“Ich habe auch nicht mehr gewichst als daheim”
Eins der zauberhaftesten literarischen Experimente der kontemporären Subkultur stellt das Buch “Ein Tag Hagel und immer was zu essen” (Ventil Verlag) dar. Darin dokumentieren die beiden Autoren Ferdinand Führer und Roland van Oystern ihren gemeinsamen dreimonatigen Trip in ein Haus in Rumänien.
Die Grundidee: Jeder schreibt währenddessen über den jeweils anderen Tagebuch. Herausgekommen ist ein Lob an die Ereignislosigkeit und eine wunderschöne Bromance zwischen den zwei kokett unpraktischen Vollheteros. Ausgespart wurde indes das Serienkiller-Potenzial des Stoffs, ihr Zurückgeworfen-Sein auf eine Unterkunft im Winter wirkt zumindest nicht wie in Kubricks “Shining”. Letztlich bleibt ein verschmitzt verspacktes Werk, das eigentlich zu Unrecht am Massengeschmack vorbeigewunken werden wird. Denn es ist schönes Lesen mit beiläufigen Erkenntnissen über die nerdy Protagonisten und (nicht nur) ihre Welt.
Die Prämisse eurer gemeinsamen Projekte schien stets von dem „authentischen“ Moment enthoben bzw. versuchte jenen zu unterhöhlen. Das Phantasma ersetzt in euren fiktionalen Punkpromi-Storys des Magazins “Homestory” das Reale. Wie passt da die Idee hinein, diese Reise möglichst unverstellt wiedergeben zu wollen?
FERDINAND & ROLAND: Die Realität ist normalerweise nicht so der Bringer, in diesem Fall musste sie aber bemüht werden, weil Verzerrung das ganze Unterfangen entschärft und beliebig gemacht hätte. Da hätten wir uns dann genauso gut zu Hause irgendwas ausdenken können.
Aber aufgrund eurer Vorgeschichte: Zweifeln nicht auch Leute daran, ob ihr wirklich vor Ort in Rumänien wart?
FERDINAND & ROLAND Dergleichen Zweifel wurden ab und an geäußert. Vielleicht zu Recht, denn was gibt es Subjektiveres als der Realität?
Das Schöne ist vor allem auch, dass so etwas Ereignisarmes gewählt wurde als Kulisse. Entgegen der üblichen Annahme, dass erst spektakuläre Trips auch Spektakuläres Erleben möglich machen. Dabei merkt man in eurem Buch, dass mitunter erst die Abwesenheit von Abenteuer Interessantes sichtbar macht. War das aber überhaupt eure Grundidee – oder doch nur Las Vegas und Südamerika zu teuer?
FERDINAND & ROLAND Ja, das war die Grundidee, aber dass es Rumänien im Winter geworden ist, war schon mit den monetären Verhältnissen verknüpft. Rumänien im Sommer wäre bereits zu teuer gewesen. Kurzzeitig stand der Geräteschuppen von Ferdinands Mutter zur Debatte, das war dann aber doch nicht abgelegen genug und außerdem hätten wir dann bestimmt ständig den Rasen mähen oder die Spülmaschine ausräumen müssen. Mhm… wäre vielleicht auch nicht schlecht gewesen, vielleicht machen wir das dann irgendwann später. In Las Vegas oder Südamerika hätten es die coolen Ereignisse aber bestimmt auch geschafft, uns zu meiden.
War die Reise eigentlich von vorneherein an die literarische Idee gekoppelt – oder war eins von beiden zuerst da?
FERDINAND & ROLAND Zuerst war nur die Überlegung da, wie um Himmels Willen es sich anfühlen würde, für einen relativ langen Zeitram zu zweit in völliger Abgeschiedenheit aufeinanderzuhocken und dabei den anderen zu beobachten und zu protokollieren. Optimalerweise ohne Rücksichtnahme auf die Gefühle des anderen beim späteren Lesen. Dass sich die Texte zu einem Buch zusammenfügen lassen, war natürlich nicht hundertprozentig abzusehen – aber die Hoffnung gab es schon.
Hattet ihr damit gerechnet, dass es so kalt wird?
FERDINAND Nein.
ROLAND Ach was, so kalt war es doch gar nicht.
FERDINAND Laber nicht, scheiße kalt war’s.
Wie ist es, wenn man gemeinsam ein Buch macht und man sieht den anderen emsig schreiben, doch selbst fällt einem nichts ein? Panik, Mist aufschreiben, den anderen sabotieren?
FERDINAND Das ist ungefähr dasselbe Gefühl, das man den Strebern gegenüber hatte, die in der Realschule immer Einser hatten, „ohne zu lernen“.
Habt ihr die Buchpassagen vor Ort ausgetauscht, oder hat jeder für sich durch geschrieben
ROLAND Ferdinand hat kontrovers zu vorheriger Absprache auf der Hinfahrt vorgeschlagen, dass wir das Geschriebene doch auch wöchentlich tauschen könnten -aber das hat er bestimmt nur gemacht, weil er abschreiben wollte. Die Manuskripte wurden einander erst nach der Heimkehr überreicht.
Wie ist es, wenn man weiß, jemand anders beobachtet einen im Alltag, um daraus was Griffiges für das Projekt zu überführen? Versucht man Gags zu platzieren, in der Hoffnung, der andere greift sie sich – oder ist es wie bei „Big Brother“, wenn alle immer behaupten, nach wenigen Tagen würden sie Kameras gar nicht mehr bemerken?
FERDINAND Es ist genau, wie die bei „Big Brother“ immer sagen. Man merkt eigentlich überhaupt nichts.
ROLAND Ich habe ständig Gags platziert, leider hat’s kein einziger ins Buch geschafft.
Habt ihr an dem ganzen Projekt, an paar Stellen kommt das meiner Meinung nach durch, auch gezweifelt vor Ort? Also, bringt es das jetzt? Warum können wir nicht endlich heim?
FERDINAND & ROLAND Zweifel sind was für Hobbyautoren und Kunststudenten. Über diese Phase sind wir längst hinaus.
Ihr kennt euch ja sehr gut, was schon zu Anfang vom Buch deutlich wird, aber was habt ihr in Rumänien über den anderen gelernt, was ihr noch nicht wusstet?
FERDINAND Wie nervig Rolands ewige nervöse Auf-und-ab-Geherei sein kann, durfte ich in Rumänien lernen.
ROLAND Die Auf-und-ab-Geherei hat mit Nervosität nichts zu tun, ich gehe halt auf und ab.
FERDINAND Aber es macht deine Mitmenschen, insbesondere mich, nervös … oder noch nervöser.
ROLAND Ich kann machen, was ich will.
FERDINAND Und meistens willst du immer nur so auf und ab gehen, oder?
ROLAND Ach, leck mich doch am Arsch.
Ich sehe in dem Buch etwas von James Joyce „Ulysses“, also diese Beschreibung eines einzelnen Tages – oder auch dieses eine bekannte von dem Russen, Namen vergessen, wo auch die Abwesenheit von konkretem Erleben die Geschichte bietet. Der liegt irgendwie 400 Seiten lang nur im Bett. Gab es für euch literarische Vorbilder für diese doch eher ungewöhnliche Textsorte? Oder ist das alles letztlich eine Fanzine-Sache XXL?
ROLAND Ich habe mal die James-Joyce-Filmographie mit Ewan McGregor gesehen.
FERDINAND “Ulysses”? Kenn ich nicht. Literarische Vorbilder sind was für Hobbyautoren und Grundschullehrer und vielleicht noch Fanziner.
ROLAND Auf die Fanzine-Sache wird Ferdinand, seit er Buchautor ist, nicht mehr so gerne angesprochen.
Anderer Aspekt, der das Buch sehr auszeichnet, es ist die schönste Bromance, die ich je las. Seid ihr auch bisschen verliebt in einander (gewesen)?
FERDINAND & ROLAND Liebe ist was für Weiber.
Überhaupt, wenn man die 30 erreicht hat, verschieben sich für die Allermeisten die Prioritäten. Von Kumpels, Bands, Clique hinzu den Zweierbeziehungen bis hin zur Familie. Versucht ihr dieser Determination mit dem Buch noch eine letzte Schlacht zu bieten, „Ein Tag Hagel“, die Bands und eure Bromance als Bollwerk, um nicht sowas wie „erwachsen“ werden zu müssen?
FERDINAND & ROLAND Wir nehmen uns da nicht aus, auch bei uns haben sich die Prioritäten hin zur Zweierbeziehung verschoben. Hauptsächlich deshalb, weil unsere Bandmitglieder und Saufkumpels nicht mehr so viel Zeit haben wie früher. Der Umstand, dass unsere Frauen berufstätig sind, spielt auch ein bisschen mit rein.
Ihr habt wirklich Prinz Charles um ein Vorwort gebeten?
FERDINAND & ROLAND Ja, denn Prinz Charles ist wie wir Freund des rumänischen Bauernhauses und der Scheunenarchitektur. Außerdem hätte uns ein Vorwort von Prinz Charles auf ewig berechtigt, damit anzugeben.
Als ein Höhepunkt eurer Reise ist sicherlich die Wanderung zu sehen, bei der ihr beinahe nicht mehr heimkamt. Liest sich alles so lakonisch und unterhaltsam – aber war es vor Ort wirklich lustig?
FERDINAND & ROLAND Als es in diesem riesigen Wald dann langsam dunkel wurde, war uns tatsächlich ein bisschen bang. Vor allem nachdem wir von einem Jägersmann, den wir zufällig getroffen hatten, vor den Bären und Wölfen gewarnt worden waren. Schrecklich war nichts, vielleicht mal ein bisschen Heimweh ab und an.
Die Leute im Dorf wirken sehr hilfsbereit. Wie, glaubt ihr, habt ihr auf sie gewirkt? Habt ihr euch zu erklären versucht? Also dass das alles auch eine Art Kunstprojekt sei und kein Honeymoon oder Untertauchen vor Strafverfolgung?
FERDINAND & ROLAND Es entstand eine recht nette Bekanntschaft mit einem älteren Ehepaar, dem haben wir mit Händen und Füßen und ein paar Brocken Rumänisch kommuniziert, dass wir ein Buch schreiben, und die haben das bestimmt an die anderen Dorfbewohner weitergetragen. Bestimmt haben uns auch einige Leute für schwul gehalten, vermutlich eher als für Straftäter. Es gab drei Dorfstraßen, die sind wir jeden Tag auf und ab gegangen, zur Zerstreuung oder warum auch immer. Die Leute im Dorf gingen erfahrungsgemäß nicht spazieren. Da sind wir schon öfters mal kritisch beäugt und wahrscheinlich für komische Vögel gehalten worden.
Fühlt ihr euch eigentlich durch die Texte des anderen gut repräsentiert? Oder fehlt eigentlich ganz viel von euch?
FERDINAND Eigentlich ist meine Persönlichkeit viel tiefschichtiger, und außerdem bin ich in echt sympathischer. Viel sympathischer sogar. Das habe ich mir mehrfach bestätigen lassen.
ROLAND Bei mir fehlt nichts.
In den Texten werden die Figuren ja aufs Wesentliche runtergebrochen, Essen, Wetter, Gedanken. Was ihr aber fast komplett ausspart, ist die Körperlichkeit, die dann doch auch in den Mittelpunkt rückt. Habt ihr Sexualität und Kackgewohntheiten extra rausgelassen, oder versucht diesen Aspekt des Anderen möglichst auszublenden? (Oder war einfach zu kalt für Kekswichsen?)
ROLAND Ich habe mir im Vorfeld tatsächlich überlegt, wie lange ich aufs Wichsen verzichten kann, bis es mich im Alltag beeinträchtigt. Nach fünf, sechs Wochen kam in einer Unterhaltung dann auf, dass ich noch kein einziges Mal in Rumänien gewichst hatte. Ferdinand zeigte sich erschüttert darüber, und der Grund, warum er es nicht aufgeschrieben hat, war wahrscheinlich, weil er selbst nicht wie ein abartiger Wichsspecht rüberkommen wollte.
FERDINAND Ich habe auch nicht mehr gewichst als zu Hause.
Was macht ihr als nächstes?
FERDINAND & ROLAND Wir streben die Veröffentlichung des Albums „Zweihundert Jahre ohne Erfolg“ der Band „Die Damen und Herren des Orchesters“ an. Das ist unsere gemeinsame Gruppe. Danach schreiben wir einen Roman.