„Ich hätte mir nie ausmalen können, für meine Kulturarbeit mal so beschimpft zu werden“ – Das Hafenklang in Hamburg
Die Erschütterungen durch den Nahostkonflikt sind überall auf der Welt zu spüren. Auch die alternative Clubszene gerät zunehmend unter Druck von Boykottbestrebungen und Shitstorms von internationalem Ausmaß. Linus Volkmann spricht mit Vertreter*innen dreier betroffener Clubs. Teil Zwei: Hafenklang in Hamburg.
Ohne Wenn und Aber: Das Ringen um Solidarität mit der Zivilbevölkerung in den palästinensischen Gebieten ist genauso notwendig wie legitim. Wer allerdings Angriffe auf jüdisches Leben in Europa (und anderswo) als eine Protestform deklariert, entlarvt die eigene Motivation als Antisemitismus.
Zerstörte Stolpersteine, niedergebrüllte Lesungen von Hannah-Arendt-Texten, beschmierte Denkmäler jüdischer Opfer des Nationalsozialismus … all das sendet keine Hilfe an Notleidende in Gaza oder Rafah, sondern ist viel mehr Teil eines globalen Mobbings, dessen Zielrichtung man sich gar nicht ausmalen möchte. Gerade auch die alternative Clubkultur findet sich seit dem Massaker der Hamas vom 7.10.2023 als Stellvertreter-Schauplatz des Nahost-Konflikts wieder. Aktuell sind etablierte linke Konzertlocations ins Visier israelfeindlicher Boykott-Bestrebungen geraten. Die Folge: Konzertabsagen und wirtschaftliche Schieflagen der Clubs. Immobilienfirmen dürfte es freuen, wenn die Chancen wachsen, sich Kulturorte in den Innenstädte einzuverleiben.
In dieser Reihe spreche ich mit Vertreter*innen von drei erhaltenswerten alternativen Clubs, die aktuell (längst nicht nur) kulturell angegriffen werden.
Teil 3: Das Hafenklang in Hamburg
Hafenklang … Der subkulturelle Treffpunkt ging aus den Hafenklangstudios der 1970er Jahre hervor. Heute beherbergt es neben der Bar zwei Auftrittsräume sowie Unterkünfte für Bands. Das Hafenklang liegt, wie der Name es bereits preisgibt, direkt am Hafen, nur ein paar Schritte bis zur Elbe.
Thomas, was ist gerade los bei euch im Hafenklang?
THOMAS LENGEFELD So einiges. Bis zum Sommer waren die Anfeindungen eher subtil, nicht wirklich greifbar oder zumindest noch zu händeln, doch seit Herbst hat es immens an Fahrt aufgenommen. In den letzten vierzehn Tagen beispielsweise gab es acht Komplett-Absagen, also dass der Headliner gecancelt hat. Außerdem noch zwei Support-Acts. Das waren ausschließlich Bands aus dem englischsprachigen Raum, USA und England.
Aber los ging die Sache schon früher?
Ja, einer unser Booker, der vor allem DIY-Punk-Geschichten macht, hatte schon im März bei einer Besprechung darauf hingewiesen, dass in Leipzig alteingesessene Konzertläden wie das Conne Island aktuell sehr große Probleme mit dem Thema Israel/Palästina haben. Wenige Tage später meldete sich eine Freundin von mir aus Berlin, die sehr gut vernetzt ist in der Szene und sagt, sie sei im Netz auf eine bundesweite Liste gestoßen mit Läden, von denen gesagt wird, Bands sollten diese nicht mehr ansteuern, wir seien dort auch aufgeführt. Wir waren nicht sicher, wie wir darauf reagieren sollten. Wir sind ein Kollektiv und haben eher gemeinsame Grundwerte als eine einzige politische Meinung. Hätten wir jetzt ein Statement rausgeben sollen: „Stoppt den Krieg“? Das schien uns aber wenig zielführend. Also haben wir diese Ausläufer, die im Frühjahr uns schon trafen, versucht zu ignorieren – und lieber weiterhin unseren eigenen Maßstab hinsichtlich No Go’s bei Konzerten stets von Fall zu Fall anzulegen.
Was sind denn No Gos bei Hafenklang-Konzerten?
Fahnen jedweder Nation gehen bei uns nicht – das ist eine Policy im Hafenklang schon seit der Fußball WM 2006. Du kannst dich aber natürlich Palästina-solidarisch auf der Bühne äußern, solange es nicht darum geht, die Leute zu agitieren und einen Auftritt in eine politische Veranstaltung zu überführen. Sowas kann an einem Abend natürlich fließend sein. Daher haben wir gemerkt, dass wir rote Linien für uns als Kollektiv erstmal festlegen müssen. Denn oft ist es so, dass jemand die Konzerte bucht, aber an dem Event selbst nicht vor Ort ist, sondern die jeweilige Crew das durchführt. Da kannst du schlecht verlangen, dass jemand an der Theke deine Schmerzgrenze hinsichtlich politischer Statements durchsetzt, die vielleicht gar nicht seine oder ihren eigenen sind. Daher gab es bei uns dann eine Vollversammlung des Vereins. Das sind sehr unterschiedliche Leute aus unterschiedlichen Ländern auch, sollte man wissen – und etliche sehen sich auch als pro-palästinensisch. Wogegen überhaupt nichts einzuwenden ist. Diese Sitzung habe ich anmoderiert mit der Frage, ob es denn Stimmen gäbe, die das Existenzrecht Israels nicht anerkennen würden. Nein, gab es nicht. Okay, da hatten wir ja schon mal einen ersten Konsens gefunden, der auch Äußerungen wie „From the river to the sea“ umfasst, weil dahinter ein genozidaler Gedankengang von der Auslöschung aller Juden in Nahost steht. Keine Homophobie, keinen Sexismus, keinen Faschismus fanden sich natürlich ebenfalls als Schnittmenge neben der no-flag-policy. Das waren unsere gemeinsamen Ableitungen, wir wollten uns dabei unbedingt nicht in zwei Lager aufteilen lassen. Diese Lagerbildung wird der komplexen Sache doch überhaupt nicht gerecht. Für uns war das intern eine wichtige Selbstfindung. Nach außen haben wir uns nicht geäußert und die vereinzelten Aufrufe gegen uns schienen auch wieder einzuschlafen über den Sommer.
Und dann?
Bis Mitte September passierte nichts. Doch seitdem geht es richtig los. Inzwischen ist das wirklich so krass, dass das Festnetztelefon im Büro klingelt und Agenturen dran sind, die uns erzählen, sie wurden von amerikanischen Acts darauf hingewiesen, dass wir ein „Zionisten-Faschistenladen“ seien und ob man denn wirklich noch mit uns zusammenarbeiten würde – und wenn das so wäre, würden sie nicht mehr mit der Agentur zusammenarbeiten. Im Zuge dessen werden nun diverse Auftritte abgesagt. Von etlichen Acts bekommen wir auch mit, dass sie natürlich nicht an dieses Narrativ glauben, das man uns da überstülpen will und dass sie mit ihrer Absage ganz sicher nicht hinter einer Ideologie stehen, die Israel auslöschen will. Viel eher sagen die Bands, „wir müssen gucken, dass wir nicht auf der nächsten Liste stehen…“ Das hat sich bei uns im Booking dann alles so hochgeschaukelt, dass wir gedacht haben, okay jetzt müssen wir dieses Statement raushauen.
Der Nahost-Konflikt taucht nicht erst seit dem 7.10.2023 in der Linken und damit auch in der alternativen Musikszene auf. Ist das etwas, dass euch letztlich schon länger begleitet?
Nein, überhaupt nicht. Aber ich selbst hatte mit dem Festival Off The Radar bei der Ruhrtriennale mal ein großes Budget bekommen, um dort das popkulturelle Programm zu machen und unter anderem ein Theaterstück von Schorsch Kamerun umzusetzen. Für die Musik hatten wir uns vor allem drei englische Acts ausgewählt – die Young Fathers, Kae Tempest und die Sleaford Mods. Alles war soweit klar, dann zirkulierte noch mal die Information, dass die Young Fathers seinerzeit dem BDS-Aufruf gefolgt waren und das Popkultur-Festival in Berlin gecancelt hatten. Daraufhin geriert nun die Intendantin des Festivals unter Druck, weil es sich bis in den Landtag hochschaukelte und plötzlich im Raum stand, das Land Nordrhein-Westfalen würde ein antisemitisches Festival ausrichten. Wir hatten das mit den Young Fathers im Vorfeld natürlich auf dem Zettel gehabt und die Band auch dazu befragt. Woraufhin die zusagten, uns BBC-Interviews von ihnen zum Thema rüberzuschicken, in denen ihre reflektierte Haltung zum Konflikt deutlich würde. Unser Eindruck war: Die sind nicht antisemitisch, das ist eine tolle Band, die veranstalten wir. Schlussendlich aber wurden sie dennoch wieder ausgeladen. Was wiederum der anderen Hälfte der Beteiligten der Ruhrtriennale missfiel, die Intendantin stand kurz vor einem Rücktritt und am Ende hat gar kein Konzert stattgefunden sondern eine Podiumsdiskussion, auf der sich letztlich dann eine Handvoll Männer angebrüllt haben. Da bin ich mit dem Nahost-Konflikt und Konzert-Kultur in erster Reihe in Berührung gekommen – im Hafenklang allerdings nie. Bis jetzt. Aber das Existenzrecht Israels anzuerkennen, scheint heute schon Grund, als Zionist zu gelten. Ich hätte mir jedenfalls nie ausmalen können, dass ich für meine Kulturarbeit mal so beschimpft werden würde, wie es aktuell gerade geschieht. Nicht nur mir hat das schon schlaflose Nächte bereitet.
Dabei benötigen alternative Konzertorte wie das Hafenklang, Conne Island oder das About Blank eigentlich gar keine Shitstorms, um unter Druck zu stehen. Ökonomisch ist es an sich schon nicht leicht in den gentrifizierten Großstädten. Dieser Vernichtungswunsch gerade auch innerhalb der eigenen Szene ist sehr bitter.
Ich weiß auch nicht, wo diese ganzen amerikanischen Underground-Bands, die jetzt bei uns abgesagt haben, in zwei, drei Jahren spielen wollen in Deutschland. Mit dem bloßen Plattmachen von linken Auftrittsorten wächst ja kein einziger nach. Der Subkulturstandort Deutschland ist gerade gehörig am Wackeln – aber dass das jetzt auch unabhängig von Geld abläuft, das ist schon schwer auszuhalten.
Das Geld spielt bei diesen Ereignissen in zweiter Linie dann aber doch eine Rolle, oder?
Klar, diese abgesagten Konzerte der letzten zwei Wochen, das hinterlässt Spuren. Du musst für 13.000 Euro bereits gekaufte Tickets wieder auszahlen an die Leute, die die Acts gern in Hamburg gesehen hätten. Dazu kommt der Umsatzverlust an den betroffenen Abenden und ganz viel von der Vorarbeit ist natürlich für die Katz.
Schon bezeichnend, dass euer Statement daran nichts geändert zu haben scheint. Denn das ist weit entfernt von einem „antideutschen Manifest“, sondern es werden lediglich linke oder einfach nur humanistische Grundwerte proklamiert. Wenn einen die Absage an Antisemitismus schon zur Persona oder zum Ort non grata machen soll, dann ist der Verfall wirklich weit fortgeschritten.
Genau. Und natürlich akzeptiert niemand bei uns im Club, was die israelische Regierung da durchzieht. Wir setzen Kritik und Wut gegenüber dem Staate Israel nicht mit Antisemitismus gleich. Aber diese BDS-Antwort mit der Stoßrichtung „Kauft nicht Juden!“ oder „Seid ihr nicht mit uns, seid ihr gegen uns“, geht trotzdem nicht klar.
Was braucht ihr konkret jetzt? Wie kann man als Sympathisant:in von alternativen Konzertläden tätig werden?
Ich weiß nicht… Das Internet abschaffen? [lacht] Das wäre auf jeden Fall eine Maßnahme! Mich nimmt das wirklich mit, dass so viele Underground-Acts aus den Staaten mit Getöse absagen und jetzt schicke ich ihnen unser Statement zu – und dann kommt nichts mehr. Um einen Austausch scheint es augenscheinlich selten zu gehen. Natürlich hat es uns im Gegenzug gefreut, wie viele zigtausend Herzchen und aufmunternde Kommentare eingingen, nachdem wir das jetzt alles öffentlich gemacht haben. Da fühlt man sich schon mal etwas weniger isoliert. Ansonsten gilt natürlich, kommt zu all den Konzerten, die stattfinden und lasst euch nicht runterziehen von all den Entwicklungen, seid solidarisch.
Interview: Linus Volkmann