„Gebt euch bloß nicht mit denen ab“ Das Z-Wort bei TKKG
Wenn man ehrlich ist, stellt es für Niemanden wirklich ein Geheimnis dar: Die erfolgreiche Reihe um die Nachwuchsermittler TKKG hat selbst etliche Leichen im Keller. Ein Text über den Umgang mit dem Z-Wort in der Jugendliteratur.
TARZAN „Merkwürdig, der weiße Mercedes hält schon seit einer halben Stunde mit uns Schritt.“
GABY „Sind finstere Typen drinnen, sehen aus wie Z■■■■■■. Meinen die uns oder den Fluss?“
KARL „Wieso sollten die uns meinen? Wir haben doch mit Z■■■■■■ nichts am Hut.“
[Aus „TKKG – Der Schatz in der Drachenhöhle“]
Um die Figuren Tarzan, Klößchen, Karl und Gaby rankt sich eine eigene Welt, die sich bis heute fortschreibt und mittlerweile bei Folgennummern jenseits der 200 ankommen ist. Bei all dieser Gegenwärtigkeit fußt der Markenkern der Serie allerdings tief in der eigenen Entstehungszeit. 1979 tritt der Autor Stefan Wolf (alias Ralf Kalmuczak, 1938-2007) mit der Folge „TKKG – Jagd nach den Millionendiebe“) eine der langlebigsten Serien für Heranwachsende los.
Die simplen wie grellen Detektivgeschichten schwitzen dabei ein konservatives Weltbild und den damaligen bundesrepublikanischen Zeitgeist aus. Die stets von verschlagenen Randgruppen bedrohte heile TKKG-Welt findet ihre Fans dabei vornehmlich über die Hörspielumsetzungen der Firma Europa. Europa zeichnet dabei auch für die ebenfalls in Kinderzimmern sehr wirkmächtigen Drei Fragezeichen verantwortlich.
Doch während die Jugenddetektive um Justus Jonas im Sehnsuchtsort Kalifornien ermitteln, setzte Stefan Wolf auf Realismus, er bildete Westdeutschland und Jugend ab, wie sie waren beziehungsweise wie er es gern gesehen hätte. Die Serie besitzt ihre Qualitäten, ist allerdings bei (gar nicht mal so) genauem Hinsehen ein Ort, in dem Mobbing, Xenophobie und fragwürdige Rollenbilder herrschen. Allzuoft speisen sich die Ganoven aus Figuren, die vermeintlich nicht ins Raster der weißen Mehrheitsgesellschafts passen: Dropouts, Migranten, Obdachlose, Freaks. Das genauso Einfache wie Fatale ist dabei, das Storytelling gibt Vorurteilen grundsätzlich recht. Ein finsterer Typ mit Hakennase? Das muss der Täter sein – und so verhält es sich dann auch stets.
Man kennt das Fatshaming der Serie – das damals noch als verbindendes, humorvolles Element fungierte – und vermutlich erinnert man sich auch noch an intrigante Italiener, gemeine Griechen, kriminelle Scheidungskinder, fiese Vegetarier und wer nicht alles in dieser Reihe sonst noch vom Autoren auf seinen Platz verwiesen werden sollte.
Debattensimulationen
Man könnte dies alles abtun, man könnte sagen beziehungsweise kann sich sagen lassen, es war halt eine ganz andere Zeit – und so wie in den „klassischen“ TKKG-Folgen stellt es sich heute ja nicht mehr dar. Doch stimmt das wirklich?
Denn wie wenig sich von einer Zeit mit diskriminierender Sprache gelöst werden möchte, haben schon die aggressiv geführten Debattensimulationen rund um Ottfried Preußlers „Kleine Hexe“ gezeigt.
Diskriminierung, die man einst als nichtbetroffene Person gelesen, im TV geschaut oder gehört hat, wird argumentativ zu einem kollektiven Schatz hochgejazzt. Ein Schatz, der im Zweifelsfalle heiliger ist als jeglicher Schmerz, der für andere mit bestimmten Fremdbezeichnungen verbunden ist.
Die Sache mit Sintizze und Romja
Als Kind hatte ich Angst vor körperlicher Gewalt und als Kind habe ich TKKG-Kassetten gehört. Dort, wo ich aufgewachsen bin, hatte ich keinen einzigen Kontakt mit Sintizze und Romja, aber ich hatte Angst vor jenen. Ich war damit nicht allein, meinen Freunden ging es genauso. Uns prägten die negativen Erzählungen, die damals über jene Volksgruppe verbreitet waren, doch richtig konkret wurde es für mich via TKKG. Denn Hörspiele, gerade solche für Kinder, haben einen Impact auf die Welt. Wer hätte es gedacht?
KLÖSSCHEN „Mit Messern und Fäusten sind sie auf Tarzan losgegangen, habe ich doch schon gesagt.“
TARZAN „Ich hab Glück gehabt, sie haben mir ein Messer an den Hals gesetzt, aber Sie standen genau über einer Benzinlache – und die habe ich angezündet!“ (Gelächter)
[Aus „TKKG – Der Schatz in der Drachenhöhle“]
Die TKKG-Episode Nummer 19 „Der Schatz in der Drachenhöhle“, in der sich die vier Jugendlichen mit den einfältigen wie gewaltbereiten Sintizze und Romja herumschlagen, schrieb Stefan Wolf 1982. Damals war der Porajmos, das ist der Begriff für den Massenmord an den Sintizze und Romja, nicht viel länger her als heute der Mauerfall. Den Autoren hinderte das nicht daran, es in der Geschichte als gegeben zu formulieren, dass die Volksgruppe aus Kriminellen besteht.
ANGLER „Tag, Kinder“
TARZAN „Guten Tag, haben sie ein oder mehrere Z■■■■■■ gesehen, in einem weißen Mercedes vielleicht?“
ANGLER „Meinst du die Z■■■■■■ von der Zegheri-Sippe? Das Gesindel wurde gestern von der Polizei verhaftet. Einbrecher sind das, Räuber und Diebe. Gebt euch bloß nicht mit denen ab.“
TARZAN „Nein, nein, keine Sorge.“
[Aus „TKKG – Der Schatz in der Drachenhöhle“]
Lange im Programm
Das Label Europa beziehungsweise Sony verwalten seit Jahrzehnten dieses Erbe, machen es seit etlichen Jahren sehr erfolgreich auch via Streamingdiensten verfügbar. Der anhaltende Kult beruht hierbei maßgeblich auf den „alten“ Folgen, die noch vom 2007 verstorbenen Stefan Wolf stammten. In seinem Buch „100 Seiten – Die Drei Fragezeichen“ schreibt der Autor André Boße: „TKKG erreicht bei neuen Folgen im Durchschnitt gut 200.000 Spotify-Wiedergaben, Klassiker kommen dagegen auf bis zu 700.000 Zugriffe.“
Und „Der Schatz in der Drachenhöhle“ stellt in dieser florierenden Sammlung keine singuläre Entgleisung dar. Heute wird diese Episode und zwei andere (in „Der letzte Schuss“ #36 wird ein Obdachloser von der TKKG-Bande gequält) nicht mehr vertrieben. Sie wurden beanstandet von der Bundesprüfstelle. Noch erhältlich sind dagegen Folgen wie „Wer raubte das Millionenpferd“ #33 oder „Die Falschmünzer vom Mäuseweg“ #11, die berüchtigt dafür waren, dass hier das N-Wort fiel.
Vor diesen Folgen der ersten Jahrzehnte hat das Label seit neustem einen Disclaimer gepackt.
„Dieses Hörspiel wurde vor vielen Jahren entwickelt und aufgenommen. Es ist ein Produkt seiner Zeit. Daher kann es diskriminierende Darstellungen enthalten, die in der Gesellschaft zu wenig in Frage gestellt wurden. Jegliche Art von Diskriminierung ist – damals wie heute – falsch und passt nicht zu unserer heutigen Auffassung von einer vielfältigen und gleichberechtigten Gesellschaft. Wir haben uns dennoch entschlossen, das Hörspiel in seiner Originalfassung zu belassen und die kulturellen Versäumnisse der Vergangenheit nicht zu verbergen. Wir empfehlen, sich kritisch mit dem Thema Diskriminierung auseinanderzusetzen. Auf unserer Webseite haben wir dazu weiterführende und aufklärende Informationen zusammengestellt.“
[Disclaimer des TKKG-Retro-Archivs]
Austausch? Besser nicht
Von der passiven Art, mit der das Hörspielkult-Label Europa mit seinem auf diversen Ebenen kontroversen Erbe umgeht, haben sich Felix Scharlau und ich herausgefordert gefühlt: Wenn es von den Produzent*innen keine Aufarbeitung zum Thema Diskriminierung bei TKKG gibt, dann machen wir es eben selbst.
Für unseren Hörspiel-Podcast „Ausnahme der Rose“ haben wir uns jene Folge „Der Schatz in der Drachenhöhle“ vorgenommen, um das Thema umfassend abbilden zu können, baten wir die Firma Europa um ein Interview. Zuallererst sah es gut aus, es gab eine Zusage, doch von jener wurde sich dann wieder zurückgezogen.
Es herrscht offensichtlich kein Klärungsbedarf – was wir als langjährige Begleiter der eng mit Europa verknüpften Jugendhörspielkultur durchaus enttäuschend empfinden.
Noch mal schade ist darum, dass so kein Austausch entstehen konnte zwischen dem Hörspiel-Label und unserem anderen Interviewgast. David von der Gruppe Romaterial aus Berlin hat sich den „Schatz in der Drachenhöhle“ angehört oder besser angetan und mit uns dann darüber aus Betroffenenperspektive gesprochen. Im Podcast kann man Auszüge dieses Talks hören, hier an dieser Stelle soll David noch mal ausführlicher zu Wort kommen.
Die Gedankenwelt des TKKG-Autoren hat über Jahrzehnte deutsche Kinderzimmer geprägt, das ist Fakt, damit sollte man sich auseinandersetzen – auch wenn es unbequem sein mag.
Der Podcast und dieses begleitende Interview seien Beitrag dazu.
Gespräch mit David von dem Verein RomaTrial
Kannst Du dich kurz vorstellen, David?
DAVID Klar, ich bin David, bin 23 Jahre alt, ich wurde in Bukarest, in Rumänien geboren und kam mit 16 Jahren nach Berlin. Ich bin ein Rom, bin hier zur Schule gegangen, hab‘ die Zehnte wiederholt und dann meinen Schulabschluss gemacht. Danach kam eine Ausbildung zum Erzieher, aktuell studiere ich.
Du gehörst der Gruppe RomaTrial an, was kann man sich darunter vorstellen?
DAVID Das ist ein gemeinnütziger Verein, hier arbeiten ungefähr 20 Personen in Voll- oder Teilzeit, aber wir haben auch viele junge Leute, die sich ehrenamtlich einbringen. Es geht es uns darum, die Situation der Sintizze und Romja sichtbar zu machen. Wir wollen aufmerksam machen, dass wir immer noch unter Rassismus zu leiden haben – und wollen dazu beitragen, dass sich das ändert. Aktiv sind wir nicht nur in Berlin sondern auch in anderen Bundesländern, unser Schwerpunkt liegt dabei auf Bildungsarbeit. Es gibt verschiedene Programme, die wir anbieten, eines davon heißt „Wir sind hier“. „Wir sind hier“, da bilden wir Leute aus, damit sie die Möglichkeit haben, selbst in Schulen zu gehen, selbst Workshops zu geben, um überall Menschen zu erreichen und ihnen zu zeigen, was es mit Antiziganismus auch heute noch auf sich hat – und wer überhaupt erstmal Sintizze und Romja sind.
Du kanntest TKKG und dieses Hörspiel vorher nicht?
DAVID Nein, aber ich höre gerne Hörspiele, vornehmlich auf rumänisch allerdings. Für mich ist das Medium so interessant, weil es dich dazu bringt, dir etwas im Kopf vorzustellen. „Der Schatz in der Drachenhöhle“ hat mir erstmal gut gefallen. Aber im Verlauf häuften sich die Kritikpunkte, die haben bei mir dann sehr viel Negatives ausgelöst. Ich meine, da werden Dinge gesagt wie „die kommen mit Messer, die zeigen uns Faust“. Die Sintizze und Romja werden hier finster und grausam dargestellt – wie Bestien.
Im Hörspiel wird konsequent das Z-Wort benutzt. Wie stehst du dazu?
DAVID Das Z-Wort befindet sich gar nicht in unserem Vokabular. Es gibt eine Theorie, dass es aus dem Griechischen stammt und man es mit „Die Unantastbaren“ übersetzt. Das ist nicht freundlich gemeint, sondern bezieht sich darauf, dass jemand dreckig ist, die ganze Zeit draußen lebt und so. Also ich rede hier von einer Zeit von vor tausend Jahren oder so. Wenn mir dieses Wort heute begegnet, kann ich mich damit nullkommanull in Verbindung bringen, das hat nichts mit unserem Leben zu tun, es ist einfach eine Beleidigung, oder sehe ich wirklich „unantastbar“ aus? Sehe ich aus, als würde ich aus dem Dreck kommen? Im Hörspiel wird dieses Wort allerdings sehr oft verwendet. Ich erlebe das auch auf einer emotionalen Ebene, weil es verletzend ist, wenn Du hörst, wie über die eigene Community gesprochen wird. Und wenn das Wort in einer weit verbreiteten Hörspielreihe so oft gesagt wird, dann setzt es sich natürlich in den Köpfen von jungen Menschen fest, die sich das anhörten. Das prägt und sie verbinden mit Sintizze und Romja Dinge wie, dass diese Diebe und ähnliches sind.
Wie hast du die Darstellung der Sintizze und Romja im Hörspiel sonst wahrgenommen?
DAVID Problematisch natürlich. Wer solche Vorurteile, wie sie hier Grundlage sind, bereits als Kind aufnimmt, gibt sie vermutlich weiter an nächste Generationen. Für mich hat das konkrete Nachteile. Wenn Leute von meiner Herkunft erfahren, kann es sein, dass sie sofort nichts mit mir zu tun haben wollen. Oder sie fragen mich, wie ist es bei euch, bringt ihr euch gegenseitig um, warum beklaut ihr alle? Das verletzt mich, denn ich bin solchen Kommentaren ausgesetzt – dass sie nicht zutreffend sind, ändert an ihrer Existenz leider nichts.
Das Thema der Sprachsensibilität hat in den letzten Jahren an Präsenz gewonnen, siehst du auch eine positive Entwicklung?
DAVID Also in den letzten Jahren habe ich auch positive Entwicklungen gesehen, aber auf jeden Fall nicht genügend. Ich kann hier nur aus meinen Erfahrungen sprechen, zum Beispiel war ich unlängst auf einem großen Theatertreffen der Jugend, dort wurde ich sechs Mal mit dem Z-Wort beleidigt. Man darf sich das nicht so vorstellen, dass uns das einmal im Jahr passiert. Sicher gibt es viele gute Ansätze, aber ich schaue vor allem auf Taten – und da ist noch nicht soviel erreicht.
Mittlerweile sind zumindest diese und zwei andere Folgen nicht mehr offiziell erhältlich, aber was würdest du dir denn noch wünschen? Zurücknehmen kann das Label ja nicht mehr, was Jahrzehnte damit befeuert wurde.
DAVID Ich fände es schön, wenn man eine neue Folge zu dem Thema machen könnte, um das alles in einem anderen Licht zu zeigen – ohne diese Stereotypisierung. Man könnte das Medium doch auch nutzen, um zu informieren. Denn ganz wichtig ist, wenn man über Sintizze und Romja spricht, dann spricht man über eine sehr große und diverse Community. Wir können uns gegenseitig verstehen, haben dieselben Vorfahren, aber das heißt nicht, dass wir alle gleich sind. Gianni Joanovic, den einige sicher von Enissa Amani und „Die beste Instanz“ kennen, hat seine Wurzeln in einem ganz anderen Land als ich, wir sind beide Rom, haben Gemeinsamkeiten, aber es gibt natürlich ganz grundlegende Unterschiede. Es wäre doch schön, wenn ein neues TKKG-Hörspiel sich dem so interessiert nähern wollte.
Text und Interview: Linus Volkmann
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Mehr zu RomaTrial e.V. findet sich unter www.romatrial.org
Link zur Podcastepisode: “Ausnahme der Rose #31: TKKG – Der Schatz in der Drachenhöhle (oder das Z-Wort in den Hörspielwelten)”
Danke an Irene Eidinger