Miriam Adefris “Die Harfe war schon immer sehr mit Klischees behaftet und als „Kitschinstrument“ abgestempelt, auf dem nur kleine Engelchen mit blauen Augen und blonden Haaren spielen”
MIRIAM ADEFRIS IST EINE MUSIKALISCHE GRENZGÄNGERIN. IHRE REISE BEGANN IN FRÜHEN JAHREN IN PERCHTOLDSDORF, EINEM VORORT WIENS, FÜHRTE SIE DURCH DIE TRADITIONELLEN UND ETWAS ANGESTAUBTEN MUSIKINSTITUTIONEN DER HAUPTSTADT UND SCHLIESSLICH IN DIE PULSIERENDE MUSIKSZENE LONDONS.
In der britischen Metropole fand Miriam Adefris nicht nur ihren Platz, sondern auch zahlreiche musikalische Weggefährt:innen. Ein wichtiger Moment für sie war die erste Zusammenarbeit mit Sam Shepherd aka. Floating Points, die zu gemeinsamen Aufnahmen und Live-Auftritten führte. Und so war Miriams letztes Jahr auch vollgepackt mit Highlights. Von einer Tournee mit Shabaka Hutchings mit ausverkauftem Konzert in der Londoner Barbican, einer Show beim Primavera Festival in Barcelona, über eine Impro-Session mit Valentina Magaletti im Londoner Cafe Oto bis zu einem Auftritt bei der Geburtstagsfeier von FKA Twigs – jedes Event war ein Beweis dafür, dass sie auf dem richtigen Weg ist.
Im Interview mit Bernhard Staudinger (originär entstanden für Struma + Iodine) erzählt Miriam Adefris über ihren Background als Harfinistin, ihre Einflüsse und Role Models, aktuelle Projekte und ihr Leben als junge Künstlerin in der Musikmetropole London. Fotos: Olivia Brissett.
Miriam, Harfe, das klingt jetzt zumindest ganz spontan etwas exotisch. Also zumindest mehr als andere Instrumente, wie Gitarre oder Schlagzeug. Wie bist du zu deinem Instrument gekommen?
Ich hatte ich das große Glück, dass es an meiner Musikschule in der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, in Perchtoldsdorf, eine Harfenlehrerin gab. Das ist etwas, was man eigentlich nicht in so vielen Musikschulen findet. Und irgendwie bin ich mit meiner Mutter zu einem Tag der offenen Tür gegangen und habe die Harfenlehrerin so schön an ihrer Harfe sitzen sehen. Da habe ich mich einfach sofort in sie und in die Harfe verliebt. Ich war sieben Jahre alt, als ich anfing, dieses Instrument zu spielen. Das war noch auf einer kleinen Harfe. Nicht auf einer Kinderharfe, sondern auf einer Art „Volksharfe“. Meine war eine „Böhmische Hakenharfe“ und die ist relativ klein und eignet sich gut für Kinderhände, weil die Saitenspannung recht niedrig ist und die Saiten enger beieinander liegen. Eine richtige Konzertharfe hat schon einen Zug von ein bis zwei Tonnen auf den Saiten! Das bedeutet, dass man wirklich Kraft braucht, um sie zu spielen. Also eigentlich ist das natürlich Technik im Idealfall.
Es gibt da eigentlich ganz viel. Einerseits einfache klassische Stücke, auch so Beginnerstücke. Und es gibt auch ein paar neuere Harfenstücke von Harfenist:innen, die auch Musik schreiben. Und dann gibt es natürlich aus vielen Ecken der Welt Volksmusik, die entweder einfach gut auf der Harfe klingt, oder tatsächlich auch für Harfe geschrieben worden ist. Es gibt zum Beispiel in Südamerika ganz viel Harfenmusik! Aber natürlich auch in der österreichischen Volksmusik. Es gibt aber auch sehr viel walisische oder irische Harfenmusik. Das habe ich alles viel gespielt als Kind.
Bist du dann auch über das Spielen selbst in die Musik hineingewachsen? Oder hast du dir vielleicht auch mal gesagt, „Okay, das interessiert mich jetzt mehr, als vielleicht etwas anderes?
Das hat bei mir eigentlich sehr, sehr lange gedauert, bis ich wirklich in die Musik hineingewachsen bin. Ich habe dazwischen überhaupt mal aufgehört zu spielen, weil ich Harfe zu dem Zeitpunkt extrem uncool fand. Da war ich 12. Man muss eigentlich schon auch sagen, dass die Harfe gerade in den letzten zehn Jahren ein totales Revival erlebt hat und sie zu spielen zum ersten Mal zu so einer Art „Trend“ geworden ist. Das hat es so vorher, glaube ich, nie wirklich gegeben. Die Harfe war schon immer sehr mit Klischees behaftet und als „Kitschinstrument“ abgestempelt, auf dem nur kleine Engelchen mit blauen Augen und blonden Haaren spielen. Dementsprechend habe ich mich dann auch mit 12 nicht wirklich damit identifizieren können. Auch weil alle in meinem Alter begonnen haben, in einer Band zu spielen, E-Gitarre oder Schlagzeug zu lernen. Ich habe dann für eine Zeit mit der Harfe aufgehört und nur Klavier gespielt. Erst ein paar Jahre später habe ich wieder so richtig begonnen. Dann habe ich aber wirklich Vollgas gegeben und nur geübt und geübt. Ich war richtig obsessiv, alles war Harfe, Harfe, Harfe [lacht]. Ich habe dann schließlich Harfe studiert und meinen Bachelor an der MUK Privatuniversität in Wien gemacht. Danach kam dann mein zweiter Break. Ich habe wieder aufgehört zu spielen, weil ich überhaupt keinen Bock hatte auf die klassische Musikszene in Wien. Es war eigentlich wirklich weniger die Musik, als diese Szene, in der ich mich überhaupt nicht wohl gefühlt habe. Ich habe aber auch schon gemerkt, dass ich musikalisch etwas anderes machen will und dass das irgendwie keinen Platz hat. Die klassische Musikszene in Wien ist sehr eng, konservativ und naja, nicht besonders divers. Ich habe für drei Jahre aufgehört zu spielen und begonnen in einem full-time Job zu arbeiten.
Hast du zu dieser Zeit neben deinen Auftritten in der klassischen Musik schon andere musikalische Bereiche betreten?
Ich habe damals ein Musikensemble bzw. Improvisationsensemble mit zwei ganz tollen Musikerinnen gegründet. Wir haben selbst Stücke erarbeitet, teilweise auch mit Tänzer:innen. Das war cool, aber es hat mir dann irgendwie auch nicht gereicht. Ich bin einfach auch ein bisschen weggekommen, dass alles atonal sein und so extrem „Darmstädter Schule“ mäßig klingen muss. Obwohl ich mich da inzwischen schon wieder ein bisschen mehr annähern könnte. Ich hätte wieder mehr Lust, so etwas zu machen und es würde mich auch wieder mehr interessieren, mit Komponist:innen und klassischen Musiker:innen zusammenzuarbeiten. Grundsätzlich habe ich jetzt aber auf jeden Fall schon viel mehr mein eigenes Ding gefunden. Und das ist vielleicht so ein bisschen ein Mittelweg, also schon sehr popkulturell geprägt, hat aber auch viele andere Einflüsse.
Du hast vorhin gemeint, dass es in den letzten Jahren so etwas wie ein neues Interesse in Sachen Harfe gibt. Könntest du ein paar Beispiele nennen?
Ich denke es hat mit Leuten wie Florence & The Machine begonnen, die irgendwann mal bei ihren Konzerten einfach eine Harfe dabei hatten. Oder mir fällt gerade die Jazz-Harfenistin Brandee Younger ein, die ganz tolle Sachen macht. Sie ist die erste Harfenistin seit Dorothy Ashby und Alice Coltrane, die heute auch wirklich gehört wird und im Mainstream angekommen ist. Ich habe das Gefühl, dass es auch immer mehr Harfen-Samples in Songs gibt. Also J Dilla hat zum Beispiel irgendwann begonnen, Dorothy Ashby Samples in seinen Beats zu verwenden. Und ich glaube, das hat unbewusst langsam zu einem Umdenken oder zu einem Neu-strukturieren dieser ganzen festgefahrenen Klischees geführt. Man sieht Harfe jetzt nicht mehr nur als klassisches, kitschiges Instrument der weißen, westlichen Musikkultur. Und auch Dorothy Ashby und Alice Coltrane sind in den letzten Jahren von einer neuen Generation wiederentdeckt worden. Das merkt man in Österreich noch eher weniger, aber in England und den USA gehört es mittlerweile quasi zum guten Ton, dass man Alice Coltrane hört.
Du hast nach deinem Studium die Harfe wieder für eine Zeit an den Nagel gehängt, wie bist du wieder zu ihr gekommen? Und wie hat es dich eigentlich nach London verschlagen?
Während des ersten Lockdowns war ich im Homeoffice und hatte das erste Mal Zeit , wieder wirklich Harfe zu spielen. Ich hatte plötzlich diesen moment of epiphany, wo ich mir dachte, „was mache ich da eigentlich mit meinem Leben?“. Für mich war dann ziemlich schnell klar, dass ich meinen Job kündigen und weggehen muss und mal das tun, worauf ich wirklich Bock habe. Ich wollte auch einfach mal aus Wien rauskommen. London war dann aus verschiedenen Gründen die naheliegendste Option für mich. Ich habe also meine gesamten Ersparnisse geplündert und mir damit meinen Master finanziert. Das war 2021 und vom Timing her wahrscheinlich nicht gerade ideal. Einerseits wegen Covid und den ganzen Lockdowns, andererseits weil da gerade der Brexit in Kraft getreten ist, wodurch alles viel komplizierter und auch teurer geworden ist. Ich habe eine ganze Menge Geld ausgegeben, aber es war die richtige Entscheidung und hat sich definitiv gelohnt.
Und wie ist es in London ?
London ist super. Ich liebe London. Ich kenne viele Leute, die sagen, dass ihnen London zu hektisch und irgendwie zu arg ist und dass zu viel los ist. Als ich hergezogen bin, musste ich mich schon auch ein wenig daran gewöhnen. Also wenn man so plötzlich aus diesem gemütlichen Wien ankommt, kann man schon mal das Gefühl haben, dass da eine riesige Welle auf eine:n zukommt. Aber man wird von dieser Welle entweder überrollt, oder man lernt, mit ihr zu schwimmen. Diese ganze existenzielle Angst, die man so konstant im Hinterkopf hat, das ist auch etwas, was ich so von Wien nicht gekannt habe. Und nachdem ich mein ganzes Geld für den Master ausgegeben habe, hatte ich eine Zeit auch einfach kein Einkommen. Das kann schon sehr schwierig sein. Aber irgendwie hatte ich auch das Gefühl, dass das eine extreme driving force sein kann, so traurig das vielleicht klingt. Aber es gibt da so ein Gefühl, wo man weiß, dass man jetzt einfach etwas machen muss –entweder jetzt, oder nie. Du kannst dir nicht einfach fünf Jahre Zeit nehmen, um etwas auszuprobieren, weil du weißt, dass du in einem Jahr keine Kohle mehr haben wirst und dann zurück müsstest. Diese Niederlage will man sich ersparen. Du gibst also alles, was du kannst. alles, was man kann.
Und noch dazu ist London einfach eine unglaubliche Musikstadt. Es ist für mich immer noch faszinierend, wie viel in London passiert. Das ist jetzt natürlich subjektiv, aber zumindest was meinen Freundeskreis betrifft, fühlt sich Wien wie die totale Kunststadt an. Alle meine Freund:innen studieren irgendwie bildende Kunst oder so. Es gibt natürlich auch in Wien eine Musikszene, aber verglichen mit den Schwerpunkten in der subkulturellen Szene dreht sich einfach sehr viel mehr um die bildende Kunst.
In London ist einfach so viel auf Musik fokussiert. Es gibt zwar null Geld dafür und auch so viele Leute, dass es schon wieder ein Überangebot an unglaublichen Musiker:innen gibt, die für kein Geld spielen. Aber es will einfach jede:r, es macht jede:r und es muss jede:r machen, weil ansonsten hast du ja keine Chance. Und es ist auch normal, dass man am Anfang ein, zwei, drei Nebenjobs hat. Anders geht’s halt kaum.
Du hast inzwischen ja auch schon einige sehr gute Connections in London knüpfen können. Wie hat sich das alles so ergeben?
So ganz genau weiß ich das auch nicht [lacht]. Aber es war natürlich auch viel Glück dabei. Eines der einschneidendsten Erlebnisse war, dass ich – mehr oder weniger durch einen Zufall – den Producer und DJ Floating Points kennengelernt habe. Er meinte dann, dass er schon immer mal etwas mit Harfe ausprobieren wollte und voll Bock hätte, mal zusammen zu jammen. Und dann haben wir das einfach gemacht und sind schlussendlich drei Tage in seinem Studio am Musizieren gewesen. Wir haben seitdem immer wieder gemeinsam Sachen gemacht, live gespielt, aber auch aufgenommen. Wir hatten zum Beispiel ein tolles Konzert gemeinsam mit der Produzentin Marta Salogni und der Schlagzeugerin Valentina Magaletti. Valentina hat mich nach dem Konzert eingeladen, bei ihrer Residency im Cafe Oto ein improvisiertes Set zu spielen, was auch mega cool war. Sie ist eine tolle Musikerin und Person! Über Sam (Floating Points) habe ich auch Shabaka Hutchings kennengelernt. Er war gerade im Studio und Sam hat mich angerufen, ob ich nicht vorbeikommen mag. Und da sagt man natürlich nicht nein… Es hat sich dann auch eines aus dem anderen ergeben.
Was waren so die Highlights der letzten 12 Monate für dich?
Die Tournee mit Shabaka dieses Jahr war ein tolles Erlebnis. Das ausverkaufte Konzert in London in der Barbican diesen Mai war großartig! Aber auch Primavera in Barcelona. Es ist ein tolles Gefühl auf so wirklich internationalen Festivals die eigene Musik zu spielen! Ein super Gig war für mich auch der Opener für Kali Malone in Berlin vor ein paar Monaten. Ich liebe die Musik von Kali Malone und es war wirklich eine sehr schöne Erfahrung, da zu spielen. Was mich am meisten freut, ist, dass es sich mit meiner Musik so gut ausgeht, dass einerseits die totalen Musik-Nerds, die eher aus der Jazz-Szene kommen, mögen, was ich mache, aber auch Leute aus der experimentellen Ecke. Das freut mich, weil ich mich auch nicht festlegen möchte. Ich liebe beides. . Ein wirkliches Highlight war für mich auch, auf der Geburtstagsfeier von FKA Twigs zu spielen. Das war schon auch eine ziemliche Erfahrung. Ich habe auch ein bisschen etwas für Fashion Events gemacht, letztes Jahr z.B. für Louis Vuitton oder für ein Influencer Event von Ugg Boots in Island. Bis jetzt habe ich aber noch keine Musik für eine Runway Show komponiert.
Du hast vorhin schon erwähnt, dass es sehr viele Folkmusik Traditionen gibt, bei denen die Harfe eine wichtige Rolle spielt. Ich habe so ein bisschen nachgeforscht und es gibt auch in Äthiopien eine ganz eigene Tradition dazu. Es gibt da zum Beispiel die Krar, die auch ein eher kleineres Instrument als ein große Konzertharfe ist. Du hast familiäre Roots in Äthiopien, hast du dich da vielleicht ein wenig in diese Instrumente reingenerdet, was es da so gibt?
[Lacht und verschwindet kurz von der Kamera, um gleich darauf mit einer Krar zurückzukommen.]
Ich habe schon ziemlich früh damit begonnen, äthiopische Scales in meinen Sets zu verwenden. Das wird man jetzt vielleicht nicht so wirklich raushören, wenn man das nicht weiß. Das sind bestimmte SkalenHarmoniken, die aus dem Kontext genommen und teilweise elektronisch effektiert werden und dadurch nicht so offensichtlich herausstechen. Aber das ist definitiv etwas, womit ich mich beschäftige und das mich interessiert. Und ich habe mir vor einem halben Jahr eben so eine Krar zugelegt. Ich habe die letzten zwei Monate leider nur wenig darauf gespielt, weil ich jetzt einfach zu viel unterwegs gewesen bin, aber ich werde das auf jeden Fall noch mehr integrieren. Auch in zukünftigen Aufnahmen. Ich habe da schon voll Bock drauf! Wahrscheinlich spiele ich auf eine relativ unorthodoxe Art und Weise, weil die Krar wird eigentlich hauptsächlich wie eine Gitarre gestrummed. Aber es ist einfach ein mega schöner Sound! Ich arbeite gerade an meinem Soloalbum und da wird bestimmt irgendetwas dabei sein!
Bis jetzt gibt es ja leider noch kein Release von dir?
Leider nicht. In meiner Bio steht immer, dass das Album bis Ende des Jahres veröffentlicht wird, dann kommt es natürlich jedes Mal irgendwie anders und ich kann dann immer das Jahr austauschen [lacht].
Aber jetzt ist es glaube ich wirklich bald so weit. Ich spiele schon seit über einem Jahr mein Solo-Programm und das Problem ist jetzt eigentlich mehr, wie ich das in einzelne Songs destilliere. Vieles ist natürlich improvisiert und ich habe jetzt auch keine Lust, das dann einfach in so einer Art „Rohzustand“ zu veröffentlichen. Mich interessiert viel mehr, wie ich meine Musik in aussagekräftige drei bis fünf Minuten- Nummern bringe. Aber es ist gerade alles noch im Prozess. Es wird auf dem Album aber mit ziemlicher Sicherheit sehr viel Harfe geben und dazu etwas Post-Produktion. Also wirklich ein Solo Album, bei dem auch gar nicht viele Features, mit wem auch immer, drauf sind. Ich denke, das kann man später immer noch machen!
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