teil meines Equipments zu beherrschen. Vielleicht werde ich erst mit 60 diesen einen komplizierten Synthesizer beherrschen. Das ist mein Lebenswerk. Es ist wichtig für mich, Bücher zu lesen über Künstler wie Jackson Pollock oder Basquiat, weil ich mich dadurch mit dem Dasein als Künstler verbinde.

Aber wann wird eine Sammlung von Tracks eine EP oder ein Album?

Ich arbeite nicht an Tracks, sondern an Sequenzen. Eine Sequenz könnte nur aus einem Soundmuster bestehen, oder aus einem gesampelten Element einer Bassline. Meine Aufgabe ist es, Schritt für Schritt herauszufinden welche Sequenzen zusammenpassen und daraus einen Track zu machen. Es ist eine Herausforderung, mich den ganzen Tag einzuschließen, um Musik zu machen, und keine E-Mails zu beantworten oder Telefonanrufe entgegenzunehmen. Es funktioniert nicht, dass ich komplett in meiner Musik verschwinde.



Mein Lieblings-Remix ist die Instrumental-Version von Kelis „Rumble (Actress Sixinium Bootleg Mix)“. Da hast du nichts vom Original übernommen, oder?

(lacht) So ist es. Remixe haben mir bisher viel Spaß gemacht. Ich bekomme viele unterschiedliche Anfragen für Remixe von den verschiedensten Bands. Aber wenn ich einen Song remixe, dann muss ich irgendeinen Anknüpfungspunkt finden können. Ich bin ziemlich glücklich mit allen Remixen, die ich gemacht habe. Ich versuche immer keinen der Sounds zu benutzen, die ich geschickt bekomme.

Lass uns über dein Label Werkdiscs sprechen. Was muss ein Künstler haben, um auf Werkdiscs zu veröffentlichen?

Am Anfang waren es befreundete Musiker. Später habe ich mich entschlossen, mit Musikern zu arbeiten, die ähnlich wie ich, in ihrem Umfeld eine charakteristische Musik machen.

Wie bist du auf Helena Hauff gekommen?

Ich habe Helena in Hamburg auflegen sehen, sie war brillant. Ich habe sie dann nach London eingeladen für ein paar DJ-Gigs. Dann hat sie mir Musik geschickt, ich mochte sie, dann hat sie das Album auf Werkdiscs veröffentlicht. Aber ich bin immer auf der Suche nach der nächsten Sache. Ich denke auch geschäftsmäßig, aber ich behandele die Kreativität meiner Künstler anders, weil ich selbst einer bin. Wenn ich nur Geschäftsmann bei einem Label wäre, wäre meine Herangehensweise wahrscheinlich völlig anders.

Stimmt es, dass du 1997 beim „Tribal Gathering“ warst.

Ja.

Ich auch.

Echt?

Ja, ich habe Kraftwerk gesehen.

Das war mein erster Rave. Ich hatte gerade meine Führerscheinprüfung bestanden und meine Eltern hatten mir einen roten Ford Fiesta gekauft. Und da bin ich zusammen mit meinen zwei besten Freunden hingefahren. Zu dieser Zeit wusste ich nicht viel über Musik, ich wusste natürlich wer Kraftwerk waren, aber ich hatte keine Ahnung, wer Jeff Mills war. Wir sind in erster Linie wegen Daft Punk hingefahren. Das war meine Einführung in die elektronische Musik und in eine Menge anderer Dinge (lacht).

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