Gob Squad „Eine Art performte Gruppentherapie“

Gob Squad „Are You With Us?“
Seit über dreißig Jahren experimentiert das Kollektiv Gob Squad an Formen von Theater, Performance und Medienkunst, die losgelöst sind vom dramatischen Konsens. Angefangen hat alles, wie die besten Geschichten anfangen, irgendwo zwischen einem Besuch auf dem Glastonbury Festival und einem Student:innenaustausch.
Heute besteht der Kern des Kollektivs aus Johanna Freiburg, Sean Patten, Sharon Smith, Berit Stumpf, Sarah Thom, Bastian Trost und Simon Will; weitere Performer:innen, Sounddesigner und andere Personen stoßen je nach Projekt dazu. Als „bisexuelles, binationales und bilinguales (englisch/deutsch) Künstler:innenkollektiv“ werden sie auf der Webseite des HAU Hebbel am Ufer in Berlin beschrieben, wo sie diesen Monat die Stücke „Gob Squad’s Kitchen (You’ve Never Had It So Good)“ und „Are You With Us?“ zurück auf die Bühne bringen. Im neuen Jahr steht dann eine ganz neue Performance an, die ihre Premiere in der Berliner Volksbühne haben wird. Zeit für eine Bestandsaufnahme über das Alte, das Neue, Nähe und Distanz und Kunst und Sozialleben als Langzeitstudie.

Gob Squad „Are You With Us?“
Ihr seid mit „Kitchen“ um die Welt getourt. Wie fühlt es sich an, zu, naja, altem Material zurückzugehen, das ihr schon so oft auf die Bühne gebracht habt?
Sarah Thom: Es fühlt sich für mich nicht wie altes Material an. Es ist ein Stück, das wir im Repertoire haben, ja. Aber es ist für mich viel schockierender, wenn ein Stück endet und wir es komplett einmotten. Denn solange sich etwas noch relevant anfühlt, ist es schön, zu ihm zurückzukehren. Und weil all unsere Arbeit sehr stark improvisiert ist, fühlt es sich niemals beendet an.
Sean Patten: Es ist nie komplett fertig. Da ist immer noch Platz für alles, was an dem Tag passiert – persönlich, global, kulturell, international.
Simon Will: Das Stück, das wir schon am längsten aufführen, ist „Super Night Shot“, und das performen wir seit 22 Jahren. Und es verändert seine Bedeutung. Dadurch, dass alle unsere Arbeiten improvisierte Strukturen haben und wir sie jedes Mal neu mit dem befüllen, was die Stimmung und der Moment bringen, bilden sie immer wieder einen anderen Resonanzraum. 2003 zu seiner Premiere, vor Selfiesticks und YouTube, bezog es sich auf Fernsehen und auf Musikvideos. Und jetzt denkt man sofort an Influencer:innen.
Sean Patten: Und so ist es auch mit „Kitchen“. Ich glaube, es wird nur relevanter – man denke nur an Warhols These von den „15 Minutes of Fame“.
An dieser Stelle möchte ich die Handlung – oder besser: den Rahmen – von „Kitchen“ kurz erklären: In der Performance, die 2007 ihre Premiere feierte, reisen alle gemeinsam zurück in die 1960er Jahre und versuchen, Warhols Experimentalfilm „Kitchen“ nachzuspielen. Das Problem dabei: Niemand hat den Film gesehen, das Publikum eilt also zu Hilfe. Es geht um Feminismus, Fame und die Frage nach Echtheit.
Sean Patten: Alle performen die ganze Zeit im Objektiv einer kleinen Kamera in der jeweiligen Tasche. Eigentlich wird „Kitchen“ so nur relevanter. Wir schauen uns diese sich selbst performende Kultur an, mit Präsidenten, die Filme zitieren, und Filmen, die Präsidenten zitieren – und alle machen Memes. Also gehen wir zurück und überlegen uns: Wann hat das alles angefangen? Woher kommt das? Wir schauen uns New York Mitte der 1960er Jahre an, als Andy Warhol sich eine 16mm-Filmkamera kaufte, einfach alles filmte und seine Freund:innen in Superstars verwandelte. Wir gehen also zurück zu diesem Zeitpunkt, an dem die ganzen Entwicklungen heute vielleicht angefangen haben, lange vor der Geburt von uns allen.
Simon Will: Und es geht uns um die Idee der Authentizität. Wir versuchen innerhalb der Performance authentisch zu sein, innerhalb dieser … Sache, die wir erfunden haben. Und irgendwann übergeben wir an das Publikum.
Sarah Thom: Das auch in seinem „performative self“ steckt. Wann performen wir denn eigentlich nicht? Was ist schon authentisch? Es ist spannend, das so direkt zu sehen. Wir werden als die Performer:innen gesehen, dann kommt das Publikum, das als „authentischer“ gesehen wird – aber auch sie stecken in ihrem „performative self“. Und so wird alles zu einem ewigen Loop.
Du siehst: Wir haben also immer noch eine Menge Spaß damit.

„Gob Squad’s Kitchen (You’ve Never Had It So Good)“; Prater der Volksbuehne. UA: 30. Maerz 2007. Mit: Sean Patten, Berit Stumpf, Simon Will und Sarah Thom u.a.. Regie/Konzept: Gob Squad. Video: Miles Chalcraft. Buehne: Chasper Bertschinger + Bert Neumann. No model release. Copyright: david baltzer/bildbuehne.de .
Ist also eure Arbeit eine Art Langzeitstudie?
Sean Patten: Auf jeden Fall.
Sarah Thom: Das ist ein spannender Gedanke. Gob Squad gibt es jetzt seit über dreißig Jahren. So lange als Kollektiv zusammenzuarbeiten, das ist für uns alle die größte Langzeitstudie, die wir bislang durchgeführt haben.
Sean Patten: Und das bringt uns zu „Are You With Us?“, dem zweiten Projekt, das wir im HAU auf die Bühne bringen – die ultimative Langzeitstudie, weil wir wachsen und altern. Der Kern dieses Stücks befasst sich mit der Beziehung des Individuums zur Gruppe. In unserem Beispiel ist es das Kollektiv Gob Squad.
Aber wir sind alle Teil von Gruppen: Familien, Teams, Wohngemeinschaften, Menschen, mit denen wir uns politisch auf einer Linie verorten. Was ist unsere Beziehung zu ihnen? Wie passen wir wo hinein und wo distanzieren wir uns? Und es passt ja auch zum kommenden neuen Jahr – das macht man doch am Ende des Jahres: Man schaut zurück, man fragt sich, was sich verändert hat, wer man ist, wo man gerade steht, ob man noch gemeinsam vorangehen kann. Wir erneuern unser Versprechen, als Kollektiv zusammenzuarbeiten; all das gehört zum Stück. Und weil wir da wirklich wir selbst sind – wir spielen keine Rollen –, überraschen wir einander, fragen einander Dinge, die wir wirklich wissen wollen. Es ist eine Art performte Gruppentherapie … mit einer Menge Schmutz und ungeschliffenen Ecken und Kanten.

„Gob Squad’s Kitchen (You’ve Never Had It So Good)“; Prater der Volksbuehne. UA: 30. Maerz 2007. Mit: Sean Patten, Berit Stumpf, Simon Will und Sarah Thom u.a.. Regie/Konzept: Gob Squad. Video: Miles Chalcraft. Buehne: Chasper Bertschinger + Bert Neumann. No model release. Copyright: david baltzer/bildbuehne.de .
Der Begriff „Kollektiv“ ist so aufgeladen – und wird allenthalben für alles Mögliche benutzt. Sehr oft zerfallen Kollektive eher früher als später zu Staub. Was bedeutet es für euch, ein Kollektiv zu sein?
Sarah Thom: Damals, als wir uns gründeten, bedeutete der Begriff „Kollektiv“ vielleicht noch etwas anderes. Wir kamen aus einer Landschaft voller Kollektive; manche von uns lebten in Housing Co-Ops, arbeiteten oder kauften in Lebensmittelkollektiven ein oder besorgten sich Bücher von Buchkollektiven. Es hat sich damals nicht radikal angefühlt, es wirkte wie ein einfacher Weg, weil es eben nichts Ungewöhnliches war. Wir haben das Konzept nicht erfunden! Aber in unserer kollektiven Arbeit geht es darum, uns mit Macht auseinanderzusetzen. Wie verhandelt man Macht? Wie verhandelt man Machtstrukturen? All das verändert sich fortwährend.
Wenn ich an unser Kollektiv in seinem Neugeborenenstatus denke und an uns jetzt, gab es eine Menge Dinge, die wir zusammen erlebt und durchlebt haben. Es fällt mir schwer zu definieren, was das Kollektiv ist, weil es sich ständig bewegt und verändert. Als wir anfingen, als „emerging artists“ in England, da gab es nicht viel Geld oder Förderung. Und jetzt fühlt es sich an, als ob wir zum Establishment gehören, als ob wir eine gewisse Macht hätten. Diese Dinge verändern sich, deswegen muss man sehr selbstkritisch damit umgehen, wer man ist, wo man steht und wo dieses Kollektiv sich befindet – so im Großen und Ganzen.
Sean Patten: Für mich bedeutet Teil eines Kollektivs zu sein, an den Gedanken zu glauben und mich auch dazu festzulegen, dass ich als Mensch und als Künstler mit diesen Menschen zusammen besser dran bin als alleine. Das ist für mich gar keine Frage, es ist selbstverständlich.
Simon Will: Aber trotzdem glaube ich, dass es etwas Radikales ist – denn wie du schon gesagt hast: Alle wollen in einem Kollektiv sein, aber sie fallen oft auseinander. Was vielleicht mit den Vorstellungen der Leute zu tun hat, was ein Kollektiv sein soll. Denn es bedeutet nicht, dass alle alles tun. Für mich ist es immer noch radikal, sich als Kollektiv zu organisieren, weil wir uns immer noch in der Welt des „außergewöhnlichen Individuums“ befinden – dieser Vorstellung von Größe, von einzigartigen Genies. Obwohl sich in den letzten dreißig Jahren so viel verändert hat und Kollektive immer üblicher wurden, auch in Deutschland. Aber vor zwanzig, dreißig Jahren haben uns Pressevertreter:innen noch gefragt, wer denn jetzt der Regisseur ist.
Sean Patten: „Wo ist Mr. Squad?“
Aber Macht sorgt ja auch für eine gewisse Effizienz – man muss Dinge nicht mehr ausdiskutieren. Wie kommt ihr stattdessen zu Entscheidungen?
Sarah Thom: Wir sind unglaublich ineffizient. Entscheidungen dauern ewig, Menschen sind frustriert mit uns. Wenn Leute nicht daran gewöhnt sind, mit uns zusammenzuarbeiten, können sie es nicht glauben, wie lang es bei uns dauert, eine Entscheidung zu treffen, wenn noch nicht alle bereit sind. Das braucht alles Zeit – wenn man wirklich versucht, Entscheidungen gemeinsam zu treffen und offen zu diskutieren, dann braucht alles seine Zeit.
Simon Will: Und es funktioniert auch nicht immer. Manchmal scheitern wir auch daran. Immerhin haben wir das Glück, in einem Bereich zu arbeiten, in dem Scheitern als Teil der Praxis begriffen wird.
Gob Squad kann man im Dezember zweimal am HAU Hebbel am Ufer in Berlin erleben:
– „Gob Squad’s Kitchen (You’ve Never Had It So Good)“, Do, 18.12.2025, 20 Uhr, HAU
– „Are You With Us?“, 20.12.2025, 17 Uhr, HAU 2
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Gob Squad’s Kitchen
„Are You With Us?“









