It's the End of the World As We Know It  – Unsterblichkeit für alle?

There could be a mission (it’s probably very cheap)

Marie Haefner “Excalibur City”


Der Pop ist ein großes Jammertal: Schallplatte, CD, Song, Punk, Journalismus, alles stirbt, muss sterben. Oder doch nicht? Soll doch alles dagebleiben?, selbst die doofen Schallplattensammler, die doch schon 1997 circa als ausgestorben…?

Nein, Pop ist unsterblich, sagen retromanische wie hauntologische Theoretiker_innen, wir leben in der Dauerschleife, zumindest, bis wir die Zukunft finden. Bis dahin wird sich auch der Mensch wohl noch als Retrophänomen aus den Neunzigern entpuppen.
Im dritten Teil der von Steffen Greiner kuratierten Reihe zum Aussterben entdeckt Jennifer Beck den Kosmismus als Pop-Theorie, eine Strömung der russischen Prä-Avantgarde vom Ende des 19. Jahrhunderts bis hinein in die frühe Sowjetunion: eine Kunst ohne Tod. Es spukt im Möglichkeitsraum Pop-Museum, in diesem poetisch-abstrakten Essay, und Aretha Franklin und T-Rex sind hier lebendiger als zu ihren guten Zeiten. Nur: Wer ist hier Ben Stiller?

Letztens beim Energiesparen mal wieder in den Siebzigern hängen geblieben, ach Amanda, und gedacht: Es gab Zeiten, da war Zukunft noch etwas, wo man hinwollte.

“Gimme your soul
I’ll give you life
And all the things you want to get
So follow me
Just follow me

Unbelievable maybe
You’ll have a new identity
For a second of vanity
I want to change your destiny
Unbelievable maybe
Follow me
Follow me”

Pop ist ja immer ein Versprechen. Nur sollten manche „Phänomene“ besser namentlich nichts ankündigen, was sie ohnehin nie einlösen können, solange sie nicht als Hologramm bei Rock am Ring auferstehen, und dann auch noch Songs veröffentlichen, die das Gegenteil behaupten. Ich befürchte aber, dass es selbst über die Toten Hosen mal heißen wird: „Unsterblich“. Das ist, was Pop und Museen verbindet. Pop, ihr wisst schon: X-Ray. Museum, ihr wisst schon: T-Rex. The Dead Don’t Die.

Ich wurde also vom Magazin für Insolvenz gebeten, einen Text über das Aussterben zu schreiben, und das ist ein Problem. Weil ich persönlich zwar die Hoffnung habe, dass ich in nicht allzu langer Weile weg sein darf ohne wieder aufgetaut zu werden, mir aber wie allen die Fantasie dafür fehlt, versuche ich es mit dem Gegenteil: ewiges Leben. Auch nicht leicht bei vollem Verstand und prinzipieller Übelkeit bei der Vorstellung, aber immerhin überhaupt partielle Erfahrungswerte, also follow me:

2017, HKW-Livestream, die Multimediakünstlerin Hito Steyerl sagt: „I have no idea of cosmism. It may exist or not. Period!”, und moderiert dann eine Diskussion zum Thema „Immortality for All!“ mit dem kosmismusbeeinflussten Filmemacher Anton Vidokle, der, nicht im Bild, gerade ein Mausoleum als Kino aufgebaut hat, vor allerlei sehr planhabenden Menschen.
Ich finde das pfiffig, wie eigentlich alles, was Steyerl tut, und sage es ganz offen: Ich habe auch keine Ahnung, bin aber aufgeschlossen für ionisierende Lampen, Jackson Pollock, trippy Videoclips und sowieso jeden Nischenfimmel mit Potenzial, der dazu beitragen könnte, dass die Scheiße hier nicht direkt hochgeht, deswegen, Hito: „I will bravely volunteer to do it.“

Wanna see Nirvana but don’t wanna die

Die Frage ist nur: wie? Mit etwas anfangen heißt nämlich, an einem bestimmten Ort und von vorne, jetzt sind Raum und Zeit aber echte No-Gos in einem Text über Unendlichkeit. Also tun, was zu tun ist, um zu vergessen, wann und auf welcher Couch exakt man Gehirnzellen verbrennt: Netflix, „The Matrix“, 5-Minuten-Terrine fünf Stunden ziehen lassen – wen juckt’s? Zeit ist eine dehnbare Sache, wie immer kommt es darauf an, wen man fragt.

Hätte sich beispielsweise der Kosmismus durchgesetzt, könnten wir jetzt die Kosmisten (ohne Sternchen) fragen, und mit Sicherheit würden sie sagen, ein Jahrzehnt sei nichts gewesen, um auf rahmenlosen Leinwänden an ihrer Ewigkeitsutopie herumzupinseln, bevor sie sich in Sekundenschnelle erst in Pathos und schließlich in Propaganda auflöste. Angesichts der Tatsache aber, dass selbst Sun Ra meines Wissens nach bis auf weiteres untertage geparkt werden musste, sich also seit den Zwanzigern von ein paar Don-DeLillo-Romanen abgesehen hinsichtlich der „gleichzeitigen Koexistenz aller Generationen“ nicht viel getan zu haben scheint, war der Club progressiver Künstler-, Astrophysik- und Nietzsche-Boys seiner Zeit workloadmäßig zwar ganz gut voraus. Vor dem Aussterben bewahrt hat ihn das nicht.

Weniger Schlaf und mehr Entertainment als die Serienpeople heute brauchte noch ein paar Jahrzehnte eher vermutlich nur Nikolai Fjodorowitsch Fjodorow, auch wenn die Überlieferung zunächst das Gegenteil erzählt: Ein Vollversager schmeißt die Uni für ein Leben als Hilfsbibliothekar und trinkt Tee. Genau genommen sorgte der Kosmismos-Groundbreaker Ende des 19. Jahrhunderts so aber für die idealen Bedingungen, um unbehelligt von fliegenden Patronenhülsen in aller Seelenruhe an seinem ganz eigenen „Dream Corp LLC“-Script zur Rettung der Menschheit zu schreiben, und parallel bereits ordentlich Guerilla-Marketing für die gute Sache zu machen.
Bei der Ausleihe wurden allen Nutzer_innen weiterführende Literatur und No-Borders-No-Nations-Aufkleber untergejubelt, danach lud der Asket zu trocken Brot und real talk in sein Hinterzimmer.

Punkte zum an den Spiegel kleben:

  • Nix geht verloren.
    Wachstum ist doof.
    Nicht entmutigen lassen von der Absolutheit des Todes.
    Fantasie ist wichtiger als Technologie (aber auch wichtig).
    Kreative Energie ist cool.
    Das Universum ist ein Projekt, für das alle Verantwortung tragen.

Punkt zum Überkleben:

  • Alle heißt hier: Daddys und Söhne.

Tod dem Patriarchat!

Abgesehen davon mögen es am Ende vielleicht vor allem die Gedanken eines unterzuckerten Spinners gewesen sein, die kein Unten und kein Oben mehr kannten, aber zumindest war da jemand, der sich welche macht. Krasser Typ, auch wegen seiner Arbeitsmoral: Keine Spekulation, nur gesichertes Wissen. Hand hoch, welche Newsredaktion ist noch überfordert?
In der größten Bibliothek der größten Stadt des großen kalten Landes hatte Fjodorow alle Zeit und alle Schriften zur freien Verfügung, um daraus nicht nur Gedanken, sondern alle denkbaren Gedanken (zum Klugscheißen bei Gelegenheit: Noosphäre), und dann Texte zu formulieren, die Religion und Technik, Gesellschaftskritik und -liebe, Kunst, Naturwissenschaft, Klangschalenkram und Talking Heads’ „Road To Nowhere“-Artwork mit dem Ziel crossoverten, dass alle und alles für immer bleiben dürfen müssen. Selbst die, die bereits in Frieden ruhen.

Built me a house where I can live in, built me a house where I can stay

Die Frage ist nun: wo?
Fjodorow meinte: Wo T-Rex weiterleben darf, ist auch Platz für den Rest der Sippe, und notfalls machen wir das Dach auf. Ein Museum also, für das man anstehen würde, weil es lebendige Ideen ausstellt statt toter Körper. Keine nach Pups riechenden Kammern mit Atmen-Verboten-Schildern und stummen Aufpasser_innen mehr, die pantomimisch ihr Revier markieren – Analogie: Gesellschaft. Stattdessen Access All Areas kuratiert von Sven Marquardt zum Soundtrack der Unendlichkeit powered by Function One.

Mit einem Bein stehen wir dort, wo Laura letzte Woche souveräner stand, um das Gegenteil von allem hier zu konstatieren: Tod dem Freudenfest auf Erden. Und prinzipiell auch total bei dir, Laura, und den Untergang schon im Kalender eingetragen, nur heute eben Team russische Space-Utopie, also einmal noch Spaß haben am Montieren von Schrott zu irgendwas mit Flügeln. Deswegen behaupte ich: Da ist noch was zu holen!

Dazu zwei Kausalketten, die mir bei der Club-Geschichte kamen:

1. Hedonismus

  • Ziel: Lust.
  • Notwendigkeit: Angst überwinden.
  • Größte Angst: Tod.
  • Folge: Tod überwinden.
  • Ergebnis: Ewiges Leben.

2. Kosmismus

  • Ziel: Ewiges Leben.
  • Notwendigkeit: Tod überwinden.
  • Tod: Größte Angst.
  • Folge: Angst überwinden.
  • Ergebnis: Lust.

Und nun frage ich: Kann das denn Zufall sein?

For the sake of future days

In der Zukunft von damals ist Fjodorow tot und Hito Steyerl sitzt in einem Museum, das nach wie vor als Raum erkennbar ist, aber zumindest so aussieht wie das Space Ship, das Stalin verhindern wollte. Sich radikal öffnend nach allen Seiten und zum Himmel hin. Und dort könnte sie jetzt ausführlich reden über die positiven psychischen Gesundheitseffekte von Farbe, darüber, dass sich rotes LED-Licht in einer Frequenz von 670 Hertz heilend auf die Haut auswirkt, dass viele Menschen, die für die ukrainische Raumfahrt ausgebildet wurden, heute im 3D-Druck tätig sind, 40-Hertz-Blitzlicht den Verlust von Erinnerung reduziert, und über Bilder und Töne, die dem Bildungs- und Gesundheitssystem die Verantwortung abnehmen könnten, Schulen und Krankenhäuser zu bauen.
Kunst darf alles, aber sollte sie auch?
Stattdessen redet Steyerl beispielhaft erst über chinesische Imperatoren, die sich vor 2000 Jahren mit Unsterblichkeits-Elixier aus Quecksilber umbrachten, um den Tod auszutricksen, und dann über die grenzenlose Beschränktheit der Menschen im Allgemeinen: „People spend so much time on looking for extraterrestrial intelligence. So why couldn’t we spend time on looking for human intelligence? There could be a mission, it’s probably very cheap.“

Denn es ist ja nicht so, dass die klugen Freaks mit den klugen Ideen auf Erden fehlen, nur saßen sie früher in Bibliothekshinterzimmern und heute sitzen sie hinter Gittern. Nicht selten werden sie nach wie vor sterben ohne je wirklich existiert haben zu dürfen. Check your privilege and pass the mic!

Die wirklich coole Frage ist also nicht, wie, sondern: wofür denn nur? Wir können Menschen vor eine Leinwand mit schwarzem Quadrat stellen, um den Tod zu überleben, aber in welcher Welt wachen wir dann auf?
Ich lese gern Fiction, die mich rausbeamt, ich versinke in Yves-Klein-Blau und möchte echt nicht wissen, wie oft Musik mir das Leben gerettet hat. Was ich meine: Ich glaube an die Kraft von Pop. Aber nicht für die langfristigen Problemlösungen auf Erden, sondern für kurze Momente der Weltflucht.

Space is the place?

Jedes Versprechen kann unter Umständen als Drohung gelesen werden, wem ist also schon mal aufgefallen, dass Pop und Population?
Hito Steyerl formuliert es mal vorsichtig so: „It’s very difficult to get rid of regulation of population in this question, of the elimination of defective parts of the population (dark people).“

Was die Frage nach dem ewigen Leben für alle angeht, ist der Deal also folgender: “You can intensify it until it becomes absolutism. It is absolutely profoundly deadly. It will immediately kill you.“

Was Pop angeht, existiert da aber längst dieser Möglichkeitsraum, in dem Aretha Franklin, Leni Riefenstahl, Michael Jackson und Charles Manson nach ihrem Tod gleichermaßen mehr da sein dürfen als in ihren lebendigsten Momenten. Und ich halte mich gern in diesem Raum auf. Da ist nämlich Bewegung drin, es gibt dort immer was zu diskutieren. Und sollte Fjodorow das gemeint haben, als er von seinem Mega-Museum der Wiederauferstehung geschrieben hat – zur Hölle, ich bleche für die Bonuskarte.

Aber bis es hier soweit ist, lebt der groovy Sonnengott vielleicht ganz gut on the other side in einer Welt, in der es sich für immer zu bleiben lohnt. Und für den Rest, der sich vom Rhythmusteppich seines Arkestras aus dem Festsaal Kreuzberg ins unendliche Licht fliegen lässt, ist die Sache am Ende gar nicht so komplex: Erst wenn wir wissen, wie das Museum aussehen soll, in dem wir alle für immer forever hängen wollen, fangen wir an, Pinsel zu kaufen. Es gibt diverse Zukunftsszenarien, die scheiße sind, aber eigentlich nur eines, das wir am Ende ernsthaft wollen können.
Und die Frage lautet nun: Wird uns ein PayPal-Gründer dorthin führen, der sich Teenager-Blut transfundieren lässt? Oder folgen wir Amanda.

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